Protest gegen Sellner (rechts außen) und die Identitären in Wien.

Die Identitären verstärken ihren Aktivismus.

Screenshot: DER STANDARD

So aktiv waren die Identitären schon seit Jahren nicht mehr. Führten sie bislang durchschnittlich eine Aktion pro Monat durch, waren es allein zwischen 29. Jänner und 6. Februar dieses Jahres gleich drei. In St. Pölten kletterten sie auf das Gebäude der niederösterreichischen ÖVP, in Wien brachten sie rassistische Transparente an einer Schule an und störten eine Demonstration. Die Wahl- und Umfrageerfolge der FPÖ scheinen sie zu beflügeln, zudem findet gerade ein Generationswechsel statt.

Sellner will leiser treten

Über Jahre war Martin Sellner das Gesicht der rechtsextremen Identitären. Seine Phase des "Aktivismus" gehe nun zu Ende, kündigte er am Vorabend seines 34. Geburtstags in einem auf Telegram veröffentlichten Video Anfang des Jahres an. Er wolle kein "Berufsjugendlicher, kein alter Knacker" sein, sondern sich künftig auf den "Infokrieg" (im Netz) konzentrieren, erzählt Sellner darin. Was er darunter versteht, ist neuerdings auf Tiktok zu sehen, dort bespielt er junge Nutzer und Nutzerinnen mit seinen Propagandavideos. Sellner nutzt Telegram und andere Plattformen, um Themen zu setzen und um Spenden zu sammeln.

Martin Sellner im Gespräch mit Jakob Gunacker 2021 bei einer Demonstration in Wien.
Foto: Markus Sulzbacher

Mit seinem Rückzug treten zwei Männer endgültig in die erste Reihe, beide werden von Sellner auch im Video erwähnt: der Burschenschafter Gernot Schmidt und Jakob Gunacker, der das Identitären-Spin-off "Die Österreicher" anführt.

Vermummte Identitäre führen eine Corona-Demonstration in Wien an. Mit dabei: Gernot Schmidt.
Foto: Markus Sulzbacher

Der harte Kern der Gruppe zählt rund 30 bis 50 Personen, die aktuell hauptsächlich in Wien und Oberösterreich aktiv sind. Bei Demonstrationen bringen sie einige Hundert Personen auf die Straße.

Während Gunacker sich bei der Gruppierung um Organisatorisches kümmert und sie, etwa als Redner bei Corona-Demonstrationen, nach außen präsentiert, tritt Schmidt als Sprecher des aktivistischen Flügels auf. Also jener Gruppe von Identitären, die meist vermummt Aktionen durchführen oder die erste Reihe von Demonstrationszügen stellen. Mit diesem Auftreten sollen "gute, junge, sportliche Männer" gewonnen werden, wie Schmidt im Podcast einer rechtsextremen Gruppierung erklärte. Und es sollen Schlagzeilen erzeugt werden.

Das ist ihre Art, Politik zu machen. Einerseits helfen Artikel und Auftritte im Fernsehen oder Radio, die Bekanntheit der Gruppe und ihrer Ideologie zu steigern, andererseits hat sie daraus ein Geschäftsmodell gemacht. Wenn sie Fotos oder Videos von Aktionen veröffentlicht, dann immer mit der Aufforderung, sie finanziell zu unterstützen.

Gemeinsame Auftritte mit der FPÖ

Die Grazer FPÖ hat, wie im vergangenen Jahr bekannt wurde, den Identitären 1.000 Euro für ein Fest spendiert. Die Nähe zu den Freiheitlichen ist seit der Gründung der Identitären im Jahr 2012 immer wieder ein Thema. Für die Identitären ist die FPÖ "ihre Partei", selbst sehen sie sich als aktionistische Avantgarde, die gemeinsam mit rechten Medien ein Dreigespann bildet, um das "deutsche Volk" zu retten, das angeblich von emanzipierten Frauen bedroht wird oder von "Globalisten" und den "Ausländern".

Identitäre unterstützen den FPÖ-Politiker Gottfried Waldhäusl, der rassistische Sprüche gegenüber einer Schülerin äußerte.










Für Sellner ist FPÖ-Parteichef Herbert Kickl der "beste rechte Politiker", auch weil dieser, im Gegensatz zu seinem Vorgänger Norbert Hofer, sich nicht von den Identitären distanziert. Bei Veranstaltungen der Freiheitlichen sind oftmals Identitäre anzutreffen. Bei einer Demonstration ("Gegen Asylflut") im vergangenen November in Wien trat FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz als Redner in Erscheinung, vor ihm sprach Gunacker.

Treffpunkt Akademikerball

Wie eng die Identitären und die FPÖ sind, zeigte sich regelmäßig beim sogenannten Akademikerball der Burschenschaften, der von der Wiener FPÖ organisiert wird. Sellner und andere Identitäre zählten zu den Besuchern sowie hochrangige FPÖ-Politiker und -Politikerinnen. Burschenschaften gelten als Scharnier zwischen der Gruppe und der FPÖ. Schmidt ist Mitglied der Olympia ebenso wie der Klubdirektor der FPÖ, Norbert Nemeth, und der Nationalratsabgeordnete Martin Graf.

In Wien fand am 19. Jänner eine Demonstration gegen das Zentrum der Identitären in Wien statt.
Foto: Markus Sulzbacher

Die Olympia wird vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes als rechtsextrem eingestuft. Der Publizist Hans-Henning Scharsach schreibt in seinem Burschenschafter-Buch "Stille Machtergreifung", keine der österreichischen Burschenschaften trage ihre Verwurzelung in den Traditionen des Nationalsozialismus so offen zur Schau wie die Wiener Olympia. (Markus Sulzbacher, 16.2.2023)