Karl Nehammer kam mit Forderungen nach Brüssel.

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Brüssel – Wäre es nach EU-Ratspräsident Charles Michel, Österreichs Kanzler Karl Nehammer und dessen niederländischem Kollegen Mark Rutte gegangen, hätte es am Donnerstag eigentlich einen Sondergipfel mit Schwerpunktthema Asyl und Migration geben sollen. So war das im Dezember nach dem Scheitern der Aufnahme von Rumänien und Bulgarien in den Schengen-Raum vereinbart.

Österreich und die Niederlande hatten sich damals quergelegt. Nehammer forderte "konkrete Maßnahmen" der EU gegen die 2022 stark angestiegene irreguläre Migration über die Balkanroute. Rund eine Million Menschen suchten im vergangenen Jahr EU-weit um Asyl an, fast 330.000 wurden nach dem Außengrenzübertritt nicht registriert, wie das nach den EU-Regeln eigentlich vorgesehen wäre.

Themenänderung

Darüber wollten sich die Staats- und Regierungschefs unterhalten. Der Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj machte dieser Regie jedoch einen dicken Strich durch die Rechnung. Der Gipfel wurde vollkommen vom Thema Ukraine und den Gesprächen, wie es im Krieg mit Russland weitergeht, überlagert.Fix ist, dass die Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine unvermindert fortgesetzt bzw. ausgebaut wird, sollte die aktuelle Entwicklung das nötig machen. Das war bereits beim EU-Ukraine-Gipfel in Kiew vergangene Woche vereinbart worden. Sollte der Krieg eskalieren, könnten zu den bisher acht Millionen registrierten Ukrainerinnen und Ukrainern in der EU weitere Millionen dazukommen.

Das ist der Hintergrund, warum in immer mehr Staaten der Druck steigt, bei der irregulären Migration sowohl über die Balkanroute wie auch über die zentrale Mittelmeerroute nach Italien und Malta mit restriktiven Maßnahmen vorzugehen. Was Österreich betrifft, forderte Nehammer konkret zwei Milliarden Euro zur Verstärkung der EU-Außengrenzen zwischen Bulgarien und der Türkei, Stichwort Bau von Zäunen. Dafür oder für "andere technische Infrastruktur" sollten EU-Mittel zur Verfügung stehen, sagte der Kanzler nach seinem Eintreffen in Brüssel. Wie man das nenne, sei nicht entscheidend, wichtig sei, dass Bulgarien geholfen werde. Weitere sieben EU-Staaten hatten sich mit Österreich in einem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gewandt, in dem sie unter anderem besseren Schutz der Außengrenzen, aber auch eine Erhöhung der Zahl der Rückführungen verlangen. Das wird auch vom Niederländer Rutte unterstützt.

Aber es gibt diesbezüglich keine Einigkeit, wo für Beschlüsse Einstimmigkeit nötig wäre. So sagte der luxemburgische Premier Xavier Bettel, es wäre "eine Schande, wenn eine Mauer in Europa gebaut würde mit den europäischen Sternen drauf".

Rhetorische Kunstgriffe

Jenseits solcher rhetorischer Zuspitzungen zeichnete sich dennoch ab, dass die Regierungschefs sich in der Nacht einigen könnten. In Entwürfen der Schlusserklärung war für jedes Land etwas dabei, fein formuliert. So soll Italien bei der Überwachung der Seegrenzen geholfen und der Aktionsplan Balkanroute "umgesetzt werden". Auch Österreich wird ein Erfolg gegönnt: Der Gipfel will "EU-Gelder und Maßnahmen mobilisieren, um Mitgliedsländer zu unterstützen, Infrastrukturen und Kapazitäten zur Grenzkontrolle unterstützen, zur Überwachung, auch aus der Luft". (Thomas Mayer aus Brüssel, 9.2.2022)