Dreimal die Woche ist sie mit dem Zug aus St. Johann im Pongau nach Wien gefahren, als sie noch Spartenobfrau in der Wirtschaftskammer war – um vier Uhr früh. "Gelümmelt" habe sie da, sagt Petra Nocker-Schwarzenbacher. Kam sie um 18 Uhr zurück, "ist für mich die Arbeit angegangen".

STANDARD: Rufe ich Sie an, erwische ich Sie meist am Berg. Haben Sie so viel Zeit oder den Ausgleich so nötig?

Nocker-Schwarzenbacher: Zeit habe ich nicht. Ich bin um sieben im Betrieb, sieben Tage in der Woche. Aber wenn das Wetter ganz schön ist, gehe ich um neun Uhr – nach meiner Frühschicht – und bin zu Mittag zurück. Dann bringe ich noch genug Stunden zusammen. Jeder Mensch braucht ein bisserl einen Ausgleich und Freiraum.

STANDARD: Wohin gehen Sie?

Nocker-Schwarzenbacher: Nach Mühlbach oder auf den St. Johanner Ortsberg. So viel kann ich gar nicht schlafen, wie mir das Energie gibt.

STANDARD: Ich bin über ein historisches Foto aus dem Winter der 1930er-Jahre gestolpert. Viel Schnee gab es da, Tourismus wohl noch nicht.

Petra Nocker-Schwarzenbacher (59) nimmt sich für Wandern und Skifahren jedenfalls Zeit. Bis 90 will sie nicht Chefin bleiben.

Nocker-Schwarzenbacher: Nein, gar nicht. In den späten 1940er-Jahren hat St. Johann den ersten Lift auf den Hahnbaum gebaut. Der Sommerbetrieb ist Anfang der 1960er in Schwung gekommen, wo die Leute ein bisserl Geld gehabt haben und nach Bella Italia wollten. Eine von den zwei Hauptverkehrsstraßen nach Italien führte beim Brückenwirt vorbei. Das waren schon Zeiten, wo man in der Region ab Ende Mai bis in den September tagtäglich ausgebucht war. Die Leute sind gekommen. Der Winter ist bei uns in den 1970ern losgegangen.

STANDARD: Skifahren war da wohl auch ganz normal?

Nocker-Schwarzenbacher: Freilich, wir sind mit zweieinhalb Jahren im Garten auf den Skiern gestanden und mit drei überall mit hingenommen worden von den Eltern.

STANDARD: Skifahren bei uns, ist das bald Schnee von gestern?

Nocker-Schwarzenbacher: Ich glaube nicht, dass das vorbei ist, sondern dass es sich verändert. Skifahren, wie wir es gelernt haben, teilweise im Garten oder auf einem Hügel, das passiert ja heute fast nicht mehr. Aber man braucht für den Skisport und Wintertourismus dringend die Akzeptanz der einheimischen Bevölkerung. Diese akzeptiert das nur, wenn sie selbst einen Nutzen aus der Infrastruktur zieht. Es gibt ja schon ein Bashing im Tourismus, vor allem dort, wo viel los ist. Die Leute sagen: Das brauchen wir nicht, das haben wir nie gebraucht, es sind zwar Arbeitsplätze, aber nur schlechte – stimmt nicht.

STANDARD: Was müsste passieren?

Nocker-Schwarzenbacher: Die Gemeinde St. Johann macht das gut: Kinder bis zum 15. Lebensjahr kriegen einen Zuschuss zur Saisonkarte von 70 Euro, de facto kostet die nur mehr 70 Euro. Gemeinden können sich engagieren. Das Mitwirken der Bergbahnen wäre wichtig, was die Preisstruktur betrifft.

STANDARD: Wir haben beheizte Sitze, Nachtskifahren, unendlich viele Pistenkilometer, alles für die Touristen und Touristinnen, die es komfortabel haben und auch dafür zahlen?

Nocker-Schwarzenbacher: Das ist nicht immer der richtige Weg. Wir brauchen hundertprozentig Signale an die Bevölkerung: Leute, ihr seid Teil von dem Ganzen, nutzt es.

STANDARD: Ist nicht Skiurlaub für viele schlicht unleistbar geworden?

Nocker-Schwarzenbacher: Da galoppieren uns teilweise die Preise davon. Die Regionen müssen sich dringend etwas überlegen. Da geht es nicht nur um Einheimischentarife, sondern auch um die Zukunft des Wintersports. Wir haben nicht nur Leute, die locker drei-, vierhundert Euro allein für die Liftkarte ausgeben können, unabhängig von der Unterbringung.

Kann sein, dass eine der beiden Töchter den Betrieb übernimmt. Wenn nicht, hat sie einen Plan B. Sie würde aus dem Haus eine Residenz machen. Zieht es die frühere ÖVP-Vizebürgermeisterin dann zurück in die Politik? Man frage sie eh ständig, sagt sie.

STANDARD: Die teils geschmalzenen Preise haben wohl auch damit zu tun, dass wir den Schnee mit Schneekanonen herzaubern. Das kostet viel Energie und Geld. Rentiert sich Wintertourismus bald nicht mehr?

Nocker-Schwarzenbacher: Wir sind immer noch zufrieden, aber wir spüren schon, dass weniger Wintersportler da sind. Aber der Winter ist nach wie vor rentabel. Da brauchen wir nicht einmal diskutieren. Ich brauche im Sommer mindestens sechs Monate, dass ich auf den Umsatz von vier Monaten im Winter komme. Der Winter hat bei uns in den Schneedestinationen eine brutale Wichtigkeit. Drum sind wir auch froh, wenn Lifte und Bergbahnen in die Schneesicherheit investieren. Ich gehe nicht auf die Straße und sage, wir verbieten Schneekanonen.

STANDARD: Passt auch zur Klimadebatte. Der Tourismus muss insgesamt klimafreundlicher werden. Zu viele Gäste etwa reisen mit dem Auto an.

Nocker-Schwarzenbacher: Da widerspreche ich überhaupt nicht. Aber um etwas zu ändern, muss man auch Alternativen bereitstellen. Wenn man die Züge und die überfüllten Bahnhöfe sieht und feststellt, dass die Bahnfahrt nicht gerade günstig ist, sind es extrem viele Schrauben, an denen man drehen muss. Mit dem Fahrradl kommen die wenigsten.

STANDARD: Diskutiert wird heuer sehr emotional. Seilbahnenchef und ÖVP-Tourismussprecher Franz Hörl fordert Sondersteuern oder ein Werbeverbot für Flugreisen. Einverstanden?

Wird Urlaub in Österreich zum Luxus? Die finanzielle Schere bei den Gästen gehe auf, sagt Nocker-Schwarzenbacher. Viele Urlaubsangebote der Handelsriesen seien aber für jede Familie leistbar.
Foto: Lorenz Masser

Nocker-Schwarzenbacher: Er trägt sein Herz auf der Zunge. Ist nicht immer überlegt, aber er hat das gesagt, was er sich denkt.

STANDARD: Was wir wissen, ist: Große Skigebiete haben es leichter, für kleinere sieht es eher schlecht aus.

Nocker-Schwarzenbacher: Ich bin mir sicher, dass wir auch in 50 Jahren noch Wintersportregionen haben. Wenn es überall wärmer wird, ist es auch in der Türkei, in Griechenland und Italien wärmer. Österreich ist das Urlaubsland schlechthin. Vielleicht wird man im Winter da und dort Defizite haben, das holen wir im Sommer à la longue auf.

STANDARD: Die Branche ist wenig kapitalstark. Rechnen Sie nicht mit einem Strukturwandel?

Nocker-Schwarzenbacher: Wir laufen nicht blind in die Zukunft, aber dann müssten wir alle aufhören zu investieren. Wir investieren ja nicht für die nächsten fünf Jahre. Die Zeiten ändern sich, und darauf muss sich die Branche einstellen.

STANDARD: Weil wir beim Geld sind. Sie haben während der Pandemie schleppende Hilfen kritisiert. Dabei waren Hotellerie und Gastronomie unter den mächtig überförderten Betrieben.

Nocker-Schwarzenbacher: Neben Reisebüros und Bergbahnen. Was heißt "mächtig überfördert". Wie Covid ausgebrochen ist, war eine große Unsicherheit da, es hat viele Ankündigungen gegeben. Am Anfang war die Abarbeitung der Anträge besonders langsam, das Geld ist nicht auf unseren Konten gelandet. Zurückblickend muss man aber sagen, es war reichlich und in vielen Bereichen auch zu reichlich.

Sie sei mit Leidenschaft und Engagment Obfrau der Bundessparte Tourismus in der Wirtschaftskammer gewesen, sagt Nocker-Schwarzenbacher. Unter Mahrer sei das nicht mehr möglich gewesen.

STANDARD: Sie waren damals noch WKO-Spartenobfrau. WKO-Chef Mahrer hat Sie recht unsanft abserviert. Waren Sie zu laut?

Nocker-Schwarzenbacher: Er ist in die Wirtschaftskammer gekommen und hat dort seine Leute um sich geschart. Wir wurden Sprachrohr der Politik. Ich war leidenschaftliche Branchenvertreterin, das war unter Harald Mahrer nicht mehr möglich.

STANDARD: Noch ein Rückblick. Die ÖVP hat nicht die besten Jahre hinter sich. Da ist viel Unappetitliches herausgeapert. Überrascht?

Nocker-Schwarzenbacher: Wenn ich jetzt an die Chats denke oder Ibiza, teilweise hat man das Gefühl, die Korruption ist eine gewisse Normalität. Das erschreckt mich am meisten. Sebastian Kurz hat das am Anfang eigentlich gut gemacht, er hat sich die Macht gesichert. Dass er es so ausnützt, ist ja leider Gottes schiefgegangen. (Regina Bruckner, 12.2.2023)