Die (invertierte) Aufnahme zeigt die staubreiche Galaxie NGC 4414, eine mehr oder weniger typische Spiralgalaxie. Die nun entdeckte Zwerggalaxie FAST J0139+4328 ist im sichtbaren Licht praktisch unsichtbar.

Foto: AURA /STScI /NASA

Galaxien kommen in allen möglichen Formen und Größen daher. Die von der Gravitation zusammengehaltenen Anhäufungen von Sternen, Planeten, Gasschwaden, jeder Menge Staub und anderer Objekte können Ellipsen oder Linsen bilden, irreguläre Wolken oder – wie unsere galaktische Heimat, die Milchstraße – aus Spiralarmen bestehen, manche mit und manche ohne Balken. Unser Verständnis dafür, was in den Galaxien vor sich geht, wie sie entstanden sind und warum sie sich so verhalten, wie sie es offensichtlich tun, ruht auf wackeligen Theorien und Hypothesen.

Für einiges, das wir uns nicht erklären können, nehmen wir potenzielle Mitspieler an – eine Kraft oder Materie –, die die beobachteten Phänomene verursachen könnten. Betrachtet man etwa die Bewegung der sichtbaren Materie einer Galaxie, die sich offen den fundamentalen Keplerschen Gesetzen widersetzt, so kann man nur zu dem Schluss kommen, dass es dort draußen deutlich mehr Masse geben muss, als sich direkt beobachten lässt.

Dunkler Zwerg

Damit die Rechnung in der kosmischen Materiebilanz wieder stimmt, postulieren Forschende die Dunkle Materie, deren Zusammensetzung eine der großen offenen Fragen der Kosmologie darstellt. Abgesehen von vereinzelten Ausnahmen dürfte jede Galaxie einen mehr oder weniger großen Anteil an Dunkler Materie besitzen. Nun haben Astronomen eine Zwerggalaxie erspäht, die den Anschein erweckt, als würde sie praktisch aus nichts anderem bestehen.

Die Sterneninsel mit der Bezeichnung FAST J0139+4328 liegt fast 100 Millionen Lichtjahre entfernt und strahlt kein Licht im sichtbaren Teil des Spektrums aus. Überhaupt scheint sie nur sehr wenig Strahlung abzugeben, womit sie sich in die Kategorie der sogenannten Dunklen Galaxien einreihen lässt, einer noch recht hypothetischen galaktischen Spielart. Bisherige Kandidaten für Dunkle Galaxien kann man an einer Hand abzählen.

"Die Ergebnisse unserer Beobachtungen belegen, dass es sich bei FAST J0139+4328 um eine isolierte dunkle Zwerggalaxie handelt", meinte ein Astronomenteam um Jin-Long Xu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking, das nun in den "Astrophysical Journal Letters" und auf dem Preprintserver "ArXiv" über seine Entdeckung berichtet. Es sei das erste Mal, dass eine solche isolierte Dunkle Galaxie, die offenbar praktisch vollständig aus Dunkler Materie besteht, im nahen kosmischen Umfeld nachgewiesen werden konnte, so die Gruppe.

Das "Zwerggalaxienproblem"

Die Theorie der Dunklen Materie mag die führende Erklärung sein für die Diskrepanz zwischen der Menge an beobachtbarer, sogenannter baryonischer Materie und der Schwerkraft, die erforderlich ist, um sie zusammenzuhalten – aber sie ist keineswegs perfekt: Ein Problem ist beispielsweise der Widerspruch zwischen Simulationen der Verteilung von Dunkler Materie im Kosmos und der Anzahl der Zwerggalaxien, die wir in der Umgebung größerer Galaxien erkennen können. Eigentlich sagen die Modelle viel mehr solcher Zwerggalaxien voraus, als man bisher nachweisen konnte. Diese Unvereinbarkeit von Vorhersagen und Beobachtungen ist als "Zwerggalaxienproblem" bekannt.

Die Position von FAST J0139+4328 im sichtbarem Licht (a), in Nahinfrarot (b), nahem Ultraviolett (c) und im mittleren Infrarotlicht (d). Die gelben Objekte der oberen beiden Aufnahmen sind Sterne im Vordergrund.
Foto: Xu et al., arXiv, 2023

Fachleute vermuten deshalb, dass es spezielle Formen von Zwerggalaxien der Astronomie sehr schwer machen, sie zu entdecken – vielleicht, weil sie kaum leuchtende Sterne besitzen und hauptsächlich aus Gaswolken und Dunkler Materie bestehen. Einige Kandidaten dieser sogenannten Dunklen Galaxien kennt man bereits, aber sie befinden sich in unmittelbarer Nähe zu anderen Galaxien, und das macht sie kaum von Gaswolken unterscheidbar, die von starken Gravitationskräften aus größeren Sterneninseln losgerissen wurden. Ein idealer Kandidat für eine echte Dunkle Galaxie wäre daher weitgehend isoliert im Raum.

Nur ganz wenige Sterne

Auf eine solche isolierte dunkle Struktur ist die Gruppe um Jin-Long Xu nun mithilfe des Five-hundred-meter Aperture Spherical Radio Telescope (FAST) in China gestoßen. Sie nutzten das größte Einzelradioteleskop der Welt in der Provinz Guizhou, um nach Radioemissionen großer Wolken aus neutralem atomarem Wasserstoff (HI) im intergalaktischen Raum zu suchen, die auch andere Merkmale einer Galaxie aufweisen. Fündig wurden sie schließlich bei einem Objekt in etwa 94 Millionen Lichtjahren Entfernung: Die merkwürdige Wasserstoffwolke besitzt eine abgeflachte Form und gleicht damit weitgehend einer rotierenden Scheibengalaxie. Was ihr allerdings weitgehend fehlt, ist Strahlung im optisch sichtbaren Spektralbereich. Allein im infraroten und ultravioletten Licht offenbarten sich kleine Ansammlung von Sternen.

Nach den Analysen des Teams enthält diese Galaxie höchstens 690.000 Sonnenmassen an Sternen. Der Wasserstoff macht dagegen rund 83 Millionen Sonnenmassen aus. Die gesamte baryonische Masse der Galaxie beläuft sich auf etwa 110 Millionen Sonnenmassen – ein winziger Bruchteil im Vergleich zur dem, was die Forschenden anhand der Rotationsgeschwindigkeit von FAST J0139+4328 als Dunkle Materie identifizierten: Nach den Berechnungen besitzt die Zwerggalaxie davon rund 5,1 Milliarden Sonnenmassen. Das würde bedeuten, dass die Galaxie zu etwa 98 Prozent aus Dunkler Materie besteht.

Vielleicht ein galaktischer Embryo

Nachfolgende Untersuchungen müssen diese Beobachtungen freilich noch bestätigen, aber sollten sich die Daten auch von anderen Teams untermauern lassen, wäre FAST J0139+4328 die erste gasreiche isolierte Dunkle Galaxie im nahen Universum. Vielleicht, so die Forschenden, hat man es hier mit einem galaktischen Embryo zu tun.

"Man geht heute davon aus, dass sich eine Galaxie aus Gas bildet, das sich abkühlt und im Zentrum eines Halos zu Sternen verdichtet. FAST J0139+4328 hat eine rotierende Gasscheibe und wird von Dunkler Materie dominiert, ist aber praktisch sternlos. Das könnte darauf hindeuten, dass diese Dunkle Galaxie sich im frühesten Stadium der Galaxienbildung befindet", spekulieren die Astrophysiker. (tberg, 19.2.2023)