Im Gastbeitrag stellt die Neurowissenschafterin Nathalie Rieser Erkenntnisse zur Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen mit Psychedelika vor.

Psychische Erkrankungen zählen zu den größten Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit. Trotz großen Anstrengungen ist unser Wissen über psychiatrische Erkrankungen und deren Behandlung nach wie vor begrenzt. Es besteht ein dringender Bedarf an wirksameren Behandlungsmöglichkeiten als denen, die wir heute kennen. Psychedelika erleben aktuell eine Art Renaissance in der klinischen und neurowissenschaftlichen Forschung. Sie bezeichnen eine Klasse von psychoaktiven Substanzen, die eine Veränderung der Sinneswahrnehmung, des eigenen Denkens und der inneren Gefühlswelt auslösen können. Zu den Psychedelika zählen beispielsweise Psilocybin (Wirkstoff der sogenannten Zauberpilze), LSD oder DMT (Hauptwirkstoff von Ayahuasca). Schon in den 1950er- und 1960er-Jahren wurde zum Beispiel gezeigt, dass LSD eine vielversprechende Wirkung in der Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen hat.

Aktuelle Psilocybinforschung

Um neue Erkenntnisse mit den aktuellen Forschungsstandards zu gewinnen, wurde diese Forschung in den letzten Jahren wieder aufgenommen. Um die potenziell positiven Effekte der Substanzen zu erzielen und verlängern, wird die Substanzabgabe in einen therapeutischen Rahmen eingebettet. Hierzu zählen Vorbereitungs- und Nachbearbeitungssitzungen. Vor der Substanzeinnahme werden potenzielle Wahrnehmungsveränderungen durch die Substanzwirkung diskutiert und Ziele für während beziehungsweise nach der Einnahme festgelegt. Die Therapiesitzungen nach der Substanzeinnahme sind dazu da, das Erfahrene zu verarbeiten und in den Alltag zu übertragen.

Sogenannte Zauberpilze zeigen vielversprechende Effekte bei der Behandlung von psychiatrischen Erkrankungen.
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Die psychotherapeutisch begleitete ein- oder zweimalige Einnahme von Psychedelika zeigte bisher vielversprechende Effekte in der Behandlung verschiedener psychiatrischer Erkrankungen. Gleichzeitig ist eine therapeutisch-begleitete Einnahme mit einer optimalen Vor- und Nachbereitung kaum mit Risiken oder Nebenwirkungen verbunden. Um die Sicherheit der Patientinnen und Patienten zu gewährleisten werden klare Ein- und Ausschlusskriterien eingehalten, beispielsweise werden Patientinnen und Patienten mit körperlichen oder schwerwiegenden anderen psychischen Erkrankung ausgeschlossen. Die erste moderne klinische Studie untersuchte die Wirkung von Psilocybin in der Behandlung von Zwangsstörungen: Patientinnen und Patienten berichteten eine verminderte Zwangssymptomatik 24 Stunden nach der Einnahme von Psilocybin. Mehrere weitere Studien bei Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung berichteten über eine reduzierte Angstsymptomatik und eine Verbesserung der Stimmung bis zu sechs Monate nach der Psilocybineinnahme. Ähnliche Resultate zeigten sich auch bei Patientinnen und Patienten mit einer Depressionserkrankung. Sie zeigten noch drei, sechs und zwölf Monate nach der Einnahme von Psilocybin eine Reduktion der depressiven Symptomatik.

Der therapeutische Nutzen von Psychedelika wurde auch in der Behandlung von Substanzkonsumstörungen untersucht. In einer Pilotstudie berichteten 80 Prozent der Tabakkonsumentinnen und Tabakkonsumenten, dass sie ihre Abstinenz aufrechterhalten konnten. Forschende aus den USA untersuchten die Wirksamkeit von Psilocybin in der Behandlung von Alkoholabhängigkeit. Die Teilnehmenden, die Psilocybin erhielten, verzeichneten bis zu 36 Wochen nach der Einnahme an weniger Tagen einen hohen Alkoholkonsum (mehr als vier Konsumeinheiten bei Frauen beziehungsweise fünf bei Männern) im Vergleich zur Placebo-Gruppe. In der psychiatrischen Behandlung von Menschen mit einer Alkoholabhängigkeit ist dies sehr vielversprechend, da die Wirksamkeit von derzeit zugelassenen medikamentösen Behandlungen oft begrenzt ist.

Vielversprechende Ergebnisse

Aktuell untersuchen wir an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich in zwei klinischen Studien die Psilocybin-unterstützte Behandlung von Patientinnen und Patienten mit einer Alkoholabhängigkeit oder Depression. Nebst der Wirksamkeit sind wir auch an den zugrundeliegenden Wirkmechanismen interessiert, welche noch weitestgehend unbekannt sind. Erste Ergebnisse der Behandlung von Depression aus unserer Forschungsgruppe sind vielversprechend und unterstützen bisherige Erkenntnisse. Weitere Ergebnisse zur Wirksamkeit und Wirkmechanismen in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit und Depression aus unserer Forschungsgruppe werden in den kommenden Monaten und Jahren publiziert.

Studienübersicht der laufenden klinischen Studie an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich "Klinische und mechanistische Effekte von Psilocybin bei Patienten mit einer Alkoholabhängigkeit".
Foto: Nathalie Rieser

Obwohl das Interesse an der therapeutischen Anwendung von Psychedelika in den letzten Jahren gestiegen ist, sind weiterhin viele Fragen ungeklärt. Beispielsweise, welche Patientinnen und Patienten von einer solchen Therapie profitieren können oder was die optimale therapeutische Einbettung und das wirksamste Dosierungsschema der Substanzen sind. Mit weiteren sorgfältigen, kontrollierten Studien kann bald mehr Licht in diese Fragestellungen gebracht werden. (Nathalie Rieser, 16.3.2023)