Eine "Pille für den Mann" zur Verhütung gibt es bisher nicht. Die meisten Männer sorgen per Kondom, Vasektomie oder in Absprache mit der Partnerin dafür, dass Schwangerschaften vermieden werden.
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Hormonelle Verhütungsmittel haben den Nachteil, dass sie eine gewisse Vorlaufzeit brauchen, bis sie wirksam werden. Ganz abgesehen davon sind heutige Präparate nur an den weiblichen Körper angepasst – wobei in den vergangenen Jahren einige aussichtsreiche Wirkstoffe angekündigt wurden, die endlich den Durchbruch zur "Pille für den Mann" liefern könnten. Eine weitere Alternative liefert nun ein Forschungsteam um die deutsche Pharmakologin Melanie Balbach. Der Vorteil des neuen Wirkstoffs: Er könnte schon binnen 30 Minuten oder einer Stunde aktiv werden.

Bisher wurde der Stoff nur an Mäusen getestet, doch die Ergebnisse, die am Dienstag im Fachmagazin "Nature Communications" veröffentlicht wurden, sind vielversprechend. Wurde das Mittel männlichen Mäusen verabreicht, verhinderte es bei Paarungsversuchen innerhalb der ersten zwei Stunden, dass die weiblichen Mäuse geschwängert wurden. Die Effizienz lag bei 100 Prozent, wobei für die Teilversuche nur kleine Stichproben getestet wurden. In den ersten drei Stunden lag die Wirksamkeit des Mittels noch immer bei 91 Prozent.

Kurzfristig und kurzzeitig

Innerhalb von 24 Stunden nach der Einnahme waren die Spermien der Männchen wieder so fruchtbar wie zuvor. Der Stoff könnte sich eines Tages also nicht nur für die kurzfristige, sondern auch für die kurzzeitige Empfängnisverhütung eignen. Verhüten Paare hormonell und entscheiden sich dazu, ein Kind zu bekommen, kann es mitunter einige Monate dauern, bis die Fruchtbarkeit der Frau wiederhergestellt ist.

Verabreicht wurde das Mittel bei den Experimenten übrigens meist mit Spritzen, doch der Vergleich mit oraler Zufuhr zeigte: Auch in Pillen zum Schlucken ist der Stoff ähnlich effektiv. Die Spermien blieben im Körper der weiblichen Maus offenbar auch längerfristig so unmobil, dass sie nicht für eine Schwangerschaft sorgten.

Das Paarungsverhalten der Mäuse wurde durch den Wirkstoff nicht beeinträchtigt, Nebenwirkungen konnte das Forschungsteam auch bei kontinuierlicher Anwendung über sechs Wochen nicht beobachten. Natürlich sind nun umfangreichere Tests nötig, auf die klinische Studien an Menschen folgen dürften.

Einsatz an Menschen

Bis ein solches Präparat in der Apotheke landen kann, werden noch Jahre vergehen. Doch das Team arbeitet bereits daran, die Wirkstoffe "so zu verändern, dass sie besser für den Einsatz an Menschen geeignet sind", sagt Lonny Levin vom Institut Weill Cornell Medicine in New York.

Er und sein Kollege und Freund Jochen Buck waren die leitenden Studienautoren – und hatten ursprünglich nicht geplant, ein Verhütungsmittel zu entwickeln. Levin forderte Buck heraus, ein wichtiges Signalprotein zu isolieren – die lösliche Adenylylcyclase oder sAC, die in vielen Stoffkreisläufen eine Rolle spielt. Das Unterfangen dauerte zwei Jahre – und dabei fanden sie außerdem heraus, dass Mäuse, denen sAC fehlt, unfruchtbar sind. Auch Männer, denen das entsprechende Gen fehlt, sind infertil – aber ansonsten gesund.

Kein Hormon

Dann kam Melanie Balbach mit ins Boot, die an Stoffen forschte, welche sAC blockieren. Dabei stellte sie nebenbei fest, dass diese Inhibitoren Mäusespermien in ihrer Mobilität einschränken, was zu den anderen Ergebnissen passte. Das Signalprotein ist nicht hormonell wirksam – viele Hormonbehandlungen haben unerwünschte Begleiterscheinungen, unter anderem ein erhöhtes Thromboserisiko.

Aber auch gegenüber anderen Verhütungsmitteln liefert der getestete Inhibitor einen wichtigen Vorteil, betont Balbach: "Jedes andere experimentelle hormonelle oder nichthormonelle Verhütungsmittel für Männer braucht Wochen, um die Spermienzahl zu senken oder sie unfähig zu machen, Eizellen zu befruchten." Im Falle der Mäuse reichten 30 bis 60 Minuten vor dem Geschlechtsverkehr aus.

Schnelle Wirkung

Zeichnet sich eine Anwendung beim Menschen ab, könnten Männer entsprechend auf Tagesbasis Entscheidungen über ihre Fruchtbarkeit treffen, sagt die Forscherin. Geht es eher um eine kurzfristige Lösung oder hat jemand Hemmungen (oder fehlt das Geld), eine Vasektomie durchführen zu lassen, wäre dies eine praktische Alternative.

Funktioniert der Wirkstoff ähnlich wie im Mausversuch, wäre eine gewisse Vorausplanung beim Sex notwendig, um rechtzeitig vor der Penetration die Pille zu nehmen – aber wohl auch ein recht einfaches Nachlegen, falls es länger dauert als gedacht. Damit könnte das Thema Verhütung egalitärer als bisher werden.

Verhütung der Zukunft?

Zwar haben Frauen durch die massive Veränderung, die eine Schwangerschaft darstellt, weiterhin ein größeres Interesse daran, bei der Familienplanung die Kontrolle zu behalten. Doch ist bei längerfristigen Beziehungen das Vertrauensverhältnis idealerweise ohnehin gegeben. Die Methode ließe sich zudem mit anderen kombinieren, um sie noch sicherer zu machen.

Bis dahin werden noch mögliche Nebenwirkungen erforscht. Bei einer "Pille für den Mann", also einem oralen Verhütungsmittel, das das Sperma unfruchtbar machen soll, liege die Messlatte in Sachen unangenehme Begleiterscheinungen oft höher als bei Frauen, sagt Levin: Arzneimittelhersteller würden davon ausgehen, dass Männer eine geringe Toleranz für Nebenwirkungen haben, da Männer kein Risiko eingingen, schwanger zu werden. (Julia Sica, 14.2.2023)