
Fedez und Rosa Chemical (rechts) haben sich bei der italienischen Regierung ziemlich unbeliebt gemacht.
"Es war ein wunderbares Festival – und morgen werden alle Führungskräfte der RAI entlassen", erklärte Showmaster Rosario Fiorello mit ironischem Unterton, nachdem am Samstag der Schlussvorhang der 73. Ausgabe des wichtigsten Unterhaltungsevents Italiens gefallen war. Zuvor waren die beiden Rapper Fedez und Rosa Chemical gemeinsam auf der Bühne des altehrwürdigen Ariston-Theaters in Sanremo gestanden. Dabei simulierten die beiden Männer mit eindeutigen Gesten einen Sexualakt und küssten sich anschließend auf den Mund.
Das bewusst inszenierte Skandälchen war der Tropfen, der für zahlreiche Parlamentarier der neuen Rechtsregierung – und dem Vernehmen nach auch für Ministerpräsidentin Giorgia Meloni – das Fass zum Überlaufen brachte.
"Ideologie einer fluiden Sexualität"
Fedez und Rosa Chemical hatten schon davor für Missstimmung in den Reihen von Melonis postfaschistischer Partei Fratelli d'Italia (FDI) gesorgt, schon vor Beginn des Festivals. Eine FDI-Abgeordnete forderte im Parlament, dass der Auftritt von Rosa Chemical verhindert werden müsse, da er die "Ideologie einer fluiden Sexualität" verbreite. Tatsächlich singt der Rapper auch von nicht-heterosexuellem Sex, von polygamer Liebe und von Pornos.
Fedez konterte den Angriff auf seinen Berufskollegen auf seine Weise: Er zeigte am Festival das Foto eines aktuellen Vizeministers der Meloni-Partei, der an einer Party in einer deutschen SS-Uniform seine Aufwartung gemacht hatte. "Rosa Chemical, der in Sanremo von der Liebe singt, geht nicht – aber ein solcher Vizeminister in der Regierung schon?" fragte der Rapper. Dann zerriss er das Foto demonstrativ.
Für die ultrarechten, neuen Regenten in Rom ist im Laufe des fünf Tage dauernden Festivals einiges an Ärgernissen zusammengekommen. Zuerst die Polemik über einen geplanten Video-Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Vizepremier Matteo Salvini fand dies unpassend.
Loblied auf die Verfassung
"In einem Ambiente von Popmusik, Ausgelassenheit, Freude, Lichtern und Pailletten ist ein solcher Auftritt daneben", erklärte Salvini. Sein früheres Idol Wladimir Putin hätte es nicht schöner sagen können. Nächster Frust: Am Eröffnungsabend hat der Komiker, Schauspieler, Regisseur und Oscar-Preisträger Roberto Benigni ein Loblied auf die Verfassung angestimmt – auch das wurde in der größten Regierungspartei als Kritik interpretiert.
Nicht weniger als 18 Parlamentarier haben inzwischen direkt oder indirekt die Auswechslung der Führungsspitze des öffentlich-rechtlichen Senders RAI gefordert, der das Festival in voller Länge überträgt. Ganz oben auf der Abschussliste stehen Geschäftsführer Carlo Fuortes sowie Unterhaltungschef Stefano Coletta.
"Politische Tribüne"
Die RAI-Führung, heißt es in den Reihen der Meloni-Partei, habe die Kontrolle über ihren Betrieb verloren, missachte das Gebot der Meinungsvielfalt im öffentlich-rechtlichen Sender, und sie habe das Festival am Vorabend der wichtigen Regionalwahlen in Latium und in der Lombardei in eine "politische Tribüne" der Opposition verwandelt. "Was in Sanremo passiert ist, reicht aus, damit die Unternehmensspitze sofort gehen muss", betonte Lucio Malan, Fraktionschef der Fratelli d'Italia im Senat.
Aber letztlich geht es bei der Aufregung um mehr – das zentrale Problem ist weniger ein politisches, sondern ein kulturelles. Es geht um die Deutungshoheit: Das Festival von Sanremo galt schon immer als Spiegel der italienischen Gesellschaft – und die neue Rechtsregierung fühlt sich und ihre Werte in der populären Veranstaltung nicht mehr abgebildet.
Kampf um Werte
Die alte RAI-Führung – Carlo Fuortes ist noch von Mario Draghi zum Chef gemacht worden – verkörpere noch ein anderes, vergangenes Italien; sie könne oder wolle nicht begreifen, dass sich mit der Wahl vom 25. September auch die vorherrschenden kulturellen Modelle geändert hätten. "Und diese bestehen unter anderem in der Verteidigung traditioneller Werte", betonte Gianmarco Mazzi, FDI-Staatssekretär im Kulturministerium. "Nach unserem Wahlsieg muss auch bei RAI das Narrativ angepasst werden."
Der angebliche linke Mainstream in den Medien und im öffentlichen Diskurs ist eine fixe Idee der postfaschistischen Fratelli d'Italia. Und weil ihre Mitglieder lange als eine Art politische Paria behandelt wurden, schwingt in ihrer Polemik rund um das Festival auch ein wenig Selbstmitleid und eine große Portion Revanchismus mit.
Keine linke Dominanz
Dabei vergessen die Postfaschistinnen und Postfaschisten, dass in Italien, wo sowohl die privaten als auch die öffentlich-rechtlichen TV-Sender jahrzehntelang vom rechtspopulistischen Ex-Premier und aktuellen Regierungspartner Silvio Berlusconi kontrolliert wurden und teilweise bis heute werden, wahrlich nicht von einer linken Dominanz die Rede sein kann.
Die Opposition findet die Kritik am Festival jedenfalls überzogen: "Wegen zwei Sprüchen von Fedez soll die RAI-Führung ausgewechselt werden? Das ist doch eine inakzeptable Intoleranz", erklärte Ex-Wirtschaftsminister Carlo Calenda von der Mitte-Partei Azione. (Dominik Straub aus Rom, 12.2.2023)