Guillaume Ngefa Atondoko Andali hatte 48 Stunden Zeit, seine Koffer zu packen. Am Dienstagabend musste der Menschenrechtsbeauftragte der UN-Mission Minusma Mali verlassen: Die Regierung hatte ihn zur Persona non grata erklärt – mit der Begründung, Andali sei in "destabilisierende und subversive Aktivitäten" verwickelt.

In Wahrheit hatte der junge UN-Beamte organisiert, dass eine prominente Vertreterin der malischen Zivilorganisation, Aminata Dicko, während einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats in New York zu Wort kam. Über Leitung zugeschaltet, geißelte die Menschenrechtsaktivistin zunächst die Angriffe extremistischer Islamisten auf Soldaten und Zivilisten – kam aber dann auch auf die Übergriffe der Armee zu sprechen. Sie zeigte sich alarmiert über die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen der Militärs: "Und deren Zusammenarbeit mit russischen Söldnern macht die Sache nicht besser."

Ein deutscher Blauhelmsoldat der Minusma-Mission in Mali.
Foto: IMAGO/Joerg Boethling

Damit zog sowohl Dicko wie Andali den Zorn der malischen Militärregierung auf sich. Dickos Auftritt sei hinter dem Rücken der Regierung zustande gekommen, schimpfte Außenminister Abdoulaye Diop: Deren Glaubwürdigkeit sei zweifelhaft, die "Instrumentalisierung der Zivilgesellschaft" diene "finsteren Absichten". Andali musste das Land verlassen, und Dicko sah sich zum Abtauchen gezwungen.

Knüppel in den Weg

Es ist nur der jüngste Angriff der malischen Junta auf die UN-Mission: Seit ihrem zweiten Putsch im Juni 2021 werfen die Militärs der Minusma nur noch Knüppel in den Weg. Mal verbieten sie den Blauhelmen, nach Hause zu fliegen, mal lassen sie 46 Soldaten aus Côte d'Ivoire wegen angeblicher Spionage ins Gefängnis sperren.

Seit Monaten wird dem über tausendköpfigen deutschen Minusma-Kontingent keine Erlaubnis mehr zum Einsatz ihrer Drohnen erteilt, während Mitglieder der UN-Mission nicht in Regionen gelassen werden, aus denen Übergriffe der Soldaten und der russischen Wagner-Söldnertruppe gemeldet wurden. Kein Wunder, dass nach dem jüngsten Zwischenfall in Berlin fast einstimmig das Ende der deutschen Beteiligung an Minusma gefordert wird. Und zwar so schnell wie möglich.

Die Franzosen verließen den westafrikanischen Unruhestaat schon im vergangenen August, andere europäische Staaten folgten. Derzeit brechen auch die Briten ihre Zelte ab, neben mehreren afrikanischen Staaten sind nur noch Bangladesch und Deutschland übriggeblieben. Verschwindet auch das deutsche Kontingent, ist Minusma am Ende, weiß Ulf Laessing, Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako: Denn außer dass sie ihre Drohnen fliegen lassen, schützen Bundeswehrsoldaten mit ihren Hubschraubern auch UN-Konvois und patrouillieren zumindest in der Region um ihren Stützpunkt in Gao.

Dort suchen derzeit tausende Flüchtlinge aus dem nach dem Abzug der französischen Soldaten wieder unruhigen Norden des Landes Zuflucht, berichtet Laessing aus eigener Anschauung: Sie setzen ihre Hoffnung auf den Schutz der deutschen Soldaten. Und wenn sie abziehen?

Blauhelme ab 2013 in Mali

Die Entsendung der bis zu 15.000-köpfigen Blauhelmtruppe wurde vor fast zehn Jahren – auch mit österreichischer Bundesheerbeteiligung im Ausbildungsbereich – mit dem Schutz der malischen Bevölkerung begründet. Doch die lebt derzeit so gefährlich wie noch nie. Im Norden, der Mitte und dem Süden des Landes greifen immer öfter entweder zu Al Kaida oder dem "Islamischen Staat" gehörende Extremisten an – sie kommen der Hauptstadt Bamako immer näher.

Ihnen gegenüber stehen ihnen Malis Soldaten und die Söldner der Wagner-Truppe, die oft auch als "Putins Privatarmee" tituliert wird: Sie kümmern sich um die Bevölkerung noch weniger. Seit ihrer gut einjährigen Anwesenheit in Mali sollen die russischen Lohnkämpfer schon für den Tod von über 700 Zivilisten verantwortlich sein, meldet das angesehene "Armed Conflict Location & Event Data Project" (ACLED). Außerdem ist von Folterungen, Vergewaltigungen und Exekutionen die Rede.

Putschistenführer Goïta lässt den russischen Söldnern und seinen Soldaten offenbar freie Hand: Er muss beweisen, dass seine Abwendung von Frankreich und Zuwendung zu Russland im Kampf gegen die Islamisten richtig war. Die Chancen dafür stehen schlecht – allein schon, weil die Grausamkeit der Söldner und Soldaten den Islamisten immer weitere Rekruten in die Hände treiben. Zwischen Gottes- und Wagner-Kämpfern wird die Bevölkerung zerrieben.

Spirale der Gewalt

Bei der Uno in New York wird überlegt, wie Minusma noch zu retten sei. Dort ist von drei Szenarien die Rede: Die Blauhelme ziehen ab und hinterlassen nur ein politisches UN-Büro. Oder man lässt die Arbeit vor Ort afrikanische Soldaten machen, die Industrienationen zahlen nur. Und schließlich: Minusma wird nicht ab-, sondern sogar noch aufgerüstet. Für Letzteres werden sich kaum Freiwillige finden. Die Nord-Süd-Koproduktion klingt schon realistischer – doch am wahrscheinlichsten ist die Abwicklung des Minusma-Mission: Wer will schon seine Soldaten aufs Spiel setzen, wenn er von der Regierung des Landes nicht einmal erwünscht ist?

Und dann? Ohne ausländische Militärpräsenz wird Mali immer tiefer in einer Spirale der Gewalt versinken. "Ihr wolltet es nicht anders", werden westliche Regierungen ihre Hände in Unschuld waschen. Wohl wissend, dass die malische Junta weder die Bevölkerung ist, noch diese vertritt. (Johannes Dieterich, 10.2.2022)