Zumindest eines hat Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) mit seinem Interview am Dienstag im Kurier erreicht: Ganz Österreich spricht über ihn. Im Interview forderte der Minister, dass Menschen, die "freiwillig weniger arbeiten", weniger Sozialleistungen bekommen sollen.

Einmal mehr zielt der gelernte Ökonom auf die hohe Teilzeitbeschäftigung in Österreich ab. In Zeiten des Arbeitskräftemangels, der sich demografiebedingt wohl noch zuspitzen wird, ein ernstzunehmendes Phänomen. Eines, das ein besseres Image habe, als es der Lebensrealität entspreche, verweist der Minister auf die bei Teilzeitkarrieren oft dürftigen Pensionen. Ohnehin sei Teilzeitarbeit ein "Privileg", das nicht allen offenstünde.

Mehr Vollzeitbeschäftigung

Nun also ein neuer Vorschlag, was man gegen die Verlockungen der abgespeckten Arbeitswoche unternehmen sollte. Auf Nachfrage des STANDARD rudert Kocher etwas zurück: "Es geht bei der Diskussion nicht um Kürzungen von Sozialleistungen. Es geht darum, bei neuen Maßnahmen, Änderungen und Reformen (die es ja laufend gibt) den Aspekt der Teilzeit stärker zu berücksichtigen. Gerade vor dem Hintergrund des oft geäußerten Vorwurfs der Gießkanne ist ein treffsicherer Einsatz von Steuer- und Beitragsmitteln zentral." Selbstverständlich gehe es bei der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung auch um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch qualitative Kinderbetreuung und attraktive Arbeitsbedingungen. Die Gewerkschaft der Angestellten sprach am Dienstag schon einmal von einem "frauenfeindlichen Vorschlag", Fachleute von einem "völligen Systemwechsel". Ähnlich äußerte sich Kanzler Karl Nehammer (ÖVP). Er schloss aus, dass etwa pflegende Angehörige betroffen sein könnten.

In Österreich arbeiten besonders viele Menschen in Teilzeitjobs. Die Quote ist vor allem bei Frauen hoch. Minister Martin Kocher hat das Problem mehrfach adressiert.
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Kochers Aussagen seien zumindest unklar formuliert, sagt Christine Mayrhuber, Arbeitsmarktexpertin am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) im STANDARD-Gespräch. Arbeitslosengeld und Pension orientieren sich ohnehin am Gehalt. Menschen, die Teilzeit arbeiten, haben jetzt schon einen deutlichen finanziellen Nachteil. Und Teilzeitbeschäftigten Sozialleistungen wie die Familienbeihilfe oder die Mindestsicherung zu kürzen wäre aus Sicht der Expertin nur schwer denkbar.

Universalleistungen

"Familienleistungen sind Universalleistungen", erklärt Mayrhuber. "Wir haben das Prinzip, dass jedes Kind gleich viel wert ist und gleich viel bekommt, egal welchen finanziellen Hintergrund es hat. Das ist ein Grundsatz, an dem wir nicht rütteln sollten." Eine Umstellung wäre ein "völlig neues System" und aus ökonomischer Sicht nicht sinnvoll. Die Aufstiegsmöglichkeiten für Kinder aus finanziell schlechtergestellten Familien seien schon jetzt deutlich beschränkter. "Gerade in Zeiten einer Knappheit an Arbeitskräften brauchen wir gutausgebildete Menschen, unabhängig von der sozialen Stellung", sagt Mayrhuber.

Mindestsicherung

Auch bei der Mindestsicherung wären Kürzungen nicht zielführend. Sie ist jetzt schon die Untergrenze dessen, was Menschen zum Leben brauchen. Im Jahresdurchschnitt gab es 2021 österreichweit rund 200.000 Bezieherinnen und Bezieher. 15.404 davon bekamen die Mindestsicherung mit Einkommensanrechnung – viele davon, weil sie teilzeitbeschäftigt sind. Im Vergleich zum großen Mangel an Arbeitskräften ist die Gruppe klein.

Martin Kocher erntet für seinen Vorschlag heftige Kritik.
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Sollten nur Menschen, die "freiwillig" Teilzeit arbeiten, weniger Sozialleistungen bekommen, stelle sich zudem die Frage, wie der Begriff der "Freiwilligkeit" überhaupt definiert werde. Laut Mayrhuber wäre dies kaum möglich. "Das hängt stark von der individuellen Lebenssituation ab", gibt die Ökonomin zu bedenken. "Häufig haben Frauen, die Teilzeit arbeiten, Betreuungsverpflichtungen. Wenn der Arbeitsplatz nicht flexibel genug ist oder Kinderbetreuung fehlt, kann man schwer von ‚freiwillig‘ sprechen."

Österreich an der Spitze

Darauf verweisen auch Zahlen von Eurostat, deren Erhebungen zeigen, dass etwa ein Drittel aller Teilzeitbeschäftigten in Österreich nicht Vollzeit arbeitet, obwohl es das gern würde. Damit hat Österreich innerhalb der EU den höchsten Wert und ist weit entfernt vom Vorreiter Dänemark, der bei etwa 1,6 Prozent liegt. Seit 1994 hat sich der Anteil der weiblichen Teilzeitbeschäftigten fast verdoppelt. Jede zweite erwerbstätige Frau arbeitet weniger als das volle Maß an Wochenstunden – bei den Männern sind es rund elf Prozent. Kinder und die Aufteilung der unbezahlten Arbeit spielen eine wichtige Rolle: 25 Prozent der kinderlosen Frauen zwischen 25 und 49 arbeiten Teilzeit, bei Müttern sind es 74 Prozent.

Die Frage, wie man Teilzeitbeschäftigte dazu bringt, mehr Stunden zu arbeiten, war bereits mehrfach Gegenstand heißer Debatten.
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Dazu kommt nun ein ganz neuer Trend: Immer mehr junge Menschen wollen schlicht und ergreifend nicht Vollzeit arbeiten – weil sie dem Diktum "Leben, um zu arbeiten" abgeschworen haben und ihnen die richtige Work-Life-Balance wichtiger ist. "Die Beschäftigten haben zum Teil andere Bedürfnisse, was Freizeit betrifft." Den Satz, den Vanessa Steinmetz-Bundy formuliert, unterstreichen viele Unternehmer. Steinmetz-Bundy beschäftigt in ihrem Frisiersalon am Wiener Opernring 15 Leute. Nur einer der Stylisten, wie die Friseure hier genannt werden, arbeitet Vollzeit, alle anderen haben ein Teilzeitmodell. Man müsse auf die Wünsche eingehen, sagte Steinmetz-Bundy jüngst im Gespräch mit dem STANDARD.

Ältere, die nicht mehr Vollzeit arbeiten wollen oder können, andere die Betreuungspflichten haben: Unternehmen reagieren zunehmend mit flexiblen Arbeitszeitmodellen. Seit der Pandemie ist die Zahl der pro Kopf geleisteten Arbeitsstunden gesunken. Auch das hat Kocher wohl mit seinem Vorstoß im Hinterkopf. Braucht es nun also auch Druck, um mehr Menschen in Vollzeit zu bekommen?

Diese Art Druck brauche es nicht, so sieht es der grüne Sozialminister Johannes Rauch: "Maßgeblich ist der Bedarf an Unterstützung – nicht das Ausmaß der Beschäftigung. Kürzungen bestehender Sozialleistungen stehen für mich nicht zur Diskussion." (Regina Bruckner, Joseph Gepp, Jakob Pflügl, András Szigetvari, 14.2.2023)