Fast jede zweite Frau in Österreich arbeitet Teilzeit. Leicht ändern lässt sich das wohl nicht.

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Die Debatte hat schnell Fahrt aufgenommen. Nachdem Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) eine Kürzung von Sozialleistungen für Teilzeitarbeitende ins Spiel gebracht hat, wird über Sinn und Unsinn des Vorschlags gestritten.

Frage: Worum genau dreht sich der Streit?

Antwort: Der Wind am Arbeitsmarkt hat gedreht. Nach der Pandemie ist nicht nur die Arbeitslosigkeit überraschend schnell zurückgegangen. Auch die Zahl der Stellen, die nicht besetzt werden können, ist in die Höhe geschnellt. Aktuell gibt es mehr als 107.000 beim AMS gemeldete offene Stellen. Bundesweit gelten 98 Berufe als Mangelberuf. Ein Grund: Derzeit gehen die Babyboomer in Pension, die Zahl der Menschen im arbeitsfähigen Alter soll laut Prognosen sinken. Kurzum: Es gibt viel Arbeit, und in einigen Branchen fehlen Menschen, um diese zu erledigen. Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher hat in einem Interview mit dem "Kurier" dieses Problem angesprochen und vorgeschlagen, Sozialleistungen zu kürzen, um einen Anreiz zu schaffen, damit Menschen mehr arbeiten. "In Österreich wird bei Sozial- und Familienleistungen wenig unterschieden, ob jemand 20 oder 38 Stunden arbeitet. Wenn Menschen freiwillig weniger arbeiten, dann gibt es weniger Grund, Sozialleistungen zu zahlen", sagte Kocher.

Frage: Will die Regierung also Sozialleistungen kürzen?

Antwort: Nein. Die Grünen sind dagegen, und auch das ÖVP-geführte Arbeitsministerium rudert bereits zurück. Tatsächlich sind die meisten Sozial- und Versicherungsleistungen in Österreich ohnehin daran gekoppelt, wie viel jemand arbeitet. Wer etwa arbeitslos wird, bekommt ein Arbeitslosengeld, dessen Höhe sich nach dem Vorverdienst richtet. Wo Kürzungen theoretisch möglich wären: bei Familienleistungen, die pro Kind ausbezahlt werden. Das will aber auch die ÖVP nicht. Im Arbeitsministerium heißt es nun schon, dass Kocher eigentlich eine Debatte darüber führen will, ob das Steuer- und Abgabensystem in Österreich so gestaltet ist, dass es Mehrarbeit reizvoll macht.

Frage: Ist Teilzeit überhaupt ein Problem in Österreich?

Antwort: Für viele Menschen ist Teilzeit eine große Chance. Dadurch können sie Familie und Arbeit unter einen Hut bringen oder haben mehr Freizeit. Zugleich ist es für den Wohlstand notwendig, dass die nachgefragte Arbeit auch erledigt wird. Autos müssen zusammengeschraubt, Kinder unterrichtet und Computer programmiert werden. In Österreich wird im internationalen Vergleich sehr viel Teilzeit gearbeitet. 49,6 Prozent der Frauen arbeiten Teilzeit und 11,6 Prozent der Männer. Österreich hat den dritthöchsten Anteil an Teilzeitbeschäftigten in der EU, noch höher ist der Wert nur in den Niederlanden und der Schweiz. Das führt dazu, dass in Österreich die Zahl der gearbeiteten Stunden im europäischen Vergleich recht niedrig ist. In Österreich arbeitet ein Beschäftigter laut Industriestaatenorganisation im Schnitt 1.442 Stunden. In EU sind es 1.566 Stunden.

Frage: Was könnte also getan werden, um mehr Menschen in einen Vollzeitjob zu bringen?

Antwort: Die Entlohnung von Arbeit regeln Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren Arbeitgebern und die Tarifpartner. Arbeitgebern steht es dabei frei, Vollzeit zum Beispiel höher zu entlohnen und finanzielle Anreize zu bieten, damit Menschen mehr arbeiten. Unternehmen können auch Jobs schaffen, die besser mit Betreuungspflichten vereinbar sind.

Frage: Kann der Staat auch etwas tun?

Antwort: Die OECD analysiert regelmäßig, wie hoch zusätzliche Arbeitsstunden in einem Land besteuert werden. Sprich: Wie viel vom Einkommen, das zusätzliche Arbeitszeit einbringt, muss an den Staat via Steuern oder Sozialabgaben abgeführt werden? Österreich ist hier kein Ausreißer. Wenn ein Single ohne Kinder, der in etwa zwei Drittel des Mediangehalts bekommt, seine Arbeitszeit von Teilzeit auf Vollzeit aufstockt, nimmt der Staat in Österreich von diesem Zusatzverdienst 44 Prozent weg. Von 100 Euro mehr bleiben also 56. Dieser Wert entspricht dem Durchschnitt der übrigen Staaten. Allerdings gibt es auch Länder, in denen zusätzliche Arbeit deutlich weniger besteuert wird, etwa Spanien.

Frage: Welche Steuern und Abgaben könnten gesenkt werden?

Antwort: Die Expertin des Forschungsinstituts Wifo, Margit Schratzenstaller, nennt einige Beispiele. So ist der Eingangssteuersatz in Österreich recht hoch. Wer zwischen 11.000 und 18.000 Euro pro Jahr verdient, muss Einkommenssteuer in Höhe von 20 Prozent zahlen. Wer unter 11.000 Euro bekommt, zahlt nichts. Sprich: Arbeitszeit aufzustocken ist hier nur bedingt interessant. Ein anderer Punkt betrifft die Geringfügigkeitsgrenze: Wer aktuell unter 500,91 Euro monatlich bekommt, muss weder Steuern noch Sozialversicherung zahlen. Bei auch nur einem Euro mehr greift zumindest Letztere voll. Im Schnitt werden dann von jedem Euro Bruttolohn 18 Prozent als Sozialversicherungsbeitrag abgezogen. Auch das ist ein finanzieller Anreiz, nicht mehr zu arbeiten. Allerdings gibt es auch Anreize, mehr zu arbeiten: So bekommt jemand, der Vollzeit arbeitet, eine höhere Pension und mehr Arbeitslosengeld, wie Ökonom Helmut Mahringer sagt.

Frage: Geht es in der Debatte nur um Steuern und Abgaben?

Antwort: Nein. Ein anderer Punkt betrifft die Verfügbarkeit von Kinderbetreuungsplätzen. Da vor allem viele Frauen mit Betreuungspflichten Teilzeit arbeiten, würden mehr Betreuungsplätze mit längeren Öffnungszeiten Frauen mehr Wahlmöglichkeiten schaffen, so das Argument. Allerdings zeigt sich, dass in der Vergangenheit in Österreich der Ausbau von Kindergartenplätzen allein die Erwerbsbeteiligung von Frauen nicht wesentlich erhöht hat. Das dürfte daran liegen, dass eine Reihe von Gründen dafür sorgt, dass Frauen weniger arbeiten. Dazu gehören etwa konservative Familienbilder, wonach der Mann und nicht die Frau arbeiten soll. Laut Expertin Schratzenstaller vom Wifo gibt es auch andere Regelungen, die begünstigen, dass Frauen weniger oder gar nicht arbeiten. Dazu gehört etwa die Möglichkeit, sich beitragsfrei beim Ehepartner oder Lebensgefährten mitversichern zu lassen. Allerding: Die Möglichkeit der Mitversicherung zu streichen würde bedeuten, dass es in Österreich mehr Menschen geben könnte, die nicht versichert sind. Kurzum: Einfache Lösungen für das komplexe Problem gibt es nicht. (András Szigetvari, Natascha Ikert, 15.2.2023)