Wien ist – für österreichische Verhältnisse – eine Stadt der unbegrenzten Möglichkeiten. Eines scheint allerdings ausgeschlossen: Im rot regierten Rathaus ist die bloße Denkvariante, dass der Wiener SPÖ in ihrem politischen Handeln Fehler unterlaufen könnten, augenscheinlich inexistent. Eindrücklich zeigte diese Haltung vor kurzem Gesundheitsstadtrat Peter Hacker. In einem ZiB 2-Interview auf die Lehren aus der Pandemiebekämpfung angesprochen, fiel dem Sozialdemokraten als einziger konkreter Fehler ein, dass die Stadt Wien die türkis-grüne Bundesregierung nicht von den besonders vorsichtigen und strengen Corona-Vorschriften in Wien überzeugen konnte. Unabhängig von der Bewertung, ob der Stadt tatsächlich Pannen unterlaufen sind, irritiert an Hackers selbstbewusstem Auftritt vor allem eines: der Mangel einer grundsätzlichen Bereitschaft zu ehrlicher Selbstreflexion. Und zwar einer, die auch als solche daherkommt – und nicht als Tarngewand für Tadel am politischen Mitbewerb.

Für die Wiener SPÖ, mit Vorsitzendem Michael Ludwig, ist die bloße Denkvariante, dass in ihrem politischen Handeln Fehler unterlaufen könnten, augenscheinlich inexistent.
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Diese Attitüde ist mehr als ein singulär aufpoppendes Relikt aus den Zeiten roter Alleinregierungen. Wie tief sie in den Köpfen der Wiener SPÖ-Granden, vom Bürgermeister und Parteivorsitzenden Michael Ludwig abwärts, verankert ist, wird auch abseits von Corona deutlich. Etwa wenn sich der Stadtchef rund um den drastischen Finanzbedarf der Wien Energie Versäumnisse partout nur in dem Unternehmen vorstellen kann – aber nicht im Rathaus. Oder die Partei die wiederkehrende Kritik an der Finanzkonstruktion des Donauinselfests zwischen Wiener SPÖ, Stadt und einem Verein demonstrativ kaltlässt – anstatt eine offene Debatte zu führen. "Bitte gehen Sie weiter, es gibt nichts zu sehen" ist Programm.

Anständige Fehlerkultur

Das Gegenteil braucht es: Eine anständige Fehlerkultur würde den Blick auf Chancen frei machen. Wer bereit ist, politisches Handeln zu reflektieren, kann daraus lernen und in Zukunft potenziell bessere Entscheidungen treffen. Angesichts der immer komplexer werdenden Probleme ist das dringend nötig und sollte im Sinne einer Regierungspartei sein. Obendrein würde ein solcher Zugang die ohnehin geringe Glaubwürdigkeit der Politik stärken – und damit die Demokratie. Denn dass sich Politikerinnen und Politiker irren können, ist zwar eine Binsenweisheit, im politischen Geschäft aber immer noch ein Zeichen von Schwäche und somit ein Tabuthema.

Es gäbe also in der Tat viel zu sehen. Wenn man sich traut, hinzuschauen. (Stefanie Rachbauer, 12.2.2023)