Die von Arbeitsminister Martin Kocher angestoßene Debatte über die Zurücknahme von Steuervorteilen für Teilzeitarbeitende ist blitzartig zu einem Hauen und Stechen geworden. Es prallen Bedürfnisse und echte Not auf privilegierte Lebenskonzepte, es stehen einander Anspruchsdenken und die berechtigte Sorge um die Finanzierung der Sozial- und Pensionssysteme gegenüber.

Wirtschaftsbund und Handelsverband (dort sind aktuell fast 15.000 Stellen unbesetzt) sind entzückt vom Versuch des Ressortchefs, der unter dem Arbeitskraftmangel leidenden Unternehmerschaft solcherart mehr Arbeitsstunden zu beschaffen. Die andere Seite will ihn dagegen weghaben, spricht von "Zynismus" und "Bestrafung" der Frauen und Familien.

Hat Debatte über Teilzeitarbeitende losgetreten: Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP).
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Gesellschaftliche Veränderungen

Das ist keine gute Ausgangslage für die hochnotwendige Diskussion über Reformen, neue gesellschaftliche Entwürfe, Neuorganisation von Arbeit, Neubewertung von Leistung und Anspruch. Denn die Teilzeitdebatte ist zwar zu führen, sie ist aber lediglich ein Symptom eines gewaltigen Umbruchs. Die übergeordnete Frage lautet: Was zahlt sich aus, woran glauben wir noch – und wohin wollen wir als Gesellschaft?

Das Aufstiegsversprechen, wonach es reich belohnt wird, das Leben der Arbeit unterzuordnen, wird von vielen, vor allem Jungen, nicht mehr geglaubt. So wie die Eltern reinhackeln und dann umkippen, das wollen sie nicht. Allein mit Erwerbsarbeit ist das Haus mit Garten eh nicht leistbar. Geerbt haben sie vielfach auch, und das Leben im Hier und Jetzt inmitten der Multikrisen lässt sich zusammenstückeln, man kann ja dort und da jobben. Das Pensionsversprechen? Das Thema ist weit weg und nicht vorstellbar. Ohnmacht und Zukunftsangst kommen vermutlich hinzu. Weniger privilegierte Junge wissen wiederum genau, dass sie so schnell, wie sie nur können, gegen die nach unten laufende Rolltreppe anrennen müssen, um durchzukommen. An Stundenreduktion brauchen sie nicht zu denken.

Ein gemeinsamer Nenner ist wohl, dass um selbstbestimmtere, auf die jeweiligen Lebenswirklichkeiten besser abgestimmte Arbeit gerungen wird. Das trifft auf ein Arbeitsangebot, das in sehr starren industriellen Zeiten steckengeblieben ist. Von den rechtlichen Rahmenbedingungen bis zur Unternehmenskultur: Viele wollen eher raus als länger rein.

Teilzeit als Chance

Dabei haben alle – zumindest ein bisschen – recht. Manche können nicht mehr Stunden arbeiten, andere wollen nicht: Für viele Frauen ist Teilzeit die einzige Chance, überhaupt teilhaben zu können. Gleichzeitig birgt das die Gefahr der Altersarmut. Der Schritt von sehr wenigen Stunden (geringfügige Beschäftigung) zu Mehrstunden trifft auf recht hohe Eingangssteuersätze, Sonderleistungen sind mit Schwellenwerten ausgestattet, da zahlt es sich für viele nicht wirklich aus, Stunden abzuliefern. Selbst mit vorhandener Kinderbetreuung – müssen Eltern wollen, dass die Kinder ganztags für den Job weg sind?

Wenn Martin Kocher eine geordnete Debatte über die hinterfragenswürdigen Vorzüge von Teilzeit im Abgaben- und Steuersystem schafft, hat er kurzfristig Arbeitsstunden und Beiträge gewonnen. Das ist aber sicher nicht die Zauberformel für die anstehende Transformation. Mit Zwang zurück in die Vergangenheit der Arbeitswelt wird nicht klappen. Wieder wird sichtbar, dass ein gesellschaftlicher Zukunftsentwurf fehlt. (Karin Bauer, 15.2.2023)