Im Gastblog analysiert Lena Sadovski die Geschichte der Republik Poljica und zeigt, welche Rolle diese zwischen Venedig und dem Osmanischen Reich spielte.

"Die Schlüssel zu unseren Städten Split, Trogir und Šibenik" – mit diesen Worten unterstrich der venezianische Senat im Jänner 1498 die strategische Bedeutung der Grenzgebiete zum Osmanischen Reich im Hinterland der dalmatinischen Stadt Split (Spalato). Diese ländliche Pufferzone war essenziell zum Schutz und zur Verteidigung der Küstenstädte, die selbst nur über ein sehr kleines Umland verfügten. Ein Großteil dieser Gebiete gehörte zu dem halbautonomen Gemeinwesen der Poljica ("Feldgegend", von kroat. polje, "Feld"; ital. Poglizza), das auf einer Fläche von rund 250 Quadratkilometern südöstlich von Split zwischen den Flüssen Žrnovica und Cetina lag, an deren Mündung sich das Festungsstädtchen Omiš (ital. Almissa) befindet. Als unabhängiges Gebilde entstand die Poljica im Laufe des 14. Jahrhunderts. Im Jahr 1444 wurde sie jedoch gemeinsam mit Omiš der venezianischen Republik unterstellt, nachdem diese zwischen 1409 und 1420 bereits die Herrschaft über die dalmatinischen Inseln und Küstenstädte wiedererlangt hatte – mit Ausnahme Dubrovniks, das eine selbstständige Republik blieb.

Mündung der Cetina bei Omiš.
Foto: Lena Sadovski

Interne Autonomie und eigene Gesetze

Unter der venezianischen Herrschaft konnten sowohl die Küstenstädte als auch die Poljica und Omiš ihre interne Autonomie sowie ihre eigenen Gesetze und rechtlichen Gewohnheiten weitgehend behalten. Von besonderer Bedeutung für diese Selbstverwaltung waren die jeweiligen Statuten, also die schriftlich festgehaltenen Gesetze, die als Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens dienten und von Einbürgerungen über Erbschaften, Mitgiften und Fischfang bis zu Körperverletzung, Hexerei und Priesterkonkubinen die unterschiedlichsten Lebensbereiche abdeckten. Nachdem sich die Städte ab dem späten 13. Jahrhundert derartige Gesetzessammlungen gegeben hatten, folgte die Poljica dieser Entwicklung durch die Niederschrift eigener Statuten im Jahr 1440. Im Gegensatz zu den lateinischen Statuten der Städte sind diejenigen der Poljica im mittelalterlichen westlichen Südslawisch (der auch "Kroatisch-Kirchenslawisch" genannten Vorgängerform des heutigen Kroatischen, Bosnischen und Montenegrinischen/Südwestserbischen) in kyrillischer Schrift gehalten.

Diese Statuten verraten uns viel über die rechtlichen und sozialen Strukturen eines mittelalterlichen slawischen Gemeinwesens. An mehreren Stellen wird etwa die Trennung der Gesellschaft in eine privilegierte Klasse der Adeligen (plemeniti ljudi, "Leute aus (einem guten) Stamm") und das diesem vielfach hörigen Volk (kmetići, "Bauern/Leibeigene") deutlich. Der Adel selbst war wiederum in eine aus Ungarn und eine aus Bosnien stammende Partei geteilt. An der Spitze der Poljica stand ein sogenannter Knez (wörtlich "Fürst"), der in den lateinischen/italienischen Dokumenten der Venezianer als Comes/Conte, "Graf", bezeichnet wird. Der Knez wurde bei der jährlich am St.-Georgs-Tag (23. April) stattfindenden Versammlung der Adeligen gewählt. Aufgrund dieser demokratisch anmutenden und auf schriftlichem Recht beruhenden Selbstverwaltung wurde – und wird – die Poljica häufig als "Republik" bezeichnet (kroat. Poljička republika); als Erster tat dies 1774 der italienische Gelehrte Alberto Fortis.

Handschrift der Statuten der Poljica aus dem Jahr 1515.
Foto: Arhiv HAZU, Zbirka ćirilskih rukopisa i kodeksa: Poljički statut, sign. I c 65 (https://www.info.hazu.hr/jedinice/arhiv/)

Die Rolle der Richter

Wie aber gestaltete und sicherte die Markusrepublik ihre Herrschaft über die "Adelsrepublik" Poljica? Während das lokale slawische Recht weitgehend beibehalten werden konnte, versuchten die Venezianer ihre Kontrolle vermittels des Amtes des Knezen auszuüben. Da die Venezianer selbst aber weder die slawische Sprache beherrschten noch über die notwendigen Ortskenntnisse verfügten, sollte die Versammlung der Poljica jedes Jahr einen Angehörigen des Adels der Stadt Split zu ihrem Knezen ernennen. Diese Stadtadeligen waren in der Regel zweisprachig und Venedig treu, weswegen ihre Vermittlung zur Kontrolle des dalmatinischen Hinterlands ein geschickter Schachzug der Venezianer war. Als oberster lokaler Richter musste der aus Split kommende Knez während seiner einjährigen Amtszeit dreimal durch die gesamte Poljica reisen, um Streitfälle anzuhören und Recht zu sprechen.

Dabei blieben die Venezianer aber keine reinen Zuschauer, denn sollte eines der Urteile des Knezen beanstandet werden, konnte Berufung beim venezianischen Statthalter von Split, der stets ein Patrizier der Lagunenstadt war, eingebracht werden. Gegen dieses zweitinstanzliche Urteil war wiederum die Berufung direkt in Venedig möglich – sofern man sich die weite Reise leisten konnte. Hieran zeigt sich einer der wichtigsten Grundzüge der venezianischen Verwaltung der Überseegebiete: die Regierung vermittels der Rechtsprechung auf Grundlage des jeweiligen lokalen Rechts. Die Venezianer mischten sich kaum in interne Angelegenheiten ein, kam es aber zu gerichtlichen Streitigkeiten und Berufungen, gerierten sie sich als neutraler Dritter, der ein für alle Seiten gerechtes Urteil fällen würde. Venedig bringe Gerechtigkeit und Stabilität, so sollte die Botschaft lauten.

In den kroatischen Archiven überlieferte Notariats- und Prozessakten geben detaillierte Einblicke in das praktische Funktionieren dieses Justizsystems und der Zusammenarbeit zwischen den venezianischen und den slawischen Institutionen der Stadt und des Hinterlands: In Split erkannte man die Rechtsgültigkeit von Verträgen aus der Poljica an und nahm diese – in italienischer oder lateinischer Übersetzung – in die eigenen Bücher auf; Personen aus der Poljica wandten sich an die Kanzlei von Split, um Verträge niederschreiben zu lassen, da man der venezianischen Verwaltung vertraute und überdies die Verträge in der befestigten und bewachten Stadt besser aufbewahrt werden konnten; die Gerichte der Stadt und des Hinterlands arbeiteten zusammen, indem sie miteinander – sogar schriftlich auf Slawisch – korrespondierten, füreinander Zeugen und Zeuginnen befragten und die Gesetze und Entscheidungen der jeweils anderen Institutionen anerkannten und umsetzten.

Die osmanische Bedrohung

Durch diese Kooperation anstelle einer einseitigen Domination sollte die Loyalität der Poljica zu Venedig gesichert werden. Denn wie eingangs festgehalten kam dem Gebiet der Poljica als Pufferzone zum Osmanischen Reich eine große strategische Bedeutung zu, welche an den ständigen Gefahren deutlich wird, denen man außerhalb der Stadtmauern Splits ausgesetzt war. Wie der kroatische Humanist Marko Marulić in seinen Briefen an Papst Hadrian VI. in drastischen Worten schilderte: "Täglich werden wir durch die Überfälle der ungläubigen Türken in Gefahr gebracht, ohne Unterlassung werden wir zerrupft, die einen werden niedergemetzelt, die anderen gehen weg in Gefangenschaft, Sachen werden geplündert, das Vieh wird entführt, die Dörfer und Gehöfte verbrannt." Diese ständige Bedrohungslage stellte eine große psychische Belastung für die Bevölkerung Splits dar, weswegen die venezianischen Statthalter mitunter von der aufgeheizt-negativen Stimmung vor Ort berichteten.

Entführungen und gefangene Osmanen

Eine allgegenwärtige Gefahr waren Entführungen, deren Ziel neben dem Verkauf und der Versklavung der betroffenen Personen die Forderung von Lösegeld war. Zahlreiche Angehörige von Entführungsopfern mussten Schulden aufnehmen, um das Lösegeld aufzubringen und ihre Lieben heimzuholen. Auch andere Probleme gingen damit einher: Wer sollte den Besitz der Entführten während deren Abwesenheit verwalten, wer für ihre Schulden aufkommen, und was geschah, wenn ein totgeglaubter Entführter nach Jahren doch noch heimkehrte, dessen vermeintliche Witwe aber in der Zwischenzeit erneut geheiratet hatte?

Über die Freilassung von Entführungsopfern verhandelten häufig die Venezianer direkt mit osmanischen Verwaltern, die ihrerseits an der Freilassung von osmanischen Untertanen interessiert waren, welche in venezianischen Gebieten gefangen gehalten wurden. Wiederholt lässt sich in den Quellen lesen, dass beide Seiten nicht gewusst hätten, dass es sich bei den Gefangenen um Untertanen des jeweils anderen Staates handelte. Um den Frieden, das Vertrauen und die "Liebe" zwischen dem Sultan und Venedig zu erhalten, habe man daher unmittelbar nach Kenntnisnahme dessen die Freilassung der Betroffenen angeordnet.

So befahl etwa der venezianische Statthalter von Split im April 1491 dem als Knez der Poljica amtierenden Spalatiner Adeligen Lorenzo de Grisogonis, die Freilassung des osmanischen Tributeinsammlers zu erwirken, der von dem Poljicaner Adeligen Stephanus Gregorich festgehalten wurde. Andernfalls drohe dem Poljicaner eine Bestrafung wegen Treulosigkeit und Rebellion, denn auch die Venezianer wollten die Beziehungen zu den Osmanen und den für den Handel so wichtigen Frieden nicht durch Entführungen osmanischer Untertanen, zumal offizieller Beamter, gefährden. Der Knez trug diesen Befehl dem Entführer persönlich vor und informierte ihn darüber, dass der Statthalter einen Brief des venezianischen Botschafters aus Konstantinopel erhalten habe, dem zufolge im Gegenzug für die sofortige Freilassung des osmanischen Beamten die Türken ihrerseits entführte Poljicaner freilassen würden.

Die Festung Klis.
Foto: Lena Sadovski

Friedenssicherung und durchlässige Grenzen

Die Unterbindung von Gewalttaten und Entführungen vonseiten der venezianischen gegen osmanische Untertanen war neben der regelmäßigen Gabe von kostspieligen Geschenken an osmanische Statthalter die wohl wichtigste Strategie der Friedenssicherung in Dalmatien. Dazu zählte auch die Nichteinmischung in Konflikte zwischen den Osmanen und den Ungarn beziehungsweise den Habsburgern. Für Split und die Poljica von unmittelbarer Relevanz war diesbezüglich die Festung Klis – neuerdings bekannt als Drehort der Stadt Meereen in "Game of Thrones" –, die unter ungarischer, ab 1526 unter habsburgischer und nach langen Kämpfen ab 1537 (und bis 1648) unter osmanischer Herrschaft stand.

Die Quellen zeigen wiederholt die verhaltenen Reaktionen der Venezianer auf Hilferufe aus Klis, denn die Angst, dadurch die Osmanen zu verärgern, war groß. Während der Belagerung der Festung des Jahres 1532 zeigte sich der habsburgische Botschafter in Venedig entsetzt über die mangelnde christliche Solidarität der Venezianer. Für Venedig war dies eine Gratwanderung, denn neben den Osmanen wollte man auch die Habsburger nicht verärgern. Zudem würde mit dem Fall von Klis ein weiterer "Schlüssel" zu den wichtigen dalmatinischen Küstenstädten in Feindeshände fallen.

Doch am Ende halfen auch die durchdachtesten Strategien nicht gegen die militärische Übermacht der Osmanen. Klis fiel 1537, und schon zuvor, zwischen 1513 und 1514, hatte Venedig auch die Kontrolle über die Poljica verloren. Die Bedrohungslage Dalmatiens verschärfte sich dadurch noch weiter. Doch wurden die schlimmsten Befürchtungen der Venezianer nicht wahr, da die Poljica nicht als Ausgangspunkt eines Ansturms auf die Küstenstädte genutzt wurde. Vielmehr konnte sie auch unter osmanischer Herrschaft ihren halbautonomen Status beibehalten, wodurch es zu keinem kompletten Abbruch der Beziehungen zum venezianischen Split kam: Die Quellen zeigen klar den Fortbestand der Zusammenarbeit zwischen einzelnen Personen, aber auch den Gerichten und Kanzleien der Stadt und des Hinterlands – oft blieben die Grenzen somit durchlässig und wurden zu keinem unüberwindbaren Hindernis für die alltäglichen Beziehungsnetzwerke der Menschen. (Lena Sadovski, 20.2.2023)