Im Gastblog schreibt die New Yorkerin Stella Schuhmacher über ein Gespräch mit einer Ukrainerin, die vor dem Krieg in die USA geflüchtet ist.

"Ich trage die Verantwortung, positiv zu bleiben, auch wenn ich verzweifelt bin," meint die 26-jährige Alina. Sie stammt aus Kiew in der Ukraine und lebt seit August letzten Jahres in New York. Die junge Frau wirkt trotz ihrer schwierigen Situation, sie ist allein in den Big Apple gekommen, zufrieden, stark und zuversichtlich. Alina arbeitet zurzeit für Commonpoint Queens, einer Organisation, die Asylsuchenden sowie Migranten und Migrantinnen durch Jobtraining, Sprachkurse, Arbeitsplatzvermittlung oder bei der sozialen Integration hilft.

Dort betreut sie ausschließlich Ukrainer und Ukrainerinnen, die seit Kriegsausbruch in die Vereinigten Staaten gekommen sind. So wie sie selbst. "Ich versuche, möglichst vielen zu helfen. Manchmal ist es schwer, alles zu verarbeiten," erzählt Alina. Wenn Sie mit einer schwierigen Situation konfrontiert ist, zeige sie ihre Gefühle nicht. "Ich versuche, Hoffnung zu geben, aufzumuntern und zu helfen." Trotzdem hat sie ständig das Gefühl, dass ihr Einsatz nicht genug sei, dass sie vieles besser machen könnte. "Aber wenigstens tue ich etwas," meint sie.

Flucht aus Kiew

Als der Krieg ausbrach, machten sich Alinas Eltern große Sorgen um die Sicherheit ihrer Kinder. Innerhalb weniger Tage entschloss sich Alina zur Flucht aus Kiew, gemeinsam mit ihrer besten Freundin und deren Kleinkind. "Meine Eltern fuhren uns an die polnische Grenze", erzählt die junge Frau. Die Fahrt dorthin war sehr gefährlich. "Wir hörten viele schreckliche Geschichten, besonders in den ersten Kriegswochen. Aber Gott sei Dank ist alles gut gegangen." Ihr großer Bruder floh nach Dänemark. Die Eltern und Großeltern blieben in Kiew zurück. Um die Leere ihrer Wohnung nach der Abreise ihrer Kinder ertragen zu können, legten sich Alinas Eltern eine graue Katze namens Oskar und den Hund Akbar zu. Alina strahlt, als sie von den Tieren erzählt.

Alinas Eltern adoptierten eine Katze und einen Hund nach Kriegsausbruch.
Foto: Alina

In Polen lebten die beiden jungen Frauen zunächst in einer kleinen Wohnung in Łódź. "Ich half meiner Freundin mit ihrem Sohn. Es war emotional eine sehr harte Zeit. Wir haben versucht, uns irgendwie im Leben zurechtzufinden." Danach beschloss Alinas Freundin, nach Deutschland weiterzuziehen. Sie sprach Deutsch und hoffte, dass das Leben dort einfacher sein würde. "Ehrlich gesagt hatte ich damals eine Depression. Ich lebte in einer Art Blase, arbeitete und überlebte. Ich war nicht bereit für eine weitere Reise", meint Alina. Sie sagte ihrer Freundin, dass es ihr leid täte, aber dass sie in Polen bleiben würde. "Ich hoffte, dass ich bald wieder nach Hause könnte. Ich wollte zurück nach Kiew. Mein Leben war völlig ruiniert. Davor hatte ich so viele Pläne. Es war sehr schwer für mich, die neue Realität zu akzeptieren."

Weiterreise in die USA

Alina hatte einige Jahre zuvor Online-Englischunterricht bei einem amerikanischen Lehrer genommen. Als der Krieg ausbrach, meldete er sich bei ihr und fragte, wie es ihr gehe und ob er irgendetwas für sie tun könne. "Ich war in Polen, als er mir schrieb und fragte, ob ich in die USA kommen wollte." Er bot an, einen Antrag im Rahmen von "Uniting for Ukraine" für sie auszufüllen. Dieses Programm bietet ukrainischen Bürgerinnen und Bürgern eine Möglichkeit, in die Vereinigten Staaten zu kommen und vorübergehend für bis zu zwei Jahre zu bleiben. Ukrainer und Ukrainerinnen, die an dem Programm teilnehmen, brauchen jemanden in den Vereinigten Staaten, der sich bereit erklärt, sie für die Dauer ihres Aufenthalts finanziell zu unterstützen.

"Mein Englischlehrer hat eine große Familie. Er meinte er wollte mir helfen, könne mir aber keine Unterkunft anbieten. Ich müsste eine andere Wohnmöglichkeit organisieren." So entschied sich Alina, nach New York weiterzureisen. Für die ersten Wochen konnte sie bei ukrainischen Freunden in einem Vorort der Stadt unterkommen. "Das war sehr hilfreich für mich. Aber dann beschloss ich, dass ich in die Stadt ziehen musste, um einen Job zu suchen." Alina arbeitete zu dem Zeitpunkt remote für ihren alten Arbeitgeber, eine IT-Firma. Das an ukrainische Verhältnisse angepasste Gehalt reichte für New York nicht aus und machte die Jobsuche notwendig. "Ich wollte etwas finden, um mich in meiner Situation etwas sicherer zu fühlen. Es ist schwer, das Leben bei null zu beginnen. Man braucht einen Job und eine Wohnung."

Alina wandte sich an die Organisation Commonpoint Queens um Hilfe. Zufällig war dort gerade eine Stelle als Case Manager frei und Alina war die ideale Kandidatin. "Das war großartig, weil es mir die Möglichkeit gibt, ukrainischen Flüchtlingen zu helfen. Das ist sehr befriedigend. Die Gehaltsspanne ist viel besser als bei meinem vorherigen Job." Alina fühlt sich in New York sehr wohl, trotz ihrer schwierigen und ungewissen Situation. Sie spricht fließend Englisch und findet sich mittlerweile in der Stadt zurecht. "Die Navigation in der Stadt oder der U-Bahn war anfangs schwierig. Aber jetzt kenne ich mich aus. Zuerst war ich irgendwie verloren." Die Herausforderungen sind dennoch groß. "Ich bin allein für mein Leben verantwortlich. Ich muss die ganze Zeit mutig und stark sein. Glücklicherweise habe ich einige Freunde hier, die im Notfall helfen würden."

Hier werden Küchenhilfen von Commonpoint Queens ausgebildet.
Foto: Stella Schuhmacher

Auf die Frage, welche Träume und Hoffnungen sie für die Zukunft habe, antwortet sie ohne Zögern: "Ich habe nur einen einzigen Traum. Ich denke, du kannst dir vorstellen, welchen. Ich will, dass der Krieg endet." Jeden Tag, morgens und abends, schaue sie Nachrichten. "Es ist mein Wunschtraum, dass alle Ukrainer und Ukrainerinnen sicher sind." Sofort nach dem Aufwachen meldet sie sich bei ihren Eltern in Kiew um zu fragen, ob alles in Ordnung sei.

Die Situation in der Ukraine sei entsetzlich. "Die meisten haben nicht die Möglichkeit zu fliehen und befinden sich die ganze Zeit in Gefahr.“ Die Leute würden arbeiten und einfach weitermachen. Trotz niedriger Wintertemperaturen gäbe es keinen Strom. "Der emotionale und körperliche Stress ist enorm", meint Alina. Beim letzten Telefonat erzählte ihr ihre Mutter, dass auch an dem Tag wieder jemand ums Leben gekommen war. Der Krieg habe eine vereinigende Wirkung auf die ukrainische Bevölkerung, meint Alina. "Ich spreche Ukrainisch, habe aber auch Russisch gelernt. Wir alle haben gemischte Familien. Viele sprechen beide Sprachen. Jetzt sind alle vereint gegen die Russen. Wir sprechen nur mehr Ukrainisch, um zu zeigen, dass wir anders sind als sie."

Eine ungewisse Zukunft

Für sich selbst hätte sie keine konkreten Zukunftspläne und hat vor, sich an die Umstände anzupassen, je nachdem, was passiert. "Schritt für Schritt. Im Moment will ich, dass der Krieg endet." Im Rahmen des "Uniting for Ukraine" Programmes kann sie zwei Jahre in den USA bleiben. Die Hilfsleistungen, die sie in Anspruch nehmen kann, sind begrenzt. "Vielleicht ändert die amerikanische Regierung das Programm und verlängert es auf vier Jahre", hofft Alina. "Es hängt vom Krieg ab. Ich habe noch etwas Zeit hier und dann werde ich sehen."

In ihrer Arbeit sei es manchmal schwierig, eine professionelle Distanz zu wahren. "Wir führen ein Aufnahmegespräch mit den Ankömmlingen, um herauszufinden, was sie brauchen. Manchmal erzählen sie uns auch ihre Fluchtgeschichten." Einige kommen als Familie gemeinsam, andere allein. Jeder und jede habe andere Erfahrungen gemacht. "Ich denke, es ist emotional einfacher, wenn die ganze Familie zusammen ist. Es ist schwieriger als alleinerziehende Mutter zum Beispiel. Sie fühlen sich oft verloren." Viele Ukrainer und Ukrainerinnen kommen ohne englische Sprachkenntnisse, was schwierig sei. Alina ist dankbar dafür, helfen zu können: "Ich konzentriere mich auf meine Arbeit und bin zufrieden." (Stella Schuhmacher, 17.2.2023)

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