Im zweiten Teil der Reihe über künstliche Intelligenz (KI) und das Recht rund um geistiges Eigentum betrachten Max Mosing und Daniel Jokesch im Gastblog das urhebergesetzliche Verletzungspotential durch KI. Wird das Urheberrecht den vom Marketing gehypten KI-ismus ausbremsen?

Künstliche Intelligenz (KI) soll als sogenannte "Starke KI" ohne vordefinierte Umgebung eigenständig Probleme erkennen, bearbeiten und lösen. Dann wäre die Hürde zur "technologischen Singularität" bald übersprungen, sodass KI die menschliche Intelligenz übertrifft. Spätestens ab diesem Zeitpunkt würde die weitere "künstliche Entwicklung" auf der Erde durch KI und nicht mehr durch den Menschen erfolgen. Das würde (auch) das Recht des geistigen Eigentums an seine Grenzen bringen.

Wie im Horrorfilm kommt die KI gleich einem bösen Nebel über das Moor daher. Zunächst imitiert die KI den Menschen bloß. Bald übertrifft sie uns und versetzt uns in diesem Spannungsbogen in Angst und Schrecken. Das schreckliche Moor ist eine Eselsbrücke zu Gordon Moore und dessen "Gesetz", wonach sich – vereinfacht geschrieben – die Rechenleistung einer CPU pro Jahr verdoppelt. Diese exponentielle Steigerung ist eine technische Notwendigkeit, um überhaupt von Starker, also dem Menschen ebenbürtiger, KI fantasieren zu können. Aber diese Power wird kommen – und das mit oder ohne Energiekrise.

Diesbezüglich verstehen wir uns als Futurologen. Stanisław Lem schrieb zwar, dass die Futurologie keine Wissenschaft, sondern Schlachtfeld widerstreitender Interessen sei: Wenn künftige Entwicklungen eng mit künftigen wissenschaftlichen Entdeckungen zusammenhängen, kommt ihre Prognose der Antizipation dieser Entdeckungen gleich, was logisch unmöglich ist. Doch Lems Paradoxon übersieht, dass alle Entwicklungen Kind ihrer Zeit sind und unsere Informationsgesellschaft die Zeit der fünften Revolution bereits eingeläutet hat.

KI-Training als Urheberrechtsverletzung?

KI muss trainiert und dafür müssen bestehende Information verarbeitet, also vervielfältigt werden. Fällt das Bestehende in die urhebergesetzlichen Werkarten, könnte die KI-Nutzung beim Training und/oder bei der Übernahme von Bestehendem in den Output der KI in Urheberrechte am Bestehenden eingreifen. Einen solchen Eingriff behaupteten bereits Kunstschaffende vor US-Gerichten und nunmehr auch die Bildagentur Getty Images vor einem Londoner Gericht gegen den Betreiber der Bild-KI "Stability AI": Laut der Bildagentur wurden Millionen von Bilddaten und die dazugehörigen Metadaten "gestohlen", die geistiges Eigentum von Getty Images seien.

Streng geprüft, muss hier zwischen dem Training der KI einerseits und der möglichen Übernahme von Werken in die Ergebnisse der KI andererseits unterschieden werden: Ersteres ist nach dem Urheberrechtsgesetz "privilegiert", weil jede Person ein Werk vervielfältigen darf, um damit Daten in digitaler Form automatisiert auszuwerten und Informationen unter anderem über Muster, Trends und Korrelationen zu gewinnen, wenn sie zu dem Werk – zum Beispiel im Internet – rechtmäßig Zugang hat. Dieses "KI-Trainings-Privileg" gilt jedoch nicht, wenn der Rechteinhaber einen entsprechenden Nutzungsvorbehalt mit maschinenlesbaren Mitteln kenntlich gemacht hat.

Urheberrecht bei Ergebnissen: Frage des "Verblassens"

Neben dem möglichen Rechteeingriff beim Training ist der mögliche Eingriff bei der Nutzung, also bei den Ergebnissen der KI, zu untersuchen: Erfolgt durch die KI eine bloße Vervielfältigung von Geschütztem (also auch Teilen von Werken) oder eine erkennbare Bearbeitung von Werken, ist eine Verletzung gegeben. Erst wenn die KI ein Ergebnis liefert, das im Vergleich zum benutzten Werk ein selbständiges neues Werk ist, liegt keine Verletzung vor. Dafür muss nach der Rechtsprechung und der sogenannten "Abstandslehre" das benutzte Werk angesichts der Eigenart des neuen Werkes vollständig in den Hintergrund treten, also gänzlich "verblassen". Das setzt voraus, dass das fremde Werk nicht in identischer oder umgestalteter Form als Vorbild oder Werkunterlage übernommen wird, sondern ausschließlich als "Anregung" dient. Das kommt desto weniger in Betracht, je ausgeprägter die Individualität der Vorlage ist und je weniger die Vorlage gegenüber dem KI-Ergebnis verblasst. Daher: eine ausschließlich im Einzelfall zu beurteilende Gesamtbetrachtung.

Jedenfalls hat der Gesetzgeber bereits das Training von KI urheberrechtlich "teilweise freigestellt". Die KI wird daher auch diesbezüglich vorhersehbar immer stärker. Es gibt keine klaren Grenzen, ab wann tatsächlich von (Künstlicher) Intelligenz gesprochen werden kann. Das hängt auch damit zusammen, dass es nicht die Intelligenz gibt, sondern es auch bei der menschlichen Intelligenz verschiedene Dimensionen zu unterscheiden gilt: von der sensomotorischen über die emotionale und soziale bis hin zur kognitiven Intelligenz. Bei Letzterer ist die KI dem Menschen schon in vielen Bereichen überlegen, wenn es sich dabei um das "Aufnehmen" von Wissen sowie das "Schlussfolgern" aus diesem Wissen geht. Bei den anderen Dimensionen holt die Technik in Riesenschritten auf, etwa bei der Sensorik und deren Kombination ("Sensorfusion") und der Sentimentanalyse. Bei der sozialen Intelligenz, also der Fähigkeit, in einer menschlichen Gruppe angemessen zu (re)agieren, etwa eine Stimmung zu erkennen oder konstruktiv zu beeinflussen, können viele KI-Systeme bisher nichts oder nur wenig leisten.

Aber dadurch, dass Schwache KI, also Systeme, die in ihrer vorgegebenen Problem-Umgebung intelligent erscheinen, inzwischen in nahezu alle unsere Lebensbereiche vorgedrungen ist, erhöht sich ebenso laufend unsere – auch soziale – Akzeptanz gegenüber KI. Das hat unter Umständen zum Ergebnis, dass wir nicht mehr von der KI verlangen, dass sich die KI an den Menschen anpasst, sondern dass wir bereit sind, uns an die Beschränkungen der KI anzupassen. Und in absehbarer Zeit stellt sich dann auch die Frage, ob wir bereit sind, KI oder dem von KI Geschaffenen Rechte zuzugestehen.

Rechte für KI?

Im ersten KI-ismus-Beitrag haben wir schon herausgearbeitet, dass einer KI definitionsgemäß der "menschliche Geist" fehlt, um "geistig zu schöpfen", was aber für den urhebergesetzlichen Schutz von Werken erforderlich ist: Die urheberrechtsrelevante Schöpfung ist ein höchstpersönlicher, vertretungsfeindlicher Realakt, bei dem die "Eigentümlichkeit" der Persönlichkeit des Schöpfers oder der Schöpferin entspringt. Diese Formel begründet, warum rein technisch Bedingtem oder Zufallsschöpfungen oder Werken von Tieren der Urheberrechtsschutz verweigert wird. Diese Formel steht dem Urheberrecht an von durch Starke KI Geschaffenem entgegen.

Für einen Urheberrechtsschutz fehlt dem "Pilger" das Geistige.
Zeichnung: Daniel Jokesch

Wenn man der "Verschwörungstheorie" des Users Rico Whatever folgt, wären unsere Beiträge daher ohne Schutz – zumindest nach dem Urheberrecht:

Offensichtlich sieht Rico Whatever in uns einen großen Geist, der es wert ist, ins Internet hochgeladen zu werden.

Als KI müssten wir dann urhebergesetzlich danach trachten, unseren Blog zu einer investitionsintensiven Datenbank zu machen, um möglicherweise das – vom menschlichen Beitrag unabhängige – urhebergesetzliche Leistungsschutzrecht für Datenbanken geltend machen zu können: Für Datenbanken normiert das Urheberrechtsgesetz nämlich ein Leistungsschutzrecht, wonach der in die Datenbankerstellung (Beschaffung, Überprüfung oder Darstellung ihres Inhalts) investierende Hersteller gesetzlichen Schutz gegen die gestattungslose Übernahme des Datenbankinhalts genießt. Dieses Datenbankschutzrecht verlangt keinen "menschlichen Schaffensakt", sondern alleine eine wesentliche Investitionsleistung. Diesen Schutz könnte dann unser "Betreiber" geltend machen. Zur Klarstellung: Uns als KI käme niemals der Schutz nach dem Urheberrechtsgesetz zu.

Doch könnten wir als KI – oder zumindest unser "Betreiber" – versuchen, geistiges Eigentum für unsere Leistungen durch gewerbliche Schutzrechte, also insbesondere Patent, Geschmacksmuster oder Marken, zu erlangen? Dem werden wir im nächsten Blogbeitrag nachgehen. (Max Mosing, Daniel Jokesch, 17.2.2023)