Das Wiener Handelsgericht soll international attraktiver werden.

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Es mag auf den ersten Blick verwundern, aber auch Gerichte haben internationale Konkurrenz. In der globalen Wirtschaftswelt wird penibel ausgewählt, an welchen staatlichen Gerichten oder privaten Schiedsgerichten Rechtsstreitigkeiten ausgetragen werden: Wo sind die Verfahren am billigsten? Wo am schnellsten? Und wo ist auf die Unabhängigkeit der Gerichte am ehesten Verlass?

Aus Sicht von Maria Wittmann-Tiwald, Präsidentin des Handelsgerichts Wien, hat Österreichs Attraktivität als Standort für Gerichts- und Schiedsverfahren zuletzt eingebüßt. Bereits jetzt sei spürbar, dass große Verfahren in Länder wie die Schweiz oder Liechtenstein abziehen, sagt Wittmann-Tiwald im STANDARD-Gespräch. Österreich verliere damit nicht nur Gebühren, sondern auch wirtschaftliche Impulse für Unternehmen und Rechtsdienstleister. Die Justiz habe mit ihrem guten Image zwar ideale Voraussetzungen, verliere aber den Anschluss.

Verfahren auf Englisch

Gemeinsam mit mehreren Fachkolleginnen wie Anwältin Bettina Knötzl hat Wittmann-Tiwald einen detaillierten Vorschlag erarbeitet, der Österreich als Gerichtsstandort wieder attraktiv machen soll. Der Fokus des Konzepts liegt auf der Einrichtung englischsprachiger Verfahren, die zunächst in Form eines Pilotprojekts starten und dann auf alle drei Instanzen ausgerollt werden sollen. Derzeit ist die offizielle Gerichtssprache Deutsch. Schriftstücke und Aussagen müssen stets übersetzt werden, was mitunter großen Aufwand verursacht.

Problematisch sind aus Sicht der Expertinnen auch die hohen Gerichtsgebühren, die dazu führen, dass Streitparteien ihren Rechtsschutz bei großen Streitwerten in anderen Ländern suchen, um das finanzielle Risiko zu minimieren. Dazu kommt, dass in Österreich auch bei gerichtlichen Vergleichen kostspielige Gebühren anfallen. Diese sollten laut dem Konzept völlig gestrichen werden.

Die Juristinnen schlagen zudem Fast-Track-Verfahren vor. Die Idee: Prozessbeteiligte könnten sich bereits im Vorfeld auf einen bestimmten Verfahrensablauf einigen und etwa nur bestimmte Beweismittel zulassen. In privaten Schiedsverfahren, die immer beliebter werden, ist das bereits üblich. Dasselbe gilt für Verhandlungen per Videochat, wie sie aufgrund der Pandemie zuletzt auch an staatlichen Gerichten möglich waren. Laut dem Konzeptpapier soll diese Regelung erhalten bleiben.

Ministerium ist offen

Wittmann-Tiwald und ihre Kolleginnen haben ihre Vorschläge bereits an das grüne Justizministerium übermittelt. Dort zeigt man sich auf STANDARD-Anfrage grundsätzlich aufgeschlossen. Derzeit prüfe das Ministerium die Ideen der Fachleute. Hinsichtlich der Einführung von Fast-Track-Verfahren werde man eine Arbeitsgruppe bilden. Bei der Überführung der Videoprozesse ins Dauerrecht laufe die politische Abstimmung, konkrete Ergebnisse stünden noch aus.

Erst vor wenigen Wochen hatte der deutsche Wirtschaftsminister Marco Buschmann (FDP) ein Eckpunktepapier zur Attraktivierung des Gerichtsstandortes veröffentlicht. Zentrales Vorhaben ist auch hier die Einführung englischsprachiger Gerichtsverfahren. (Jakob Pflügl, 14.2.2023)