Bundeskanzler Karl Nehammer will eine Kommission einrichten, die sich der Aufarbeitung aller Vorgänge und Maßnahmen während der Corona-Pandemie widmen soll. Mit der Bewältigung dieser Krise und den Lehren, die daraus gezogen werden sollen, will Nehammer auch einen breiten Versöhnungsprozess einleiten, der dem Polarisierungsprozess in der Gesellschaft entgegenwirken soll.

Video: Durch die Corona-Pandemie seien in der Gesellschaft tiefe Gräben entstanden, so Nehammer bei einer Pressekonferenz. Das Ziel der Bundesregierung sei es, diese Gräben wieder zuzuschütten.
DER STANDARD

Nehammer: "Ich will die Thematik nicht den Radikalen überlassen." Er sei Kanzler geworden in einer Zeit der multiplen Krisen, jetzt müsse man den Weg aus der Krise herausfinden. "Das Aufeinanderzugehen muss im Mittelpunkt stehen, es braucht auch einen Ausblick, wie es mit unserem Land und unserer Gesellschaft bei großen Herausforderungen weitergeht." Im März will der Kanzler dazu eine Grundsatzrede halten und einen Prozess einleiten, der sich mit der Aufarbeitung der Krisenzeit beschäftigt.

Am Mittwoch erklärte Nehammer: "Nennen wir es beim Namen: Corona war für unsere Gesellschaft eine Art Trauma, das wir nun gemeinsam aufarbeiten sollten. Diese Pandemie war die erste Pandemie der jüngeren Geschichte, niemand von uns hatte diese Erfahrung zuvor gemacht, auch unsere Großeltern nicht. Es war etwas völlig Neues, das uns mit voller Wucht getroffen hat und uns als Gesellschaft vor nie gekannte Herausforderungen gestellt hat. Eine kritische, schonungslose Analyse ist daher Pflicht und gleichzeitig Voraussetzung um diese gesellschaftlichen Wunden zu heilen und das Trauma zu bewältigen." Er wolle jetzt die Hand ausstrecken – "auch zu all jenen, die sich durch die Pandemie und ihre Folgen nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft willkommen gefühlt haben".

Kanzler Karl Nehammer will die Corona-Entscheidungen der Regierung aufarbeiten lassen, inklusive Impfpflicht, Corona-Hilfen und 3G-Regel.
Foto: AP/Bader

Negativerfahrungen mitteilen

Die vorgeschlagene Kommission soll auch für Transparenz sorgen, wie die Krisenbewältigung in der Regierung und in den Ministerien gelaufen ist und wie Entscheidungen zustande gekommen sind. Einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss hält Nehammer nicht für die geeignete Form, das Geschehene aufzuarbeiten. Als Innenminister habe er schon gute Erfahrungen mit Kommissionen gemacht. Die Menschen bräuchten auch einen Ort, um ihre Negativerfahrungen mitzuteilen.

"Alles soll aufgearbeitet werden", verspricht Nehammer und nennt die Impfpflicht ebenso wie Corona-Hilfen und die 3G-Regel. "Wir waren expertenhörig, nun sollen Experten erklären, warum sie zu dieser Entscheidung gekommen sind."

Traumata aufarbeiten

Die Expertenkommission soll den Zeitrahmen selbst festlegen, der Bericht kann dann öffentlich diskutiert werden. "Traumata gehören aufgearbeitet", sagt Nehammer, der auf Unterstützung aus den anderen Parteien hofft. Dieses Unterfangen sei nicht parteipolitisch motiviert, behauptet Nehammer. Ob es auch gelingen wird, die Opposition in den Versöhnungsprozess einzubauen, werde man sehen. FPÖ-Chef Herbert Kickl sei momentan in einer sehr radikalen Verfasstheit, aber Kickl alleine sei nicht die FPÖ. Wenn das Angebot zu einer Zusammenarbeit seriös ist, werde sich auch die FPÖ nicht entziehen können.

Ob auch Sebastian Kurz, sein Vorgänger als Bundeskanzler, an diesem Prozess teilnehmen werde, lässt Nehammer offen. "Ich überlasse es der Kommission, wen sie zum Gespräch einlädt."

Grüne setzen auf Kommunikation

Noch ist die Kommission allerdings nicht beschlossen, da braucht es offensichtlich noch die Einwilligung des Koalitionspartners. Klar sei auch, dass die Kommission alleine für den Prozess der Aufarbeitung nicht ausreichend sei.

Der grüne Koalitionspartner wurde erst zeitverzögert informiert und eingebunden, zeigte sich aber nicht nachtragend. Gesundheitsminister Johannes Rauch erklärte am Mittwoch dazu: "Viele Menschen fühlen sich abgehängt, vom Staat nicht mehr vertreten. Das alles geht in Österreich, einem der reichsten Länder der Erde, an die Substanz der Demokratie. Drei Jahre nach Beginn der Pandemie wird es Zeit für ein neues Miteinander." Man müsse ernsthaft darüber reden, wie Vertrauen wieder aufgebaut werden könne. "Ehrliche, offene Kommunikation ist die Grundlage für dieses Vertrauen."

In den kommenden Wochen soll ein breiter öffentlicher Diskurs konzipiert werden. Dieser Prozess soll mit den Parlamentsparteien besprochen werden. (red, 15.2.2023)