"Es ist schon eine recht dreckige Angelegenheit", stellt Herbert Oberacher trocken fest. Dabei schwenkt er ein Gefäß mit einer leicht trüben Flüssigkeit – eine "wilde Mischung aus verdünnten Fäkalien, Abwasser von Industrie, Gewerbe und Haushalten". Oberacher, der an diesem Montag Hemd und silberne Krawatte unter seinem weißen Mantel trägt, fungiert als wissenschaftlicher Leiter des Sars-CoV-2 Abwassermonitorings am Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck. Dort spricht er, das Gefäß mit dem Abwasser in der Hand, zu Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und Vertreterinnen und Vertretern der Presse, die an diesem Tag zum Rundgang durch die Laborräumlichkeiten geladen wurden.

Eine Abwasserprobe – für Herbert Oberacher, den wissenschaftlichen Leiter des Sars-CoV-2 Abwassermonitorings, ein "Informationsschatz".
Foto: Stefan Adelsberger/APA

Für Oberacher ist die wilde Abwassermischung ein "Informationsschatz". In einer Abwasserprobe sind nämlich bis zu mehrere Tausend Viren enthalten – unter anderem auch das Coronavirus. Sogenannte abwasserepidemiologische Untersuchungen, wie sie in Innsbruck schon seit 2015 durchgeführt werden, wurden dadurch während der Corona-Pandemie plötzlich auch politisch höchstrelevant. Schließlich ließen sich so Informationen über die Verbreitung des Sars-CoV-2 Virus sammeln und sich das weitere Infektionsgeschehen vorhersagen. Und das schnell, kostengünstig und unabhängig von der Testbereitschaft der Menschen. Auch neuen Varianten kam man durch eine Untersuchung des Abwassers auf die Spur.

Abwasser erlaubt Rückschluss auf 58 Prozent der Bevölkerung

Jetzt will die türkis-grüne Koalition sämtliche Corona-Krisenmaßnahmen bis Ende Juni beenden – und der Abwasseranalyse kommt eine ganz besondere Bedeutung zu. In den Worten des Gesundheitsministers: "Wir wollen auch bei einer auslaufenden Pandemie die Wachtürme stehen lassen." Das Abwassermonitoring sieht er nämlich als "Warnsystem". Es ermögliche "einen genauen Überblick über das Infektionsgeschehen" und sei damit "ein besonders wertvolles Hilfsinstrument, um vom Pandemiemodus in den Normalbetrieb übergehen zu können". Das Monitoring soll also – trotz auslaufender Maßnahmen – beibehalten werden.

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) begutachtet die Laborräumlichkeiten am Innsbrucker Institut für Gerichtsmedizin.
Foto: Stefan Adelsberger/APA

Bereits im Jänner des vergangenen Jahres wurde in Innsbruck eine sogenannte "Nationale Referenzzentrale" für das Sars-CoV-2-Abwassermonitoring eingerichtet. Im Auftrag des Gesundheitsministeriums wurde das Programm nun, ein Jahr später, ausgeweitet – von bisher 24 auf 48 strategisch ausgewählte Kläranlagen in ganz Österreich. Damit erlaube das Programm Rückschlüsse auf die Virusbelastung von rund 58 Prozent der Bevölkerung – also rund fünf Millionen Menschen, schwärmt Rauch und verortet Österreich im "europäischen Spitzenfeld".

Aufschlussreicher Abfluss

Wie aus dem Abfluss Aufschlüsse gezogen werden erklärt Oberacher so: In jeder der teilnehmenden Kläranlagen werden zweimal pro Woche "mengenproportionale 24-Stunden-Mischproben" am Zulauf gesammelt. Diese werden dann in Plastikflaschen zu je einem halben Liter zur Analyse nach Innsbruck geschickt. Der Transport erfolgt mit speziellen Boxen, die üblicherweise bei Medikamentenlieferungen eingesetzt werden. Die Proben müssen nämlich gekühlt werden, damit sich das Virus nicht abbaut. Nach dem Eintreffen der Proben werden diese aufbereitet.

"Wir nehmen die Proben sehr oft in die Hand", erläutert Oberacher. Schließlich enthielten sie "sehr viel anderes und wenig RNA". Um diese zu extrahieren, wird die Flüssigkeit in einem ersten Schritt durch eine Zentrifuge gejagt, damit sich der grobe Dreck absetzt. Dann werden "virale Genome" aus dem Abwasser selektiv herausgefiltert – händisch und mithilfe von Robotern. Aus einem halben Liter werden so in vielen Schritten wenige 100 Mikroliter extrahiert. Übrig bleibt schlussendlich ein "sehr reiner, sehr klarer" Überstand, anhand dessen schließlich die Sars-CoV-2 Konzentration bestimmt werden kann.

In Zusammenarbeit mit dem Institut für Virologie an der Medizinischen Universität Innsbruck erfolgt dann ein erstes Screening, um herauszufinden, welche Virusvarianten vorliegen. Danach sequenziert auch noch das Cemm-Forschungszentrum für Molekulare Medizin in Wien die Abwasserproben. Die Aufbereitung und Veröffentlichung der Daten erfolgt über das Gesundheitsministerium.

Beim Abwassermonitoring kooperiert das Institut für Gerichtsmedizin mit dem Institut für Virologie und dem Cemm-Forschungszentrum für Molekulare Medizin in Wien.
Foto: Cristof Simon/MUI

Eines von vielen Indikatoren für die Pandemiepolitik

Die Erkenntnisse aus dem Abwassermonitoring sind eine von einer ganzen Reihe an Indikatoren, um den weiteren Umgang mit dem Coronavirus politisch zu rechtfertigen, betont Rauch. Es gebe keinen konkreten Grenzwert. Aktuell ist das Abwassermonitoring für Sars-CoV-2 jedenfalls bis zum Herbst 2025 ausfinanziert. Die Kosten belaufen sich seit der Ausweitung auf 48 Kläranlagen auf rund zwei Millionen Euro pro Jahr.

Die ersten abwasserepidemiologischen Untersuchungen wurden in Innsbruck bereits 2015 durchgeführt. Seit 2016 wird das Abwasser etwa auf Drogenrückstände untersucht. Die Ergebnisse werden im Nationalen Drogenbericht veröffentlicht. Das Sars-CoV-2 Monitoring habe am Institut für Gerichtsmedizin aber ein Umdenken erfordert, berichtet Oberacher beim Rundgang durch die Labore. Dort pipettieren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, andere pflegen Daten in den Computer ein, Zentrifugen piepsen, Maschinen surren. Nach wie vor gehe es zwar um "die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen", sagt Oberrauch – den Zeitdruck sei man aber nicht gewohnt gewesen.

Geht es nach ihm, so würden Erkenntnisse aus dem Abwasser künftig ein "zentraler Baustein im Bereich Öffentliche Gesundheit". Schließlich könne man "aus demselben Töpfchen" mehrere Proben nehmen. "Jede Menge Dinge" könnten dort nachgewiesen werden – "wenn man danach sucht". So könne man etwa umweltrelevante Chemikalien oder andere Viren extrahieren. "Das Abwasser ist ein Spiegel der Gesellschaft." (Maria Retter, 13.2.2022)