Besonders Frauen konsumieren True-Crime-Formate – um sich vorzubereiten, vermutet Corinna Perchtold-Stefan von der Grazer Karl-Franzens-Universität.

Foto: STANDARD / Getty / iStock/ Boris Jovanovic

Gedimmtes Licht, gutes Essen, dazu eine lange Litanei über grausame Gewaltverbrechen – für viele Menschen gehört True Crime zu einem gelungenen Abend dazu. Die Zahl einschlägiger Formate ist über alle Medienkanäle hinweg stark gestiegen, Treiberinnen der Nachfrage sind dabei vor allem Frauen und Mädchen. Corinna Perchtold-Stefan, Doktorin der Psychologie an der Karl-Franzens-Universität Graz, forscht derzeit zu Frauen und ihrem Interesse an echten Verbrechen. Neben dem kontrollierten Er- und Überleben von Angst vermutet die Forscherin hinter dem starken True-Crime-Konsum bei ihnen vor allem eines: den Wunsch, im Fall der Fälle vorbereitet zu sein.

STANDARD: Filme, Serien, Bücher, Podcasts – woher kommt der Hype rund um True Crime?

Perchtold-Stefan: Das Thema hat in den letzten Jahren tatsächlich enorme mediale Präsenz gewonnen. Ich glaube aber nicht, dass der Hype völlig neu ist. Durch Streaming, soziale Medien und auch die Evolution der Podcasts sind diese Inhalte einfach viel leichter zugänglich geworden. Berichte über Verbrechen, Morde und Gewalt gibt es so lange, wie es Zeitungen gibt. Im deutschsprachigen Raum ist die Sendung "Aktenzeichen XY ... ungelöst" eines der beliebtesten Formate. Diese Faszination des Verbrechens, des Bösen, des Unbekannten gibt es seit jeher. Ich bin auch ein extremer True-Crime-Fan, das Interesse ist also auch persönlich.

STANDARD: Gruselgeschichten und Horrorfilme gibt es ja schon lange. Warum brauchen wir die Angstlust?

Perchtold-Stefan: Dazu gibt es viele Theorien, aber wenige Studien. Zum Beispiel wird spekuliert, dass wir Menschen den Horror und Geschichten von Geistern, Monstern und Vampiren mögen, weil wir sie nutzen, um mit unserer eigenen Vergänglichkeit umzugehen. Wir wissen, dass wir sterblich sind, und durch solche Geschichten können wir Gefahren, Tod und Vergänglichkeit überleben und hinterher erleichtert abschließen. Natürlich ist beim Gruseln auch ein Spaßfaktor dabei. Die Angst an sich kann etwas Lustvolles, Spannendes sein. Es kommt aber stark darauf an, welcher Typ Mensch man ist.

Die Forschung weist dabei auf zwei unterschiedliche Typen hin. Jene, die sich Horrorfilme anschauen, weil sie Lust an der Angst haben, weil sie Aufregung und Sensation brauchen. Und dann gibt es jene, die das tun, weil sie so den Umgang mit negativen Emotionen erlernen. Horrormedien, zurzeit ganz aktuell Podcasts und Netflix-Serien, helfen dabei, Angst zu erleben und sie gleichzeitig auch in einem sicheren Rahmen kontrollieren zu können. Man hat immer die Möglichkeit, die Augen zu schließen oder das Licht anzumachen. Es ist eine wichtige Strategie von uns Menschen, Angst kontrolliert zu erleben und dabei nicht wirklich in Gefahr zu sein. Das ist eine Motivation hinter diesem Hype.

STANDARD: Beim traditionellen Gruselgenre kann man sich damit trösten, dass all das nicht echt ist. Bei True Crime fällt diese emotionale Sicherheit weg. Was macht das mit den Hörerinnen oder Zuseherinnen?

Perchtold-Stefan: Das ist eine ambivalente Sache. Vor allem Frauen konsumieren ja viel True Crime. Man vermutet, dass sie so lernen wollen, was draußen in der Welt passieren kann und wie sie sich darauf vorbereiten und davor schützen können. Natürlich ist das reißerisch und sensationslustig aufgebaut, aber wir Menschen lernen vor allem dann, wenn es uns interessiert.

Ich habe beobachtet, dass in vielen True-Crime-Podcasts wie ein Mantra wiederholt wird, dass Frauen stärker auf ihr eigenes Bauchgefühl hören und ihren Instinkten vertrauen sollen. Sie sollen sich nicht durch soziale Normen verpflichtet fühlen, Dinge zu tun, die sie als bedrohlich empfinden. Also etwa jemand Fremdem im Dunklen den Weg zeigen oder die Haustür öffnen, wenn sie allein zu Hause sind.

Das ist für Frauen eine Hauptmotivation dahinter. Wie kann man sich gegen Verbrechen schützen? Wie kann man solche Situationen schon einmal im Kopf durchspielen, als eine Art Test und Situationsprobe? Wie kann man im Alltag die Wahrscheinlichkeit reduzieren, selbst Opfer eines Verbrechens zu werden? Das ist eine Message, die viele True-Crime-Formate mitbringen.

STANDARD: Ist das eine gute Bewältigungsstrategie?

Perchtold-Stefan: Es gibt globale Statistiken, die zeigen, dass Frauen um einiges mehr Angst haben als Männer, Opfer eines Verbrechens zu werden. Gleichzeitig möchte man sich absichern und die Motive von Menschen verstehen, die einem etwas Schlechtes antun könnten. True Crime ist in der Realität begründet. Das ist für Frauen nachweislich ein Thema, das sie beschäftigt, und ich denke, das würde es auch, wenn es diese vielen Möglichkeiten zum True-Crime-Konsum nicht gäbe.

Natürlich gehört dazu auch ein bisschen Medienkompetenz. Die Fähigkeit zu sagen: Das ist zwar real passiert, hat aber mit meinem Erlebnishorizont nichts zu tun. Wenn es aber dazu führt, dass man seine eigenen Emotionen besser im Griff hat, besser vorbereitet ist, kann es einen Vorteil für den Alltag mit sich bringen. Das ist die positive Idee hinter dem doch recht morbiden Phänomen.

Corinna Perchtold-Stefan forscht zum True-Crime-Konsum von Frauen.
Foto: Corinna Perchtold-Stefan

STANDARD: In True-Crime-Formaten geht es oft um besonders aufsehenerregende Morde oder Entführungen. Hat das Auswirkungen auf die Art, wie die Konsumentinnen die Welt und ihre Gefahren wahrnehmen?

Perchtold-Stefan: Es gibt einige wenige Studien, die zeigen, dass True-Crime-Konsum mit einer eher argwöhnischen, misstrauischen Haltung anderen Menschen gegenüber zusammenhängt. Wobei ich nicht sagen kann, dass das eine das andere bedingt. Es könnte auch sein, dass etwas ängstlichere und misstrauischere Menschen genau deswegen True Crime konsumieren. Weil das ein guter Mechanismus ist, um diese Gefühle auszuleben.

Es gibt hier zwei Ideen: einerseits den positiven Effekt der Vorbereitung, andererseits natürlich auch den negativen, dass es ab einem gewissen Grad vielleicht eher kontraproduktiv ist. Man könnte nervöser und ängstlicher werden, das Wohlbefinden im Alltag leiden. Dazu muss aber noch geforscht werden.

STANDARD: Sie führen aktuell eine großangelegte Studie zum Thema True Crime durch. Was ist deren Ziel?

Perchtold-Stefan: Wir wollen den Zusammenhang von True-Crime-Konsum und Wohlbefinden aufschlüsseln, die Motive dafür erfragen und auch neurobiologische Daten erheben. Dazu untersuchen wir Frauen, die große Fans sind und täglich oder wöchentlich True Crime konsumieren, aber auch jene, die sich davon fernhalten. Uns interessiert auch ihr allgemeines Sicherheitsempfinden hier im Großraum Graz. Im letzten Jahr war das Thema Femizid ja extrem stark in den Medien vertreten.

STANDARD: Angesichts des Hypes um True Crime: Laufen Ihnen die Probandinnen die Tür ein?

Perchtold-Stefan: Ja, aktuell schon! Es war wirklich ein sehr großer Andrang, so kenne ich das von Forschungsprojekten normalerweise nicht. (Ricarda Opis, 6.4.2023)

Mehr über Serien: