Drinnen oder draußen Rad fahren? Draußen macht mehr Spaß, wegen der Luft, der Abwechslung, der Erlebnisse und der Begegnungen. Und wegen all der Dinge, die man nicht planen kann, wie Zufälle, Glücks- und Pechmomente.

Foto: Tom Rottenberg

Das Draußen fordert den Kopf. Man muss aufmerksamer, alerter sein. Radfahren lernt man beim Radfahren. Und auch, Weg, Wetter und Wind zu lesen.

Man lernt über sich, was man kann, was nicht, was man will und wo die eigenen Grenzen liegen.

Draußen lehrt Demut – aber vor allem Freude. Freude an und über kleine Dinge. Dinge, die man drinnen nicht einmal wahrnehmen würde.

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Etwa, dass das Winter im Flachland sich heute anders anfühlt als noch vor fünf oder 15 Jahren. Wenn man im Februar draußen so easy unterwegs sein kann, ist das schon ge- und erlebter Klimawandel? Verklärt man Erinnerungen an Häufigkeit und Härte weißer Winter in der Stadt nicht? Schauen und beobachten wir heute mit anderem Fokus?

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Aber abgesehen von den Indizien der anbahnenden Katastrophe, ist Draußensein einfach spannend. Vor allem, wenn man die Augen offenhält und nicht nur stur auf Watt-, Tempo- und andere Anzeigen am Bordcomputer schaut.

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Etwa wenn im Dickicht der Singletrails der oberen Donauinsel-Plastik-Spritzgusssessel herumliegen, hölzerne Gartensessel mit einem Stahlkabel an einem Baum gesichert sind, und darüber – mitten im Wald – ein Schild um die Rückgabe der "Leihsesseln" bittet. Drei Meter weiter liegen gut 50 Einwegmineralwasserflaschen. Leer – aber fein säuberlich aufgestapelt. Weit und breit kein Mensch.

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Im Donaupark, unter dem Donauturm, hängt ein Gleitschirm verheddert im Baum. Da war aber kein Flugzeug, da war kein Hubschrauber, aus dem irgendwer hätte springen können. Und einen Gleitschirmspringer vom Turm hätte man im Himmel Transdanubiens gesehen, sehen müssen.

Die Kites, die beim Schulschiff von rollenden "Landboards" aus gesteuert werden, sieht man schließlich auch schon Kilometer davor.

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Doch der Mann, der da – unterstützt von zwei französischen Touristen – seinen Schirm aus dem Baum klaubt, ist nicht gesprungen. Wollte gar nicht fliegen: Er habe versucht, auf der Papstwiese das Handling mit den Leinen zu üben. Bis ihn eine Böe erwischte, hoch- und mitriss. 150, vielleicht sogar 200 Meter vom Baum entfernt, stehen sein Scooter und eine Thermosflasche auf der Wiese: ein Anfängerfehler – der böse enden können hätte.

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Der Wind, heißt es beim Radfahren – und auch beim Laufen –, ist dein Freund: Er macht dich stark. Böen mit 50 km/h und mehr, dazu satter Gegenwind, sagen aber etwas anderes.

Dann kann es sein, dass man die zweite Hälfte einer Dreistundenrunde drinnen fährt. Auf Rolle, Smarttrainer oder Zimmerfahrrad – mit Müsli, Espresso und Netflix.

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Wobei das Drinnen Tücken hat: Dass Wind nicht nur quält, sondern auch kühlt, ist für viele, die sich bei (reduzierter) Zimmertemperatur drinnen das erste Mal auf die Rolle setzen, oft eine Überraschung. Nicht nur, weil Schweiß in Strömen in die Augen rinnt, auch, weil man zusehen kann, wie das Raumthermometer nach oben klettert.

Rolle-Radeln zählt doppelt, sagen viele. Auch deshalb – obwohl das eher dem Ennui, dem Fehlen der oben beschriebenen Draußen-Faktoren, geschuldet ist.

Foto: Tom Rottenberg

Das Durchhalten auf dem Zimmerrad ist heute einfacher als früher: Der Test-Radcomputer (ein Hammerhead – hier schon kurz beschrieben) lädt dazu ein, "fliegend" und im gleichen Trainingsset, das Profil von "draußen mit Navi und Track" auf "indoor" zu wechseln. Aber dem Rollen-Ennui begegnet man anders: in virtuellen Fahrradwelten.

Wobei da lediglich die Bilder simuliert sind – die Anstrengung ist real. Sehr real.

Foto: Tom Rottenberg

Wobei die Grenzen verschwimmen: Fuhr man in den vergangenen Jahren mit und gegen Playmobil-Avatare durch animierte Umgebungen der US-Plattform Zwift, hat sich das Universum heute ausgedehnt. Nicht weil es andere Plattformen nicht auch früher gegeben hätte – sondern weil sie aufgeholt haben. Sowohl bei Usability, Features, Angebot als auch Verbreitung. Auf einer auf dem tschechischen "Rouvy" realistisch abgefilmten Runde um den Gardasee einen alten Schulfreund zu treffen kann was.

Foto: Tom Rottenberg

Natürlich könnte man jetzt diskutieren, ob das – mit ein paar Zimmer-Bikes mögliche – Spurwechseln auf Zwift mehr kann, als der Blick auf den Zuckerhut von Rio, die Golden-Gate-Bücke oder französische Tour-de-France-Alpenpässe bei Rouvy. Ohne Grund finden die E-Sports-Weltmeisterschaften der UCI, der internationalen Radsport-Organisation, ja nicht auf Zwift (und zwar diese Woche) statt.

Oder aber man fragt sich, ob man nicht gleich das neue, angeblich beinahe "echte" Spurwählen von Wahoos "RGT-System" bevorzugt. Oder das (fast) energieautarke "Straßenfeeling" – gemeint ist unter anderem das Übertragen von Bodenunebenheiten – bei Tacx/Garmin (mehr darüber gibt es unter anderem hier nachzulesen).

Foto: screenshot: zwift

Mittlerweile haben – hört man – auch Touristiker die Potenziale solcher Radreisen entdeckt. Verständlich: Japanische Küstenstraßen, südafrikanische Nationalparks oder das Death Valley am Schirm machen tatsächlich Lust auf das "real thing".

Das gilt mittlerweile auch für Wien. Obwohl man sogar auf der Rouvy-Site-Cycling-Route spürt, dass Wien immer noch autooptimiert ist. Auf der Rolle erlebt man das aber immerhin ohne die Nahtoderlebnisse des realen Stadt-Rad-Alltages. Allein das ist das Anmelden zur Gratistestphase wert.

Foto: Tom Rottenberg

Wobei – bei mittlerweile allen Plattformen – die fließende Grenze zum "echten" Draußen-Radeln anderswo relevanter ist: Wer sich drinnen aufs Draußen vorbereiten will, fährt nicht nur virtuelle Programme und Panorama-Traumstrecken, sondern übt auch Wettkampfrouten.

Die lassen sich heute beinahe auf jede Uhr und jeden Radcomputer spielen, die mit einem Smart-Trainer, einer Rolle also, kommunizieren können: Jeder Anstieg, jede Abfahrt wird dann eins zu eins als Änderung im Roll-Widerstand spürbar.

Foto: Tom Rottenberg

Noch authentischer – und manchmal ja fast furchteinflößend "nahe" – wird es, wenn eine in ein paar Wochen anstehende Wettkampfstrecke vorab auch am Bildschirm abgefahren werden kann. Als Film gibt es da längst etliche. Aber auch als Karte, also am Navi, kann das was. Auch wenn es "nur" Etappen sind: Das Ganze, die große Keule, kommt ja ohnehin früh genug. Und hoffentlich gilt dann immer noch: Draußen ist besser.

Foto: Tom Rottenberg

Übrigens: Um wie viel besser es draußen ist, konnte man vergangenen Donnerstag auf der großen Leinwand erleben. Da präsentierten die Macher der legendären Retro-Rennrad-Ausfahrt "In Velo Veritas" im Gartenbaukino den Film zur vermutlich schönsten Rad-Ausfahrt Österreichs.

Bereits der Trailer macht Lust, im Juni wieder durchs Weinviertel zu fahren. Draußen. (Tom Rottenberg, 18.2.2023)

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Foto: Lenscapes/Georg und Stephan Schütz