"Promethean Fire" des Wiener Staatsballetts an der Wiener Volksoper.

Foto: Taylor

Einen brandaktuellen neuen Tanzabend präsentiert Martin Schläpfer, Leiter des Wiener Staatsballetts, in der Wiener Volksoper. Promethean Fire ist aus vier modernen Choreografien zusammengesetzt, davon zwei von den renommierten US-Amerikanern Paul Taylor und Mark Morris. Die beiden anderen hat Schläpfer selbst beigesteuert. Thematisch werden Krisenstimmung und Geschlechterdebatten unserer Gegenwart miteinander verbunden.

Dass der Mythos vom prometheischen Feuer vor allem ein Gleichnis für ambivalente Handlungsweisen ist, spiegelt sich in Paul Taylors Werk – dessen Titel zu jenem für diesen Abend wird – ganz deutlich. Prometheus, "der Vorausdenkende", erwies sich entgegen seinem Namen als recht kurzsichtig. Denn die Idee, ein paar Funken von Helios’ Wagen zu stibitzen und so den Menschen gegen Zeus’ Willen das Feuer zu bringen, hatte unerwartete Konsequenzen.

Dumm gelaufen

Erstens wurde der aktivistische Titan vom Götterchef doch eher schmerzlich bestraft, später allerdings befreit, woraufhin sich die beiden wieder versöhnten. Zweitens jedoch bastelten andere Götter wiederum, darunter Hephaistos, Aphrodite und Athene, auf Zeus’ Anweisung die betörende Pandora mit ihrer schlimmen Büchse. Und aus war’s mit dem goldenen Zeitalter ohne Krankheit und Tod.

Seitdem wird dem schönen Schein nachgelaufen, koste es, was es wolle. Diese Kosten tanzen bei Paul Taylors Promethean Fire gleich zu Beginn mit acht Tänzerinnen und ebenso vielen Tänzern an, die zu Bachs berühmter "Toccata und Fuge in d-Moll" in Krieg und Zerstörung geraten. Dabei wird nicht ein dadurch verursachtes Chaos dargestellt, sondern das destruktive System hinter von Menschen verursachtem Leid.

Die Figuren auf der Bühne tragen trauerschwarze Body-Suits. Sie bewegen sich in perfekter Geometrie durch ihr Drama, in dem Protest aufkeimen und dadurch auch Hoffnung schimmern darf. Taylor wollte seinem Tanz eine versöhnliche Note verleihen und hat ihn wohl deswegen mit einem Weichzeichner gestaltet.

Mehr Schärfe

Dieser wird nicht zuletzt im Vergleich zu der nachfolgenden Arbeit deutlich: Schläpfers Sextett Lontano. Dessen Choreografie hat eine Schärfe, die bei Taylor fehlt. Zwei Frauen und vier Männer teilen sich zu György Ligetis Meisterwerk Lontano für großes Orchester (ziemlich perfekt: das Volksopern-Orchester unter Dirigent Jean-Michaël Lavoie) in einander häufig spiegelnde Trios auf und zeichnen eine kühle, dunkle Bewegungsstruktur.

Auch sie tragen hautenge Leotards, allerdings mit coolen geometrischen Mustern, was die geschliffene Formulierung ihres Tanzens noch unterstreicht. Diese strenge Linie löst Martin Schläpfer in dem flatternden Kleid auf, das die Tänzerin Sonia Dvořák für sein Solo "Ramifications" trägt.

Hier wechselt der thematische Fokus in den Geschlechterzusammenhang. Unter dem englischen Begriff "ramifications" sind einerseits Folgen eines Ereignisses oder Verästelungen einer Entwicklung zu verstehen. Beide Bedeutungen passen hier zum Stück. Sieht man dieses als Konsequenz aus Taylors Promethean Fire und Schläpfers Lontano, werden mögliche Ursachen für die Anspannung der von Dvořák brillant getanzten Figur erkennbar.

Die Verästelungen dagegen zeigen sich im Tanz selbst, der eine starke Frau vorführt, die – ebenfalls zu einer Ligeti-Komposition – gegen etwas Unbekanntes ankämpft, das sie aufzuspalten droht.

Die Vorurteile

Zum heiter-spritzigen Abschluss dieses Prometheus-Abends erinnert Beaux von Mark Morris daran, dass der Tanz schon sehr lange patriarchale Männerbilder verunsichert. Tänzer haben traditionell mit homophob motivierten Vorurteilen zu kämpfen. Erst in unserer genderbewussten Gegenwart wird klar, wie politisch Männerkörper im Ballett gedeutet werden können. Auch das passt in unsere Gegenwart: Mark Morris’ neun Feschaks spielen über diese machistischen Feindseligkeiten hinweg, ohne je eitel oder narzisstisch zu wirken. Ein, man könnte sagen, zu Recht umjubelter Abend. (Helmut Ploebst, 13.2.2023)