Besonders Frauen geben sich bei einem unerfüllten Kinderwunsch häufig selbst die Schuld dafür und haben das Gefühl, sie hätten versagt.

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Elisabeth H. (Name von der Redaktion geändert) ist 38, als sie mit ihrem Partner zusammen versucht, schwanger zu werden. Nachdem auf dem Schwangerschaftstest, auch nach gut einem Jahr, immer noch kein zweiter Strich zu sehen ist, beschließen beide, sich Hilfe in einer Kinderwunschklinik zu holen. So wie Elisabeth und ihrem Partner geht es etwa jedem vierten Paar in Österreich. Die Gründe dafür sind vielfältig. Frauen entscheiden sich zum einen immer häufiger dazu, erst deutlich später Mutter zu werden als früher, aber auch die Fruchtbarkeit der Männer nimmt seit Jahren stark ab.

Was alles sehr theoretisch klingt und mit Zahlen und Fakten belegt ist, bedeutet für die Betroffenen aber nicht nur große körperliche Eingriffe, sondern führt auch häufig zu psychischen Ausnahmesituationen. "Mit einer Behandlung im Kinderwunschzentrum beginnt für viele Paare eine Hochschaubahn der Gefühle. Es wird immer wieder Hoffnung aufgebaut und manchmal leider auch wieder zerstört", erzählt Evelyn Leitl, Psychotherapeutin im Kinderwunschzentrum an der Wien.

Fruchtbarkeit bei Männern immer geringer

Fakt ist: Die Fruchtbarkeit bei Frauen nimmt ab Mitte 30 deutlich ab. Mit dem 40. Lebensjahr liegt die Wahrscheinlich für eine natürliche Schwangerschaft nur noch bei fünf bis zehn Prozent pro Zyklus. Und auch bei Männern sinkt die Fruchtbarkeit immer weiter. Eine Analyse, die im "Human Reproduction Journal" erschienen ist, bestätigt, dass die durchschnittliche Spermienkonzentration bei Männern zwischen 1973 und 2018 um mehr als 51 Prozent gesunken ist. Fachleute gehen davon aus, dass sich dieser Trend noch weiter beschleunigen wird.

Um trotzdem ein Kind bekommen zu können, entscheiden sich viele Paare für eine In-vitro-Fertilisation – seit 2015 ist diese auch für gleichgeschlechtliche Paare erlaubt. Dabei wird durch Hormonstimulation die Reifung von Eibläschen herbeigeführt. Die Frau muss sich dafür täglich eine Spritze mit speziellen Hormonen injizieren. Nach zwei Wochen werden die Eibläschen dann entnommen und anschließend im Labor mit den Spermien zusammengeführt. Wenn eine Befruchtung stattgefunden hat, wird die befruchtete Eizelle der Frau in die Gebärmutter eingesetzt. Nistet sie sich ein, kommt es zu einer Schwangerschaft. "Diese Zeit ist für die Paare besonders nervenaufreibend", weiß die Psychotherapeutin. "Denn die Paare, die zu uns kommen, haben ja bereits eine Geschichte hinter sich. Sie haben schon länger erfolglos versucht, ein Kind zu bekommen, oder haben vielleicht auch schon eine oder mehrere Fehlgeburten hinter sich."

Dazu kommt, dass bei so einem Eingriff mehrere Faktoren eine Rolle spielen. Leitl sagt: "Beteiligt ist bei so einem Eingriff neben dem Körper und der Psyche auch das Geld. Denn die Kosten einer In-vitro-Fertilisation werden in Österreich nur bis zum 40. Lebensjahr übernommen. Und auch nur dann, wenn das Paar eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt. Die Expertin erzählt: "Die Erwartungen der Paare sind dementsprechend sehr hoch. Klappt es dann nicht, ist es für viele umso schlimmer. Manche können sich einfach weitere Versuche nicht leisten."

Tabuthema künstliche Befruchtung

Auch bei Elisabeth H. und ihrem Partner waren die Erwartungen sehr hoch. Und tatsächlich wurde Elisabeth nach einer IVF schwanger. Doch dann kam alles anders. In der zehnten Schwangerschaftswoche konnte die Gynäkologin bei der Ultraschalluntersuchung keinen Herzschlag mehr feststellen. Elisabeth H. fühlte sich, als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen werden. "Das ist ein großer Schock für die Betroffenen", sagt Psychotherapeutin Leitl. Und sie erklärt weiter: "Bei einer Fehlgeburt in den ersten Wochen einer Schwangerschaft trauern vor allem die Frauen. Das hat nichts damit zu tun, dass Männer nicht auch traurig sind. Aber es sind die Frauen, die das Kind in sich tragen und schon früh eine Bindung zu dem Fötus aufbauen können. Sie fühlen sich dann häufig vom Partner nicht richtig verstanden." Leitl empfiehlt in so einem Fall, immer ein kleines Ritual zu veranstalten, um sich vom Kind zu verabschieden. "Das kann ein Luftballon sein, den man in den Himmel fliegen lässt, man kann einen Brief an das Baby schreiben oder auch symbolisch etwas verbrennen. Wichtig ist, sich den nötigen Raum zum Verabschieden zu geben."

Häufig haben in so einem Fall weder Freunde noch Arbeitskollegen etwas von der Schwangerschaft gewusst und das Paar muss allein mit der Trauer fertigwerden. Denn: "Künstliche Befruchtung ist noch immer eine Tabuthema", sagt die Expertin. Vor allem für Frauen im Berufsleben bedeutet eine oder mehrere Behandlungen in der Kinderwunschklinik einen großen Aufwand. Leitl weiß: "Ich kenne viele Frauen, die das Thema im Job raushalten. Was besonders schwierig ist, denn eine IVF ist mit vielen Arztterminen verbunden. Aber ein Großteil hat einfach Angst, bei der nächsten Kündigungswelle dabei zu sein."

Ein weiterer Grund, warum viele das Umfeld nicht einweihen, ist die Sorge vor gut gemeinten Ratschlägen. "Häufig wird dann gesagt, die Frau sollte nicht so oft daran denken oder beide sollten mal auf Urlaub fahren, um sich zu entspannen." Diese gut gemeinten Ratschläge frustrieren häufig noch mehr. Denn sie suggerieren der Frau, sie sei selbst für ihren unerfüllten Kinderwunsch verantwortlich. Eine Abwärtsspirale beginnt. Leitl sagt: "Viele Frauen geben sich dann selbst die Schuld dafür, dass sie nicht schwanger werden. Denn wenn sie nicht ständig daran denken würden, könnte es ja vielleicht klappen." Was Freunde und Verwandte dabei häufig nicht bedenken: Die Frau muss sich in den ersten zwei Wochen täglich Spritzen geben. "Da ist es fast unmöglich, nicht ständig daran zu denken", sagt Leitl.

Endgültig Abschied nehmen

Trotz medizinischen Fortschritts bleiben laut Statistiken bis zu 15 Prozent der Partnerschaften in Österreich ungewollt kinderlos. Evelyn Leitl bietet auch in diesen Fällen Unterstützung bei der Trauer an. Aber sie sagt auch: "Viele brechen nach der Kinderwunschbehandlung die Therapie ab, häufig mit der Begründung, sie wollen nichts mehr damit zu tun haben. Das funktioniert aber natürlich nicht. Deshalb wäre es wichtig, die Trauer zuzulassen und Abschied von seinem Kinderwunsch zu nehmen. Man kann dann in der Therapie erarbeiten, was die Paare mit dem Elternsein verbunden haben und wie sie das vielleicht auch ohne Kind leben könnten."

Ein weiterer möglicher Schritt wäre, ein neues gemeinsames Lebensziel zu finden, bei dem man sich als Paar verwirklichen kann. "Häufig sind das Dinge, die in den sozialen Bereich hineingehen. Sich um andere zu kümmern kann in diesem Fall sehr heilend wirken", sagt die Psychotherapeutin. (Jasmin Altrock, 15.2.2023)