An einem Vormittag im Oktober spielten sich die angeklagten Vorfälle in einem Zug zwischen den Stationen Johnstraße und Schweglerstraße ab.

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Wien – "Ich bin von der Person her ein friedfertiger Mensch, ich habe noch nie jemanden bedrängt oder einer Person wehgetan", versichert der 27-jährige Abdullah B. seinem Richter. Eigentlich seinen beiden Richtern, den Stefan Apostol lässt seinen Kollegen Nikolai Nikolic, der sich noch in Ausbildung befindet, die Verhandlung gegen den unbescholtenen Algerier leiten. B. wird vom Staatsanwalt vorgeworfen, am Vormittag des 11. Oktobers in der U-Bahn-Linie 3 eine 18 Jahre alte Studentin sexuell belästigt und genötigt zu haben und anschließend andere Passagiere, die der bedrängten Frau helfen wollten, attackiert zu haben.

Die Ausreden des in Österreich nicht gemeldeten Angeklagten sind durchaus interessant. Bei der Haft- und Rechtsschutzrichterin hatte B. noch angegeben, er sei vom Teufel besessen und psychisch krank. Da der psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann keinen Hinweis auf eine Störung entdeckte, bietet der Angeklagte nun vor Gericht eine neue Erklärung dafür, warum er die ihm unbekannte junge Frau zwischen den Stationen Johnstraße und Schweglerstraße fest am Gesäß gepackt und dabei gestöhnt habe: "Ich habe mir eingebildet, dass die Frau meine Freundin ist, die in Wien-Favoriten lebt", lässt er übersetzen.

"Hemmung sehr geschwächt"

Er habe zuvor Marihuana konsumiert, daher "war meine Hemmung sehr geschwächt", entschuldigt er sich. Denn: "Ich war an Marihuana nicht gewöhnt, wir haben das in Algerien nicht", behauptet er. Dass er auch Kokain im Kreislauf hatte, erwähnt der Angeklagte nicht, erst Richter Apostol weist später auf diesen Befund hin. Laut Hofmann war der Angeklagte aber zurechnungsfähig und nicht im Zustand voller Berauschung.

Warum B. in der U-Bahn anschließend eine Helferin an den Schultern gepackt und in eine Ecke gestoßen hat und später angeblich noch zwei weiteren Fahrgästen, die ihn stoppen wollten, Faustschläge ins Gesicht verpasst hat? "Ich habe Angst bekommen", erklärt der Angeklagte dazu. "Das Opfer schildert aber, dass sie Sie nach dem Griff auf ihr Gesäß mit ihrem Handy gefilmt hat und Sie sehr aggressiv zu ihr zurückgekommen sind, um das zu stoppen", hält der auszubildende Richter Nikolic fest. "Ich kann mich nicht daran erinnern. Kann sein", bleibt der Angeklagte vage. "Als ich begriffen habe, was vor sich geht, konnte ich mich nicht auf Deutsch artikulieren", führt B. Verständigungsschwierigkeiten als Grund für die Eskalation an.

Opfer schützte sich mit Fahrrad

Das 18-jährige Opfer der sexuellen Belästigung schildert als Zeugin, wie sie zunächst perplex war, als sie die Berührung spürte und das Stöhnen hörte. Den Angeklagten wollte sie filmen, "damit der nicht einfach so davonkommt". Daraufhin sei er "ziemlich aggressiv" auf die Studentin zugekommen, sie habe sich in eine Ecke des Türbereichs gedrängt und ihr Rad zwischen sich und den Täter geschoben, um sich in Sicherheit zu bringen.

In dieser Situation sei eine andere Frau aufgestanden und habe sich dazugestellt, um B. abzuschrecken. Der packte die Helferin aber an den Schultern, stieß sie weg und drängte sie in die Ecke. Mit zwei Schlägen mit der flachen Hand auf die Nase des Angeklagten konnte sie sich retten und lief durch den Waggon, verfolgt vom Angeklagten. Die 18-Jährige alarmierte unterdessen die Polizei, die ihr riet, das Notsignal zu betätigen, um den Zug in der nächsten Station zu stoppen.

Zeugin kritisiert U-Bahn-Fahrer

Die weggestoßene Helferin, die noch immer an den Folgen des Erlebnisses leidet und Angst hat, die Wohnung zu verlassen, ist verhindert, ihr Gedächtnisprotokoll wird von Nikolic daher verlesen. Ein interessantes Detail daraus: Der U-Bahn-Fahrer habe ihr nach dem erzwungenen Halt in der Station Schweglerstraße auf dem Bahnsteig angeblich gesagt: "Was soll ich machen? Ich darf ihn nicht anfassen" und habe sich wieder in seiner Fahrerkabine verschanzt. Eine Begebenheit, die der Fahrer in seiner Aussage nicht schildert. Er habe nur gesehen, wie der Angeklagte Richtung Ausgang gegangen sei.

Die Studentin fordert vom Angeklagten 1.000 Euro Schmerzensgeld, die weggestoßene Frau will 2.400 Euro für Schmerzen in der Schulter und Psychotherapie. Die erste Forderung erkennt B. an, im zweiten Fall ist seine Verteidigerin Edda Ofner bereit, 1.240 Euro anzuerkennen. Bei der Studentin entschuldigt sich der Angeklagte noch, was diese mit "Passt!" kommentiert. B. gibt auch noch ein Versprechen ab: "Ich werde nie mehr Marihuana nehmen und keine Drogen angreifen, wenn die das aus mir machen."

Unbescholten, aber "kein ordentlicher Lebenswandel"

Das Urteil verkündet dann wieder Apostol selbst, er entscheidet sich für fünf Monate bedingt. Wegen der Nötigung der Studentin, das Filmen einzustellen, da dieses Delikt mit einem Strafrahmen bis zu einem Jahr doppelt so streng geahndet wird wie der Griff an das Gesäß. "Das ist ein ganz klarer Fall von sexueller Belästigung", hält der Richter dazu aber fest. Den Milderungsgrund der Unbescholtenheit lässt Apostol nicht gelten, da B. keinen "ordentlichen Lebenswandel" aufweise: "Sie sind illegal nach Österreich eingereist, sie waren illegal aufhältig und sogar schon von der Fremdenpolizei zur Festnahme ausgeschrieben. Sie hätten gar nicht mehr hier sein dürfen."

B. akzeptiert die Entscheidung, der Staatsanwalt gibt keine Erklärung ab, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. Dem Angeklagten erklärt Apostol das weitere Prozedere: Der Justizwachebeamte werde ihn zurück in seine Zelle führen, wo er seine Sachen packen könne, danach werde er von den drei während der Verhandlung im Saal sitzenden Fremdenpolizisten in die Schubhaft überführt, von wo aus B. zurück nach Italien gebracht werden soll. (Michael Möseneder, 9.2.2023)