"Jorge" alias Tal Hanan, gefilmt bei dem Undercover-Einsatz von drei Journalisten.

Foto: TheMarker/Haaretz/Radio France

E-Mails von hochrangigen Politikern und deren Beratern in Echtzeit überwachen. Eine Trollarmee aus mehr als 30.000 Fake-Accounts dirigieren. Die Möglichkeit, Nachrichten in Medien unterzubringen.

Diese Liste ist nur ein Auszug aus dem Arsenal von "Team Jorge", einem bislang geheimen Unternehmen aus Israel, dessen Existenz und Methoden am Mittwoch durch Recherchen im Rahmen des Projekts "Storykillers" enthüllt wurden, an denen auch DER STANDARD beteiligt war. Mehr als hundert Journalisten haben sich unter Koordination des Investigativnetzwerks Forbidden Stories zusammengetan, um zu Desinformation zu recherchieren. Drei Rechercheure gingen undercover und gaben sich als potenzielle Kunden des Team Jorge aus.

Unruhen buchen

Was den drei Reportern von "Haaretz", "The Marker" und "Radio France" präsentiert wurde, liest sich wie ein Albtraum für die Demokratie. Die Journalisten gaben sich als Mittelsmänner und Vertreter eines Geschäftsmanns mit Interessen in Afrika aus. Dieser würde gern den Wahltermin in einem afrikanischen Land verschieben lassen, ob das Team Jorge dabei helfen könne?

Der israelische Journalist Omer Benjakob gab sich gegenüber Team Jorge als Vertreter eines potenziellen Kunden aus.

Man könne gewissermaßen "Unruhen" buchen, erklärte das israelische Unternehmen, das sich aus ehemaligen Militärs und Geheimdienstlern rekrutiert. Sechs bis 15 Millionen Dollar koste eine Kampagne auf nationaler Ebene, bezahlbar in Cash oder Bitcoin. Man bietet auch Operationen am Wahltag an, intern als "D-Day" bezeichnet; da könne man die Computersysteme von Oppositionellen angreifen oder Unregelmäßigkeiten beim Wahlgang erzeugen.

Vor den Augen der Journalisten drang Team Jorge live in Messenger-Accounts mehrerer Figuren aus der kenianischen Politik ein.
Foto: TheMarker/Haaretz/Radio France

"2015 in Nigeria, das waren wir"

Fast klingen die Angebote zu unglaublich, um wahr zu sein. Doch in monatelanger Arbeit haben die internationalen Recherchepartner wie etwa der SPIEGEL, das ZDF und der "Guardian" zahlreiche Indizien dafür zusammengetragen, dass Team Jorge tatsächlich über weitreichende Fähigkeiten verfügt. Den drei Undercover-Journalisten zeigte Team Jorge beispielsweise, wie einfach sie auf ein gehacktes Telegram-Konto eines Politikberaters in Kenia zugreifen und von dort aus selbst Nachrichten verschicken können. Offenbar vergaßen sie danach, den Chat aus dem Konto des Empfängers zu löschen – er existiert nach wie vor, das konnte ein SPIEGEL-Redakteur nachweisen.

Das ZDF-Magazin "Frontal" war an den internationalen Recherchen beteiligt.
frontal

Zahlreiche andere Behauptungen des Team Jorge über dessen Operationen lassen sich mit echten Ereignissen verknüpfen. So wurde etwa mit Eingriffen in Trinidad und Tobago geprahlt – und in dem karibischen Inselstaat gab es im Jahr 2013 tatsächlich einen Skandal rund um E-Mails, in denen Korruption und Überwachungsmaßnahmen besprochen wurden. Die seien allesamt gefälscht, verteidigten sich die Betroffenen damals.

In der Präsentation des Team Jorge kommt auch Indonesien vor – dort gab es 2019 Cyberangriffe auf Wählerverzeichnisse. In Nigeria wurden Telefone von Oppositionellen mit Anrufen geflutet. "2015 in Nigeria, das waren wir", behauptete "Jorge".

Ein Emu kommt ins Spiel

Die drei Undercover-Reporter wollten aber mehr Beweise. Und da kommt ein zum Tiktok-Phänomen aufgestiegener Emu ins Spiel: Emmanuel. Man werde über das hauseigene System Aims (Advanced Impact Media Solutions) eine Falschnachricht zum Tod des beliebten Laufvogels verbreiten. Tatsächlich trendete "rip_emmanuel" daraufhin auf sozialen Medien, die Besitzerin des Tieres meldete sich sogar mit einer Klarstellung zu Wort.

Die recherchierenden Journalisten konnten nun nachprüfen, welche Nutzer die Falschmeldung in die Welt gesetzt haben, und so Hinweise auf andere Kampagnen des Team Jorge sammeln. Und tatsächlich wurden so mindestens zwanzig Kampagnen entdeckt – auch solche in den USA, wo Team Jorge zumindest auf nationaler Ebene laut eigenen Angaben nicht aktiv sein will. Auch gegen Putin und vor allem in Israel unternehme man nichts, wurde den Journalisten erläutert. "Man scheißt nicht dahin, wo man schläft", erklärte einer der Männer des Team Jorge.

Auf Anfrage des Recherchekonsortiums weisen die Manager des Unternehmens jedwede illegale Aktivität von sich. In Sicherheitskreisen ist "Jorge" kein Unbekannter: Der Firmenchef heißt in Wahrheit Tal Hanan und hatte einst Karriere beim israelischen Militär gemacht. Die Geschäfte führt offenbar dessen Bruder Zohan Hanan, er soll wiederum jahrelang im Geheimdienst aktiv gewesen sein.

"Wir sind Luft"

Die guten Verbindungen zu israelischen Sicherheitskreisen könnten dafür gesorgt haben, dass Team Jorge bislang im Dunkeln agieren konnte. Lediglich rund um den Cambridge-Analytica-Skandal, bei dem es um Wahlkampfmanipulation auf Facebook ging, klang ihr Treiben einmal an. Damals war die Rede von ominösen Israelis, die Wahlen manipulieren können. Der Name der Gruppe blieb jedoch geheim. Sie könne sich nicht daran erinnern, sagte etwa die Cambridge-Analytica-Whistleblowerin Britanny Kaiser vor einem Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments. Tatsächlich, so zeigt eine E-Mail, die DER STANDARD einsehen konnte, kannte sie den Namen des Team-Jorge-Chefs sehr wohl.

Offiziell gibt es Team Jorge bis heute nicht. Das Geheimunternehmen taucht im israelischen Firmenregister nicht auf, zu Treffen mit potenziellen Kunden lädt die Truppe in ein unscheinbares Büro in Modi'in nahe Tel Aviv. An der Tür steht kein Name. "Wir sind Luft", behaupten die Cybersöldner. Tätig seien sie aber rund um den Globus, etwa in Griechenland, Indonesien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Das Erschreckende: Team Jorge dürfte zwar ein potentes, aber eben nur ein einzelnes Rädchen im Getriebe der weltweiten Desinformationsindustrie sein. Experten schätzen, dass global mehr als tausend Firmen existieren, die Lügenkampagnen, Hackerangriffe oder andere schmutzige Methoden anbieten. "Storykillers" wird in den nächsten Tagen noch mehr von ihnen ans Licht der Öffentlichkeit bringen. (Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Fabian Schmid, 15.2.2023)