Wann schufen die Vorfahren der modernen Menschen die ersten Werkzeuge? Es darf bezweifelt werden, dass es darauf je eine exakte Antwort geben wird. Die erstaunlichen Fähigkeiten einiger heutiger Affenarten, Papageien und Rabenvögel sowie Delfine auf diesem Gebiet lassen jedenfalls vermuten, dass Dinge aus der Natur in der Tierwelt seit sehr langer Zeit zu Hilfsmitteln für die Nahrungsbeschaffung oder Körperpflege umfunktioniert werden.

Zweige, Blätter, Muscheln, Knochen und Steine erleichterten daher wohl auch Angehörigen des menschlichen Stammbaums schon seit Urzeiten den Alltag. Das dauerhafte Material Stein gab der ersten technologischen Entwicklungsepoche schließlich auch ihren Namen: Die Steinzeit begann nach allgemeiner Auffassung, als Vertreter der Gattung Homo in Afrika herausfanden, wie man Steine bearbeitet, um sie für eine bestimmte Aufgabe anzupassen. Meist handelt es sich um Abschläge, die zu scharfen Kanten zum Schneiden und Hacken führten.

Uralte Schnitte

Einen ersten Beleg für menschlichen Werkzeuggebrauch mit allenfalls rudimentärer vorheriger Bearbeitung lieferten als Hammer und Amboss genutzte Steinbrocken, die man an der Lomekwi-Ausgrabungsstätte am Turkana-See in Kenia freigelegt hatte. Die Funde wurden auf ein Alter von rund 3,3 Millionen Jahre datiert. Ähnlich alt, dafür aber freilich nur Indizien, sind verdächtige Schnittspuren in 3,4 Millionen Jahre alten Rinder- oder Ziegenknochen. Paläoanthropologen schlossen daraus, dass bereits Australopithecus scharfkantige Steine zum Fleischzerteilen eingesetzt und vielleicht sogar hergestellt haben könnte.

Der Fundort Nyayanga liegt auf der Halbinsel Homa am Ostufer des Viktoriasees.
Karte: Ryan Lavery (Smithsonian

Die ältesten bisher entdeckten physischen Beweise für eine echte Werkzeugproduktion durch unsere Urahnen fand man im Nordosten Äthiopiens. Die 2019 vorgestellten Artefakte waren deutlich ausgefeilter als die Steine von Lomekwi und wurden der sogenannten Oldowan-Kultur zugerechnet, einer altsteinzeitlichen technologischen Tradition, die nach Funden in der Olduvai-Schlucht in Tansania benannt ist. Bisher galten diese 2,6 Millionen Jahre alten Keile und Steingeräte als die frühesten als gesichert geltenden bearbeiteten Werkzeuge der Menschheitsgeschichte.

Flusspferde und andere Tiere

Nun rückt eine sensationelle Entdeckung die Herstellung von Abschlagwerkzeugen noch einmal um gut 300.000 Jahre zurück in die Vergangenheit. Mehr noch: Die nun im Fachjournal "Science" präsentierten Steinklingen fanden sich im unmittelbaren Umfeld anderer aussagekräftiger Objekte und lassen zumindest für ein Team um Thomas Plummer vom Queens College (New York) folgenden Schluss zu: An den heutigen Ufern des afrikanischen Viktoriasees in Kenia benutzten Urmenschen, mutmaßlich der Gattung Homo, bereits vor etwa 2,9 Millionen Jahren bearbeitete Steinwerkzeuge, um damit Flusspferde zu schlachten und Pflanzenmaterial zu zerkleinern.

Die nun präsentierten Steinwerkzeuge weisen auf vielfältige Einsatzmöglichkeiten hin.
Foto: T.W. Plummer, J.S. Oliver, and E. M. Finestone, Homa Peninsula Paleoanthropology Project

Damit entdeckten die Forschenden an der Nyayanga genannten Stätte auf der Homa-Halbinsel im Osten des Viktoriasees die bislang ältesten Beispiele für eine steinzeitliche Innovation, die der Wissenschaft als Oldowan-Werkzeugsatz bekannt ist, und zugleich die ältesten Belege für den Verzehr sehr großer Tiere durch Homininen. Gegraben wird dort bereits seit 2015, mittlerweile konnten insgesamt 330 Artefakte und 1.776 Tierknochen geborgen werden.

Rätsel um Schöpfer der Werkzeuge

Die Ausgrabungen förderten auch zwei massive Backenzähne zutage, die dem nahen Verwandten Paranthropus gehören, eine evolutionäre Seitenlinie zur Gattung Homo. Die Zähne gelten als die ältesten Paranthropus-Überreste, die bisher gefunden wurden, und ihr Vorhandensein an einem Fundort von Steinwerkzeugen wirft natürlich die Frage auf, welcher menschliche Vorfahre tatsächlich der Schöpfer dieser Werkzeuge war.

"Die Forscher sind lange Zeit davon ausgegangen, dass nur unsere eigene Gattung Homo in der Lage war, Steinwerkzeuge herzustellen", sagte Rick Potts, Seniorautor vom Smithsonian National Museum of Natural History. "Aber der Fund von Paranthropus neben diesen Steinwerkzeugen eröffnet ein faszinierendes Detektivrätsel." Umso mehr, als die bislang ältesten der Gattung Homo zugerechneten Knochenreste etwa 2,8 Millionen Jahre alt sind.

Backenzähne von Paranthropus am Fundort der Steinwerkzeuge werfen Fragen auf.
Foto: S. E. Bailey, Homa Peninsula Paleoanthropology Project

Welche Homininenverwandtschaft für die Werkzeuge auch immer verantwortlich war, Fakt ist, dass sie mehr als 1.200 Kilometer entfernt von den bisher ältesten Beispielen für Oldowan-Steinwerkzeuge aus Äthiopien gefunden wurden. Damit weitet sich das Gebiet, das mit den Ursprüngen der Oldowan-Technologie in Verbindung gebracht wird, erheblich aus. Darüber hinaus konnten die Steinwerkzeuge von der Fundstelle in Äthiopien bisher keiner bestimmten Funktion zugeordnet werden, was zu Spekulationen über den konkreten Verwendungszweck des Oldowan-Werkzeugsets führte.

Neue Vielfalt an Nahrungsmitteln

Antworten könnten nun die Funde von Nyayanga liefern. Die Analyse der Abnutzungsmuster an den Steinwerkzeugen und an Tierknochen zeigt, dass diese Geräte offenbar zur Verarbeitung einer Vielzahl von Materialien und Nahrungsmitteln verwendet wurde, einschließlich Pflanzen, Fleisch und sogar Knochenmark. "Die Werkzeuge konnten besser zermalmen als die Backenzähne eines Elefanten und besser schneiden als die Molare von Löwen", sagte Potts. "Durch die Oldowan-Technologie war es beinahe so, als hätten die damaligen Frühmenschen plötzlich ein völlig neues Gebiss außerhalb des eigenen Körpers. Sie eröffnete unseren Vorfahren eine nie gekannte Vielfalt an Nahrungsmitteln in der afrikanischen Savanne."

An der Ausgrabungsstätte Nyayanga im Westen Kenias kamen die bislang ältesten bearbeiteten Steinwerkzeuge der Welt ans Licht.
Foto: J.S. Oliver, Homa Peninsula Paleoanthropology Project

Das zeigten auch die mikroskopischen Analysen von Abnutzungsmustern an den Steinwerkzeugen sowie an den entsprechenden Gegenstücken, den Tierknochen mit Schnitt- und Schabespuren. Insgesamt wurden an der Ausgrabungsstätte Nyayanga die Überreste von mindestens drei Flusspferden gefunden. Bei zwei davon identifizierten die Forschenden Anzeichen für eine Schlachtung in Form einer tiefen Kerbe auf dem Rippenfragment sowie einer Reihe von vier kurzen, parallelen Schnitten auf einem Schienbein. Außerdem entdeckten die Forschenden auf Antilopenknochen Anzeichen dafür, dass man ihnen das Fleisch mit Steinsplittern abgeschabt hatte. Andere Knochen könnten mit Hammersteinen zerschlagen worden sein, um an das Knochenmark zu gelangen.

Weitverbreitete Technologie

"Diese ältesten Beispiele für die Oldowan-Technologie zeigen uns, dass Werkzeuge vor fast drei Millionen Jahren weiter verbreitet waren als bisher angenommen", sagte Plummer. "Und sie führen uns vor Augen, dass die Steinwerkzeuge zur Verarbeitung einer Vielzahl von Pflanzen und Tieren eingesetzt wurden. Wir wissen zwar nicht genau, welche Bedeutung sie bei der Anpassung an das Leben in der Savanne hatten, aber die Vielfalt der Verwendungsmöglichkeiten lässt vermuten, dass sie für die Homininen wichtig waren." (tberg, 9.2.2023)