Eigentlich dürfen Staatssekretärinnen und Staatssekretäre ihre Höchstgehälter von rund 17.200 Euro rein rechtlich erst dann beziehen, wenn ihnen ihre Aufgaben in ihren Ministerien auch formalrechtlich zugeteilt wurden. In vier Fällen der amtierenden türkis-grünen Regierung dauerte das gesetzliche Prozedere allerdings mehrere Tage oder sogar etliche Wochen. Dennoch flossen die höheren Bezüge sofort auf die Konten der Politikerinnen und Politiker. Die Opposition schäumt und verlangt eine prompte Rückzahlung. Die fast 2000 Euro Unterschied im Gehalt könnten gesetzeswidrig gewesen sein.

Die beiden Staatssekretäre Florian Tursky und Claudia Plakolm (beide ÖVP).
Foto: Parlamentsdirektion/Thomas Jantzen

Frage: Noch einmal von Anfang an. Was ist da überhaupt passiert?

Antwort: Das Kanzleramt nennt es "Staatspraxis". Die Opposition und juristische Fachleute sprechen hingegen von legistischer Schlampigkeit und Rechtsbruch: In Österreich dürfte es nämlich so sein, dass Staatssekretärinnen und Staatssekretäre seit 25 Jahren mit dem Tag ihrer Angelobung automatisch das Höchstgehalt beziehen – auch wenn ihre Aufgabe in einem Ministerium gesetzlich noch gar nicht in Stein gemeißelt ist. Diese gelebte Praxis wird nun der türkis-grünen Bundesregierung zum Vorwurf gemacht, nach dem die aktuellesten Fälle durch parlamentarische Anfragen von Neos und SPÖ bekannt wurden.

Frage: Um wen geht es dabei konkret?

Antwort: Bei Andrea Mayer (Grüne), zuständig für Kunst und Kultur, sind es fünf Tage Überbezug; bei Claudia Plakolm (ÖVP) im Jugendstaatssekretariat 30 Tage und bei Digitalsekretär Florian Tursky sowie dessen Pendant im Tourismusbereich, Susanne Kraus-Winkler (beide ÖVP), sind es jeweils 68 Tage.

Frage: 68 Tage sind auffallend lang. Warum hat es sich ausgerechnet in diesen Fällen besonders gezogen?

Antwort: Zunächst mussten die Agenden für Digitales und Tourismus ihren Ministerien neu zugeordnet werden. Dann kam es im Fall Turskys auch zu Verzögerungen. Es gab unionsrechtliche Bedenken, ob dessen neues Staatssekretariat tatsächlich vom Wirtschafts- ins Finanzministerium wandern könne. Gemäß einer EU-Vorgabe müssen die Bereiche Telekommunikation und Digitales nämlich getrennt geführt werden. Dann kam es auch zu einem fehlerhaften Beschluss im Parlament – davon war auch Kraus-Winkler betroffen. Daher dauerte das Prozedere um das Ministeriengesetz zwei Monate.

Frage: Aber ist das tatsächlich ein so großer Skandal? Arbeiten Staatssekretäre nicht sowieso gleich voll in ihrem Bereich?

Antwort: Zumindest der Verwaltungsrechtler Peter Bußjäger sieht die Sache nicht ganz so streng. "Man kann das eine wie das andere argumentieren", sagt er. Solange eine Staatssekretärin oder ein Staatssekretär nicht formell zuständig sei, könnte man diese Zeit allenfalls als Einarbeitungsphase betrachten, in der das niedrigere Gehalt gerechtfertigt sei. Allerdings sei es in der Realität so, dass Politiker in dieser Position de facto am ersten Tag die ihnen zugeteilten Agenden übernehmen würden. "Es braucht vielleicht ein paar Tage, bis die Schreibtische neu geordnet sind, aber dann läuft das und die Änderungen im Gesetz werden dann nachvollzogen", erklärt Bußjäger. "Als höheres Gehalt ohne Arbeit würde ich das jedenfalls nicht betrachten." Bußjäger geht auch davon aus, dass es bei Ministerinnen und Ministern bereits Fälle gab, bei denen gesetzliche Änderungen verspätet nachvollzogen wurden.

Frage: Aber es gibt doch mit Sicherheit auch Argumente gegen den Überbezug, oder?

Antwort: Durchaus. Der Verfassungsrechtler Heinz Mayer beharrt darauf, dass es rein rechtlich einen beträchtlichen Unterschied unter Staatssekretärinnen und Staatssekretären gebe– und der liege in der höheren Verantwortung. Wenn Staatssekretärinnen und Staatssekretäre einen eigenen Bereich in einem Ministerium verantworten, "haben sie nach außen hin die Befugnis, anstelle des Ministers Entscheidungen zu treffen und Abschlüsse zu erzielen, auch wenn sie weiterhin an dessen Weisung gebunden sind", sagt Mayer. "Wenn das nicht rechtsgültig übertragen wurde, gibt es diese Befugnis nicht und daher auch kein Recht auf Überzahlung."

Frage: Könnte man einen Mittelweg zwischen den Positionen gehen und das Gesetz ändern?

Antwort: Auch das sehen die beiden Juristen unterschiedlich. Bußjäger nennt die gelebte Staatspraxis als "schlampig" und befindet, dass das Gesetz die Arbeit der Staatssekretärinnen und Staatssekretäre berücksichtigen müsse, auch wenn die Formalien noch fehlen. Mayer hält das für nicht notwendig. Jede Ministerin und jeder Minister könne Aufgaben unmittelbar per Verordnung übertragen. Und ein Ministeriengesetz mit der neuen Aufgabenstruktur sei eigentlich flott geändert. Der Jurist vermutet eher, dass sich auch die Ministerien "nichts pfeifen und offenbar niemand sagt: ‚Hallo, so geht das nicht!‘".

Frage: So viel zum Rechtlichen. Aber wer teilt die Gehälter eigentlich zu?

Antwort: Das Bundeskanzleramt ist für die Auszahlung der Staatssekretärsgehälter zuständig, wie die ZiB 2 am Sonntag berichtete. Laut STANDARD-Recherchen hat zumindest in einem Fall der Ministerratsdienst das Gehalt festgelegt. Sobald einem Staatssekretär Zuständigkeiten zukommen sollen, soll gleich das höhere Gehalt aufs Konto fließen, heißt es. Das Kanzleramt und das Beamtenministerium wollen die Sache nun prüfen.

"Sollte sich herausstellen, dass die bisherige Handhabung nicht korrekt war, dann werden die StaatssekretärInnen der aktuellen Bundesregierung die Differenzbeträge selbstverständlich rückerstatten", teilt ein Sprecher aus Turskys Büro mit.

Frage: Und was sagt die Opposition dazu?

Antwort: SPÖ und Neos im Bundesrat, die das Thema aufgebracht haben, fordern eine Rückzahlung. Auch "als Respekt gegenüber den Steuerzahlerinnen", sagte der rote Bundesrat Sascha Obrecht in der ZiB 2. "Das ist eine gesetzliche Regelung, die wurde missachtet." (Jan Michael Marchart, 14.2.2023)