Grüner Irrgarten: Der Markt mit Nachhaltigkeits-Labels ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen – und damit auch der Anteil falscher Versprechungen.

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Eine Frau auf dem Markusplatz in Venedig schaut in Richtung des imposanten Doms – daneben der Schriftzug "CO2-neutral zur Biennale fliegen? Für uns keine Kunst!". Austrian Airlines, so suggeriert ein Werbeplakat der Fluglinie aus dem vergangenen Jahr, bringe ihre Fluggäste ohne jegliche Schäden für das Klima zur italienischen Kunstausstellung. Der österreichische Werberat meldete sich prompt: Die Werbung setze den Ethikkodex der Branche "nicht ausreichend sensibel um". Den Kundinnen und Kunden würden wichtige Informationen vorenthalten – grob zusammengefasst: der Flug verursache sehr wohl CO2.

Die Beschwerde ist keine Ausnahme. Ein Blick in Werbebroschüren oder Supermarktregale genügt. Da reihen sich Konserven mit "nachhaltigen" Makrelen an Büchsen mit Thunfisch, für deren Fang laut Label keine Delfine getötet wurden. In der Obstabteilung verspricht ein Sticker auf den Bananen, dass für diese kein Stück Regenwald abgeholzt wurde. Ein paar Schritte weiter wirbt Hipp mit "klimapositiver" Babynahrung.

Der Markt für Produkte mit grünen Labels ist in den vergangenen Jahren enorm gewachsen – und damit auch der Anteil falscher oder zumindest irreführender Versprechungen. Rechtlich bewegen sich einige Fälle in einer Grauzone. Zwar dürfen natürlich keine falschen Angaben gemacht werden, doch was genau als "umweltfreundlich", "nachhaltig" oder "klimaneutral" angepriesen werden darf, ist nicht einheitlich festgelegt. Das Problem in Zahlen: Eine Studie von europäischen Verbraucherschutzbehörden Ende 2020 ergab, dass 42 Prozent der 344 untersuchten Nachhaltigkeitslabels übertrieben, falsch oder irreführend waren.

VIDEO: Warum ihr auf Greenwashing reinfallt
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Klimalabels in Vertrauenskrise?

Als weltweit erste Gesetzgeberin will die EU-Kommission jetzt eigene Regeln für grüne Versprechen einführen. Für 22. März hat sie dazu einen Vorschlag angekündigt, den dann die Mitgliedstaaten und das EU-Parlament ausverhandeln werden. Ein Entwurf liegt dem STANDARD bereits vor.

"Führe mit grünen Versprechen nicht in die Irre", lautet die Grundregel, die die Kommission dort ausbuchstabieren möchte. Es gelte, Grauzonen schwarz oder weiß zu färben und Behörden ein Werkzeug in die Hand zu geben, um bei der Kontrolle hinterherzukommen. Das derzeitige Chaos schwäche das Vertrauen von Konsumentinnen und Konsumenten in wichtige Umweltinformationen, begründet die EU-Kommission ihren Vorschlag.

Ein Schritt, den sie dem entgegensetzen will, ist eine neue Pflicht zur Offenlegung. Damit müssten Unternehmen künftig beweisen, wie sie ihre Versprechen einhalten – und die nötigen Nachweise veröffentlichen. Bisher müssen Unternehmen diese nur an Behörden übermitteln, wenn sie dazu aufgefordert werden. "Diese Öffentlichkeit wird dabei helfen zu kontrollieren, dass die Regeln eingehalten werden", meint Blanca Morales, die bei der Organisation European Environmental Bureau (EEB) im Bereich Umwelt- und Klimalabels arbeitet.

Irreführender CO2-Ausgleich

Ein Versprechen, für das die Regelung wohl besonders relevant werden könnte, ist das Label "Klimaneutral". Dieses beruht meist darauf, dass ein Unternehmen CO2-Zertifikate zukauft, die die eigenen Emissionen dann ausgleichen. Dazu wird für jede Tonne CO2, die bei der Herstellung eines Produkts entsteht, in ein Klimaprojekt investiert, das dieselbe Menge an CO2 einsparen soll. Das Label sei besonders "gefährdet", unklar zu sein, schreibt die Kommission in dem Entwurf weiter.

In Europa liefen zu solchen Werbungen bereits mehrere Klagen: In Deutschland klagte die Wettbewerbszentrale unter anderem gegen Aldi Süd, weil sich dieser als "erster klimaneutraler Lebensmitteleinzelhändler" bezeichnete – die Wettbewerbszentrale nannte das irreführend, weil Aldi einen großen Teil seiner Emissionen mit Zertifikaten ausgleicht. Und in den Niederlanden entschieden die Wettbewerbshüter, Shell dürfe nicht mehr länger mit "klimaneutralen" Tankladungen werben – weil dahinter bloß Ausgleichszahlungen für Klimaprojekte stehen.

Die Rechtslage für solche Werbungen soll, geht es nach der Kommission, bald europaweit sehr viel klarer sein: Unternehmen sollen fortan offenlegen müssen, welchen Anteil ihrer Emissionen sie über Zertifikate ausgleichen – und welche Art von Klimaprojekt sie finanzieren. Aber können die Auflagen den Ruf eines Labels polieren, das in den vergangenen Monaten derart unter Druck geraten ist? Können solche Regeln CO2-Zertifikate zu einem sinnvolleren Instrument machen?

Austrian Airlines erwartet konkretere Vorgaben

Dazu reiche die Vorlage der Kommission auf keinen Fall, meint Morales von EEB. "Wir fordern strengere Regeln für das Neutralitätslabel." Zwar ist Morales dafür, dass Firmen weiterhin damit werben dürfen, wenn sie in Klimaprojekte investieren – aber nicht mehr unter dem "Klimaneutral"-Label.

"Es gibt viele gute Klimaprojekte, die Geld brauchen. Aber wozu müssen Konsumentinnen und Konsumenten in die Irre geführt werden?" Sie findet: Die Unterstützung von Klimaprojekten muss auch als solche beworben werden – und nicht über den Umweg einer Versprechung der CO2-Neutralität.

Unternehmen wie die Austrian Airlines verfolgen die Diskussion jedenfalls genau. Schließlich will die AUA auch weiterhin mit Kompensationsprogrammen Geld für Klimaprojekte sammeln und startete am Mittwoch dazu einen neuen Tarif: Für Kurz- und Mittelstreckenflüge können Passagiere neue Green-Fare-Tickets wählen. Interkontinentalstrecken sollen später dazu kommen. Für einen Aufpreis reduziert die Fluglinie 20 Prozent des CO2 durch die Verwendung von nachhaltigen Kraftstoffen – Sustainable Aviation Fuel (SAF). Eingesetzt werden dazu vorerst Treibstoffe aus Abfällen und Altöl. Die restlichen 80 Prozent des CO2 werden mit Zahlungen an Klimaschutzprojekte ausgeglichen.

Wie Werbungen dafür künftig aussehen können, wird in der EU wohl bald schon viel konkreter geregelt sein, erwartet die AUA.

Das Net-Zero-Ziel des Elektronikherstellers Samsung zählt das New Climate Institute zu den unglaubwürdigsten grünen Versprechen großer Konzerne.
Foto: EPA / Jeon Heon-Kyun

New Climate Institute: Klimapläne vieler Konzerne unglaubwürdig

Der Vorschlag der Kommission, wie sie mit Greenwashing aufräumen will, reicht allerdings noch um einiges weiter, als nur die Werbung mit Kompensationszahlungen zu regulieren. Etwa will die Kommission verlangen, dass Unternehmen, die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt klimaneutral sein wollen, beweisen müssen, wie das gelingen soll.

Für den Anwalt Jonathan White von Client Earth müssten die Auflagen allerdings noch konkreter werden, als sie die Kommission in ihrem Vorschlag formuliert. "Die EU müsste einfordern, dass ein Unternehmen, das ein Ziel bewerben möchte, auch das nötige Budget dazu hat. Und dass es heute schon verfügbare Technologien einsetzt."

Warum eine solche Regelung relevant ist, zeigt ein neuer Bericht des deutschen New Climate Institute. Es evaluierte die Klimapläne von 24 großen Unternehmen – 15 davon nennt das Institut unglaubwürdig. Eine "hohe Integrität" erreiche kein einziges Unternehmen, so die Analysten. In der zweitbesten Kategorie landet nur der Reederei Maersk, ihr spricht der Bericht eine "angemessene Integrität" zu. Grund dafür seien die höhen Investitionen der Reederei in CO2-arme Schiffe wie auch die dazugehörigen Kraftstoffe. Am schlechtesten schneiden die Supermarktkette Carrefour, der Fleischproduzent JBS und der Elektronikhersteller Samsung ab.

Kein Rosinenpicken mehr

Mit einer weiteren Klausel will die Kommission das Rosinenpicken stoppen. So soll ein Unternehmen nicht mehr einen bestimmten Aspekt eines Produkts bewerben dürfen, wenn es der Welt ansonsten schadet. Organisationen wie Client Earth fordern, dass das nicht nur für einzelne Produkte, sondern auch ganze Unternehmen gelten soll. Wenn beispielsweise ein Ölkonzern mit einem Windpark wirbt, müsse das in Relation zu seinem sonstigen Fußabdruck gesetzt werden. "Es geht darum, dass Unternehmen ein akkurates Bild ihres Geschäfts zeigen", erklärt White.

Damit all das kein Papiertiger bleibt, fordert die Kommission neue Prüfsysteme in den Mitgliedstaaten. Außerdem müssen Regierungen jeweils selbst Strafen festlegen für den Fall, dass ein Unternehmen gegen die Vorschriften verstößt und ihm Greenwashing nachgewiesen wird. Wer den Markt aber kontrollieren soll, dazu findet sich noch nichts in dem Entwurf.

Noch ist nicht klar, ob die Greenwashing-Richtlinie für sämtliche Geschäfte gelten soll.
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VKI: "Der Label-Dschungel wird entwirrt"

Komplett offen ist auch, ob alle Unternehmen reguliert werden sollen oder nur bestimmte Sektoren. Hier werde noch versucht, den Vorschlag zu verwässern, warnt Raphael Fink, Projektleiter des Greenwashing-Checks beim Verein für Konsumenteninformation (VKI). Beispielsweise gebe es Versuche, Lebensmittel aus der Regelung auszunehmen, erzählt Fink.

"Das wäre natürlich Wahnsinn. Gerade im Lebensmittelbereich sind Kundinnen und Kunden mit besonders vielen Labels und Umweltbehauptungen konfrontiert", so der Konsumentenschützer. Im Großen und Ganzen findet er aber: "Aus Konsumentensicht bringt die Richtlinie viel Positives. Der Label-Dschungel wird entwirrt." Jetzt gelte es, die Details richtig hinzubekommen. (Alicia Prager, 17.2.2023)