Wir werden mehr. Das ist prinzipiell eine gute Nachricht. Die Bevölkerung in Österreich wächst, es sind 9,1 Millionen Menschen im Land, 127.000 mehr als im Jahr zuvor.

Die Mehrheit in Österreich mag das nicht als positive Entwicklung sehen. Der Anteil ausländischer Staatsangehöriger ist auf 19 Prozent gestiegen. In Wien sind es bereits 34 Prozent. Das empfinden viele nicht als Bereicherung, sondern als Bedrohung.

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Österreichs Bevölkerung wächst: Die Statistik Austria zählt exakt 9.106.126 Menschen.
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Migration wird in Österreich negativ wahrgenommen. Das liegt auch an der politischen Debatte. Die FPÖ und zum Teil die ÖVP thematisieren Migration als Schreckensszenario, verbunden mit Neid und Angst. Die FPÖ hat einen rassistischen Ansatz: Sie lehnt alles Nichtösterreichische ab. Die ÖVP stellt die Gefahren der Migrationsbewegung in den Vordergrund und versucht sich als Bändiger ebendieser zu inszenieren. Die SPÖ fürchtet sich. Da gibt es unterschiedliche Ansätze, die aber nicht zu einer Linie verbunden werden. Von den Grünen hat man schon länger nichts mehr Konstruktives zu dem Thema gehört.

Wir brauchen eine offene Diskussion. Eine, die Gefahren nicht ausblendet und Ängste nicht ignoriert, die aber auch das Positive erkennen und Chancen steuern will. Die Menschen, die zu uns kommen, werden nach Absolvierung aller bürokratischen Hürden, die Österreich aufzubauen imstande ist, irgendwann auch Österreicher. Wir brauchen diese Menschen. Wir sollten sie auch wollen. Es gibt einen Höchststand an offenen Stellen. Unser Wohlstand und auch unsere Bequemlichkeit hängen davon ab, dass es in allen Bereichen ausreichend Arbeitskräfte und Kaufkraft gibt, dass es funktionierende Lokale und Geschäfte gibt, dass die Industrie produktiv sein kann. Das hat nichts mit Humanität zu tun, das ist Wirtschaft.

Menschenrechtliche Verpflichtungen

Die Parteien der Mitte verabsäumen es, das Thema konstruktiv zu besetzen und offensiv anzugehen. Dazu wäre es notwendig, Asyl und Migration auseinanderzuhalten.

· Asyl Hier ist zu trennen zwischen geordneten Verfahren und der sogenannten irregulären Migration, die als Missbrauch des Asylsystems stattfindet. Es braucht ein Bekenntnis dazu, dass Österreich zu seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen steht, es braucht aber auch Übereinstimmung, dass wir alles gegen ungeordnete Migration unternehmen, im Idealfall gemeinsam mit anderen Staaten.

· Migration Kommen diejenigen Menschen und Arbeitskräfte zu uns, mit denen wir gut leben können und die wir als Gesellschaft und Wirtschaftsgefüge auch brauchen? Zu oft lautet die Antwort: Nein.

Holen wir Fachkräfte gezielt aus dem Ausland? Nein.

Unternehmen wir genug, um diejenigen, die schon da sind, zu integrieren und zu beschäftigen? Nein.

Finden wir einen guten Weg zwischen Fordern und Fördern? Nein.

Haben wir Politikerinnen an den richtigen Stellen sitzen, die sich darum kümmern? Nein. In den Ministerien wird in erster Linie Parteiarbeit verrichtet.

Das Fehlen einer offensiven und konstruktiven Migrationspolitik zeigt das Versagen aller Parteien im Lande auf. Migration passiert, sie wird bestenfalls verwaltet, aber nicht gestaltet. Wir sollten aufhören, uns zu fürchten, und die Gestaltung in die Hand nehmen. Das ist ein Appell an die Politik, aber auch an die Bevölkerung. Die betrifft es nämlich. (Michael Völker, 15.2.2023)