Zahlreiche Veteranen wollen den "Angriff auf die Demokratie" – wie sie ihn nennen – abwehren.

Foto: Maria Sterkl

Die Regierung Israels zeigt sich vom Widerstand der ehemaligen Armeeangehörigen unbeeindruckt.

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An den Schuhsohlen heftet zentimeterdick Schlamm, aber der 75-jährige Eliezer kämpft sich mit zwei Wanderstöcken vorwärts. Zehn Tage lang hat es in weiten Teilen Israels fast ununterbrochen geregnet, der Waldboden nahe Jerusalem hat sich in Morast verwandelt. Eliezer, der im Tross von rund tausend Menschen, bepackt mit Wanderrucksäcken und Israel-Fahnen, drei Tage lang quer durch Israel marschiert, nimmt das in Kauf. "Es ist das Einzige, das wir jetzt noch tun können, um unser Land zu retten", meint er. Ein anderer ruft ins Megafon: "Das ist nicht nur ein Marsch durch den Wald, das hier ist Krieg!" Die Menge applaudiert.

Mit Krieg haben die Teilnehmenden des rund 50 Kilometer langen Marschs, der am Mittwoch begann und am Freitag vor dem Obersten Gerichtshof in Jerusalem endete, jedenfalls einige Erfahrung. Alle, die hier sind, haben in der Armee gedient, fast alle haben in mindestens einem Krieg gekämpft. Hochrangige Offiziere sind gekommen, viele von ihnen dienten in Spezialeinheiten. "Wir drei waren zusammen im Sayeret Matkal", sagt Yitzchak, ein 58-jähriger Unternehmer, der mit zwei Freunden mitmarschiert.

Angesehene Eliteeinheit

Sayeret Matkal ist eine Eliteeinheit, die direkt dem Generalstabschef unterstellt ist und in besonders heiklen Missionen zum Einsatz kommt, unter anderem bei Geiselbefreiungen. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu diente in der Einheit, sein älterer Bruder Yoni Netanjahu war ihr Kommandant, bis er 1976 bei einer Geiselbefreiung in Uganda getötet wurde.

Nun stellen sich ausgerechnet die Veteranen des Sayeret Matkal gegen Netanjahus Regierung. Das passt so gar nicht in das Bild der "Anarchisten" und "Terrorsympathisanten", als die Netanjahu die Antiregierungsdemonstranten gerne brandmarkt. "Ich habe jahrelang im Auftrag der Regierung beim Militär gedient, um dieses Land zu beschützen", sagt Yitzchak, der jeden Satz mit Bedacht formuliert. "Jetzt kämpfe ich mit aller Kraft gegen diese Regierung, um das Land zu beschützen." Diesmal sei es nicht das Gesetz, das ihn zum Kampf verpflichte, "sondern meine Werte".

Ein Mann mit Bauchladen verteilt gefüllte Blätterteigtaschen an die Marschierenden. "Einmal Kartoffel, einmal Käse, für den Kampf um die Demokratie!", ruft er.

Militärvokabular

Waffen sind auf dem Protestmarsch nicht zu sehen, dafür hört man jede Menge militärischen Vokabulars. Die neue Regierung führe einen "Krieg gegen unsere Identität als ein freies und demokratisches Volk", sagt Yitzchak. Sie gefährde damit auch Israels militärische Verteidigungskraft, meint Yitzchak. Er nennt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als Beispiel. "Wenn es, wie in Russland, ein unmoralisches, korruptes Regime gibt, dann schwächt das auch die Moral der Armee – da ist es egal, wie stark deine Rüstungskraft ist." Israels neue Regierung, in der mehrere prominente Minister bis hin zum Ministerpräsidenten in Korruptionsverfahren stecken oder steckten, sei daher ein nationales Sicherheitsrisiko.

Viele der Marschierenden tragen Fahnen ihrer Armeeeinheiten und T-Shirts mit Aufschriften wie "Waffenbrüder" oder "Generalmobilisierung für die Demokratie".

"Ich bin wahrlich kein Linker", sagt Chanania, ein 71-jähriger Generalleutnant der israelischen Luftwaffe. "Im Gegensatz zu vielen Demonstranten habe ich gar kein Problem mit der Besatzung." Er sei, ganz anders als manche Kräfte in der neuen Regierung, der Überzeugung, dass man "die Araber nicht einfach abschlachten soll", sagt der studierte Ökonom und Philosoph. "Es muss immer humanitäre Lösungen geben, sonst hat das mit Judentum nichts zu tun." Zehn Jahre lang war Chanania Pilot in der Luftwaffe, danach spezialisierte er sich auf unbemannte Flugkörper und ihren militärischen Einsatz. "Israel ist das einzige Land, das wir Juden unser eigenes nennen können", sagt er. In diesen Tagen stelle sich die Frage, wie lange das wohl noch so bleibe. "Netanjahu und seine Bande wollen das ganze Land ihren eigenen Interessen opfern." Für die Koalition sei die Demokratie nur ein Mittel zum Zweck: "Zum Zweck, die Demokratie auszuschalten."

Unbeeindruckte Führung

Vor dem Gebäude des Obersten Gerichtshofs in Jerusalem endete der Protestmarsch mit einer Kundgebung gegen die geplante Justizreform, die nicht nur in Israel, sondern auch in der Welt für Protest sorgt. Die Regierung lässt sich davon nicht beeindrucken. Bereits am Montag will die Koalition einen ersten Teil der Reform in erster Lesung dem Parlament zur Abstimmung vorlegen.

Zwar hatte Justizminister Jariv Levin betont, man werde "alle Seiten anhören" und Kritikpunkte ausführlich diskutieren. Dafür bleibt nun aber offenbar keine Zeit: Es gilt den vom Höchstgericht abberufenen Innen- und Gesundheitsminister Arje Deri über Umwege wieder ins Amt zu hieven. Dafür braucht es ein neues "Gesetz Deri" – und damit es nicht erneut vom Höchstgericht gekippt wird, muss der Gerichtshof schleunigst entmachtet werden. "Israel ist auf dem Weg in die Diktatur", sagt ein Teilnehmer des Marschs ins Megafon, "und schon am Montag erleben wir den ersten großen Schritt dorthin." (Maria Sterkl aus Jerusalem, 11.2.2023)