Michael Sturminger hat zur aufwühlenden Musik zurückhalten, aber eindringlich inszeniert.

Fessl

Stefan Zweig bezeichnete den 1930 erschienenen Roman "Hiob" von Joseph Roth als "eine vollkommene Dichtung", die alles überdauern werde, was zeitgleich entstanden ist. Abschließend bestätigen lässt sich diese Einschätzung nach kaum 100 Jahren natürlich noch nicht, aber dass diese ostjüdische Familiensaga zumindest bis heute virulent geblieben ist, lässt sich belegen: 2009 hat der belgische Dramaturg Koen Tachelet eine Bühnenfassung geschaffen, die von der Volkstheaterproduktion 2010 (Regie übrigens: Michael Sturminger) bis zur Produktion am Schauspiel Graz (2017) vielfach auf die Bühnen gebracht wurde.

Jetzt ist Tachelets Dramatisierung (pandemiebedingt mit einjähriger Verspätung) zur Basis einer eindrucksvollen zeitgenössischen Opernpremiere am Klagenfurter Stadttheater geworden: Michael Sturminger hat aus dem Sprechtheatertext ein Opernlibretto destilliert, das der renommierte, vielfach ausgezeichnete österreichische Komponist Bernhard Lang vertont hat – mit Zitaten aus Volksmusik und Opernliteratur, mit Klezmer-Einlagen im europäischen ersten und mit der Beiziehung eines Jazz-Trios im USA-geprägten zweiten Akt des Werks.

Gräbt sich ins Herz

Auf seine geschätzten Repetitionen kann und will der hochgelehrte Komponist nicht verzichten, so beharren nicht nur Familienvater Mendel Singer (Alexander Kaimbacher), sondern auch seine Frau Deborah (Katerina Hebelkova) und ihre Kinder phasenweise auf Textstellen, dass es dem Hochbarock eine Freude gewesen wäre.

Aber die Klangreise, die man da antritt, vom leisen Trommelrühren des Beginns über die ohrenbetäubenden Tutti-Cluster, die der unheimlichen Folge von Schicksalsschlägen Ausdruck geben, bis zur finalen a cappella-Klage des gebeutelten Helden, gräbt sich ins Herz. Gerade in der Kombination seiner ganz zeitgenössischen Tonsprache mit traditionellen, melodischen Elementen trifft Lang einen Nerv des heutigen Publikums, wie die Begeisterung am Ende der Klagenfurter Premiere bewies. Die bittere Aktualität, die dem Migrantendrama innewohnt, trägt das Ihre zum Erfolg bei.

Der seelische Verlust

Wozu angemerkt werden muss: Am Ende ist der Umstand, dass Mendel Singer alias Hiob aus einem fiktiven ukrainischen Dorf stammt, als mittelloser Jude ohne wirtschaftliche Perspektiven ist, und es auch nach der Emigration bleibt, gar nicht der Punkt. Mit der Flucht in die USA ist er nur der globalen gesellschaftlichen Entwicklung entgegengereist. Noch ehe ihm seine zwei älteren Söhne und sein Frau davonstarben, hatte er sie seelisch verloren. Das Märchen handelt von einer Menschheit, die nicht mehr beziehungsfähig ist.

Das international profilierte siebenköpfige Ensemble, angeführt vom gebürtigen Villacher Alexander Kaimbacher und der aus Tschechien stammenden Katerina Hebelkova, überzeugt sowohl stimmlich als auch darstellerisch vollkommen. Dem britisch-deutschen Dirigenten Tim Anderson, einer Kapazität auf dem Gebiet der zeitgenössischen Musik, scheint die Arbeit mit dem Kärntner Sinfonieorchester wie auch mit dem von Günter Wallner einstudierten Chor große Freude bereitet zu haben.

Und jetzt kann man sagen, dass die Regie Michael Sturmingers und das finster-abstrakte Ambiente seiner Ausstatter Renate Martin und Andreas Donhauser gar sehr zurückhaltend sind, aber sie sind es begreiflich in der Begegnung mit einer tief aufwühlenden Musik. (Michael Cerha,12.2.2023)