In der Stadt Jindayris in den syrischen Rebellengebieten inspizieren ein Mann und ein Bub einen Trümmerhaufen. In der Region kommt internationale Hilfe nur langsam an.

Foto: AFP / Bakr Alkasem

Knapp eine Woche nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien gibt es sie noch, die kleinen Hoffnungsschimmer. In der Provinz Hatay etwa wurden eine Schwangere und ihr Bruder sowie ein sieben Monate altes Baby aus den Trümmern gerettet. In Antakya wurde ein fünf Monate altes Baby nach 134 Stunden lebend geborgen.

Doch diese kleinen "Wunder" werden immer rarer, während die Opferzahlen stetig steigen. UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths erklärte am Samstag im Katastrophengebiet gar, die Opferzahl werde sich sicherlich noch "verdoppeln oder mehr". Zu diesem Zeitpunkt lag die offizielle Zahl der Toten bei rund 28.000, am Sonntag waren es bereits mehr als 35.000.

Auch die weiteren Opferzahlen sind niederschmetternd: Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnten bis zu 26 Millionen Menschen von der Katastrophe betroffen sein, darunter fünf Millionen Menschen, die schon zuvor besonders schutzbedürftig waren. Die EU-Kommission sagte der Türkei Sonntagabend die Lieferung von weiteren Zelten, Decken und Heizvorrichtungen zu

Gewalt im Krisengebiet

Als wäre die Situation nicht schon schlimm genug, hatten Rettungskräfte am Wochenende in der Türkei mit zunehmender Gewalt zu kämpfen. Das ging so weit, dass die 82 entsandten Soldatinnen und Soldaten des österreichischen Heers ihren Einsatz am Samstag zeitweise aussetzen mussten. "Gruppierungen sind sich gegenseitig aggressiv gegenübergestanden", sagte Hauptmann Marcel Taschwer vom Bundesheer dem STANDARD. Auch Schüsse waren offenbar zu hören, doch sei es nie zu Übergriffen auf österreichische Kräfte gekommen.

Helfer aus anderen Ländern wie etwa Deutschland waren ebenfalls betroffen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan räumte am Samstag ein, dass es "Plünderungen und Entführungen" gebe.

Plünderer festgenommen

Kriminelle nutzten offenbar die fehlende öffentliche Ordnung in den Bebengebieten aus, um sich zu bereichern. Daher verhängte Erdoğan über Teile des Landes den Ausnahmezustand, um so einfacher gegen mutmaßliche Plünderer vorzugehen. Samstagabend meldeten die Behörden 48 Festnahmen, bei den Personen wurden größere Geldsummen, Schmuck, Bankkarten, Computer, Handys und Waffen gefunden.

Noch Samstagnachmittag hieß es jedoch, dass das Bundesheer seinen Einsatz fortsetzen konnte. "Die türkischen Sicherheitskräfte schaffen uns ein sicheres Umfeld", sagte Oberstleutnant Pierre Kugelweis.

Doch nicht nur wegen Plünderungen kam es in der Türkei zu Festnahmen. Die Behörden nahmen verstärkt Bauunternehmen ins Visier, die dafür verantwortlich gemacht werden, dass so viele Gebäude eingestürzt sind. Laut offiziellen Angaben wird gegen 131 Menschen ermittelt, gegen mehr als 100 von ihnen wurde ein Haftbefehl erlassen.

Uno gesteht Fehler ein

Mehr und mehr in den Fokus der Erdbebenkatastrophe gerät die von den Rebellen gehaltene syrische Region Idlib. "Wir haben die Menschen im Nordwesten Syriens bisher im Stich gelassen", twitterte UN-Nothilfekoordinator Griffiths am Sonntag. Diese Menschen hätten das Gefühl, man habe sie aufgegeben. "Sie halten Ausschau nach internationaler Hilfe, die nicht eingetroffen ist."

Will man humanitäre Hilfe nicht über von der syrischen Regierung kontrollierte Gebiete fließen lassen, so steht nur ein Grenzübergang zur Verfügung. Doch diese Route wurde durch das Beben beschädigt, erst drei Tage nach der Katastrophe kam eine erste UN-Hilfslieferung an.

Hilferuf aus Idlib

Ahmed Rahmo, Projektkoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Idlib, erklärte, dass es an Wasser, Lebensmitteln und Medikamenten fehle. Kurz vor dem Beben gab es auch noch einen Schneesturm – "und nun leben viele Menschen in Zelten". Rahmo hofft auf rasche internationale Hilfe: "Es darf keine Zeit mehr verschwendet werden." (Kim Son Hoang, 12.2.2023)