Israel gilt als eines der Länder mit den besten Cyberkapazitäten; trainiert wird in privaten Unternehmen, im Militär und in Geheimdiensten. Aus letzteren rekrutiert sich das "Team Jorge", ein Unternehmen, dessen schmutziges Geschäft nun enthüllt wurde.

Foto: Reuters/Zvulun

Eine bisher unbekannte Firma attackiert Wahlen und Abstimmungen in aller Welt. Das haben internationale Recherchen ergeben, an denen der SPIEGEL beteiligt war und die in Österreich exklusiv im STANDARD erscheinen. Das geheim agierende Unternehmen aus Israel, das sich selbst Team Jorge nennt, greift nach eigenen Angaben Politiker mit Hacking-Werkzeugen an und fährt großangelegte Desinformations- und Lügenkampagnen für seine Auftraggeber. Ziel ist es, den Ausgang von Wahlen und Abstimmungen zu beeinflussen. Die früheren Agenten und Militärs werden für Kunden aus Wirtschaft und Politik tätig, die bereit sind, viel Geld für diese Dienste auszugeben.

Eingegriffen hat Team Jorge nach eigenen Angaben bislang in 33 nationale Wahlkämpfe und Abstimmungen, unter anderem in Kenia und Nigeria. In 27 Fällen wollen die Manipulatoren erfolgreich gewesen sein. Es gelang ihnen wohl, den Ausgang der Wahlen im Sinne ihrer Kunden zu gestalten. Für Team Jorge gibt es nach eigener Darstellung nur drei Regeln: Sie lehnen Aktionen in Israel ab, wollen sich ebensowenig in US-Regierungspolitik einmischen und nichts gegen Putins Russland unternehmen.

Armee von Fake-Konten

Die Gruppierung hält verschiedene Werkzeuge für Beeinflussungskampagnen vor. Um die Meinung im Netz zu manipulieren, kontrolliert sie beispielsweise eine Armee von offenbar mehr als 30.000 glaubwürdig anmutenden Fake-Konten auf Social-Media-Plattformen wie Facebook, Instagram oder Twitter.

Erstmals enthüllt werden die Aktivitäten des Team Jorge nun von einem internationalen Journalistenteam, organisiert von der gemeinnützigen Investigativredaktion Forbidden Stories. An den Recherchen des Projekts "Storykillers" sind neben SPIEGEL, STANDARD, "Zeit" und ZDF unter anderem der "Guardian", die "Washington Post", "Le Monde", sowie die israelischen Publikationen "The Marker" und "Haaretz" beteiligt.

In einer mehr als sechs Monate dauernden Undercover-Recherche gelang es Reportern von "The Marker", "Haaretz" und Radio France, sich als vermeintliche Interessenten des Team Jorge auszugeben. Der Kontakt zu der klandestin arbeitenden Organisation kam über Gewährsleute zustande. In fünf Videotelefonaten und zwei Ortsterminen gewährte das Team Jorge den Journalisten tiefe Einblicke in den Maschinenraum moderner Manipulationsmöglichkeiten: Um beispielsweise in private Mail-Konten oder Telegram-Accounts einzudringen und dort sämtliche Nachrichten oder hochgeladenen Bilder abzugreifen, nutzt die Truppe nach eigenen Angaben unter anderem Schwachstellen im globalen Telefonnetz aus.

Gezielte Schmutzkampagnen

Außergewöhnlich ist im Fall des Team Jorge, dass die Truppe alle erdenklichen Formen von Manipulation und Meinungsbeeinflussung im Netz anbietet. Dazu gehören neben Fake-News-Kampagnen auch Hacking-Angriffe, Finanzrecherchen über Gegner, gezielte Schmutzkampagnen und das Verbreiten gestohlener Informationen.

Für Social-Media-Manipulation im großen Stil haben die Israelis sogar eine eigene technische Plattform namens Aims entwickelt, mit der sich mittels weniger Mausklicks verifizierte Nutzerkonten anlegen lassen. Die Avatare sind offenbar so glaubwürdig, dass die Plattformen sie für authentische Nutzer halten. Teilweise seit Jahren werden die falschen Accounts für Desinformationsfeldzüge genutzt, ohne dass die Tech-Konzerne etwas dagegen unternehmen. Team Jorge spricht in dem Zusammenhang von einem "Informationskrieg".

Nicht alle Angaben des Team Jorge ließen sich unabhängig überprüfen. Gleichwohl konnte der SPIEGEL zusammen mit Forbidden Stories nachvollziehen, dass die Hacker beispielsweise das private Telegram-Konto eines hochrangigen Wahlkampfmanagers in Kenia infiltriert hatten. Dort lasen sie augenscheinlich alle Nachrichten in Echtzeit und verschickten sogar unbemerkt im Namen des Opfers Botschaften an andere Nutzer.

Ex-Agenten, Soldaten, Spezialisten

Der Chef der Firma tritt unter dem Tarnnamen Jorge auf. Tatsächlich handelt es sich um den israelischen Geschäftsmann und Ex-Militär Tal Hanan. Er steuert seine Firma aus einem Bürogebäude in einem Gewerbegebiet am Rande von Modi'in – einer israelischen Kleinstadt nahe dem Flughafen von Tel Aviv. Auch in Ländern wie Griechenland, Bosnien, in Indonesien und in der Ukraine sei man zeitweise präsent, so Hanan in den Verkaufsgesprächen mit den als Interessenten getarnten Reportern. Auf Anfrage wies er später jegliches Fehlverhalten zurück.

Das Team rekrutiert sich laut Eigenwerbung aus ehemaligen Agenten, Soldaten und Ex-Mitgliedern von Spezialeinheiten. In internen Dokumenten heißt es, die Firma biete "Spezialoperationen" an, man sei seit 1999 im Geschäft. Die Recherchen ergaben mehrere Verbindungen zu Geheimdiensten. Detaillierte Fragen ließ Hanan unbeantwortet.

An den "Guardian" geleakte Dokumente zeigen, dass das Unternehmen über mehrere Jahre auch mit der Skandalfirma Cambridge Analytica im Austausch stand. In Nigeria waren beide Firmen im Präsidentschaftswahlkampf 2015 aktiv. Im Jahr darauf bot Tal Hanan dem damaligen Cambridge-Analytica-Chef Alexander Nix Unterstützung im Präsidentschaftswahlkampf von Donald Trump an, was Nix allerdings ablehnte. 2017 versuchte Hanan alias Jorge offenbar, bei Wahlen in Kenia mit Cambridge Analytica ins Geschäft zu kommen. Auch daraus wurde nichts, die von Hanan demnach verlangten "400.000 bis 600.000 Dollar" pro Monat waren Nix zu viel. Auf Anfrage wollte sich Nix nicht äußern.

Cambridge Analytica geriet schließlich wegen seiner Rolle als digitaler Wahlkampfhelfer Donald Trumps weltweit in die Schlagzeilen. Ihr Missbrauch von Abermillionen Facebook-Kundendaten stürzte das soziale Netzwerk in eine nachhaltige Krise. Cambridge Analytica musste Insolvenz anmelden und wurde aufgelöst.

Die Aktivitäten von Team Jorge sind Teil eines weltweit wachsenden Markts von Desinformationsdienstleistern. Weltweit bekannt wurden in den vergangenen Jahren Firmen wie Black Cube, das ebenfalls wie ein privater Nachrichtendienst agiert, sowie die Gruppe Dark Matter, die im Auftrag der Vereinigten Arabischen Emirate unter anderem Menschenrechtsaktivisten und Journalisten ausspionierte. (Christo Buschek, Jörg Diehl, Roman Höfner, Max Hoppenstedt, Roman Lehberger,Marcel Rosenbach vom SPIEGEL, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, 15.2.2023)