Die Strabag hat dem russischen Milliardär Oleg Deripaska die Mitbestimmung entzogen. Gegen diesen Schritt ist er vor Gericht gezogen.

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Ein kleiner Verhandlungssaal im Landesgericht Klagenfurt, ein abgenutzter Linoleumboden mit Schlieren, an der Wand als einzige Dekoration der Wappenadler. In derart schmucklosen Ambiente beginnt am Mittwoch ein Verfahren, das einer der spannendsten Wirtschaftsprozesse in Österreich im aktuellen Jahr zu werden verspricht.

Es geht um nichts weniger als um die Frage, wie weit Europas Sanktionen gegen Russland reichen dürfen. Die hochkarätigen Beteiligten: auf der einen Seite die Strabag SE, der größte Baukonzern Österreichs und einer der wichtigsten in Europa. Und andererseits ein Unternehmen, das dem russischen Großindustriellen und engen Putin-Vertrauten Oleg Deripaska zugerechnet wird.

Wie weit reichen die Sanktionen?

Hinter dem Prozess steckt eine lange Geschichte der Zerrüttung. Es war das Jahr 2007, als Deripaska über die zypriotische Firma MKAO Rasperia bei der Strabag einstieg. 27,8 Prozent des Unternehmens hält der Oligarch heute (die wesentlichen Eigentümer daneben sind die Familie des Strabag-Gründers Hans Peter Haselsteiner und die Raiffeisen-Tochter Uniqa). Im Jahr 2007 war der Jubel über den Einstieg noch groß. "Das ist unser Türöffner nach Russland", freute sich damals Haselsteiner.

Doch was als Weg in den großen russischen Markt gedacht war, entpuppte sich bald als Enttäuschung – und schwere politische Hypothek. Heute stehen sich die Anwältinnen und Anwälte der Strabag und der Rasperia vor Gericht in einem Zivilprozess gegenüber. Die Strabag hat ihrem Miteigentümer Rasperia in den vergangenen Jahren nämlich schrittweise aller Mitspracherechte im Konzern beraubt. Dagegen geht das Deripaska-Unternehmen aus Zypern nun gerichtlich vor.

Zwei Invasionen und ihre Folgen

Die Entfremdung begann im Jahr 2014, als Putin erstmals in die Ukraine einmarschierte. Nachdem die USA deshalb Sanktionen gegen Russland erlassen hatten, entschied die Strabag, die Dividendenzahlungen an Deripaskas Rasperia auszusetzen. Dann, im Februar des Vorjahres, fand der Überfall Russlands auf die Ukraine statt. Deripaska kam in gleich mehreren Ländern, im April 2022 auch in der EU, auf die Sanktionsliste. Die Strabag entschied infolgedessen, nicht nur ihr Russland-Geschäft einzustellen. Auch wurde jener Aufsichtsrat gefeuert, der von der Rasperia entsandt worden war, ein Mann namens Thomas Bull. Zugleich kündigten Raiffeisen und Haselsteiner jegliche Zusammenarbeit mit der Rasperia auf der Ebene der Eigentümer auf. Der Gesellschafter Rasperia verlor also das Mitspracherecht im Konzern.

"Uns wurde signalisiert, dass wir schnell reagieren müssen", begründet Thomas Birtel, bis 2022 Vorstandschef der Strabag SE, der als Zeuge auftritt, die entschlossenen Schritte. Nach dem Überfall auf die Ukraine hatten Regierungen gleich aus mehreren Ländern bei der Strabag ihre Bedenken über den mächtigen Russen in der Riege der Eigentümer deponiert. In Großbritannien etwa forderten Unterhausabgeordnete, die Strabag von einem wichtigen Auftrag aufzuschließen, dem Bau einer Hochgeschwindigkeitszugsstrecke zwischen London und Birmingham. In Polen wurde gar erwogen, den Konzern auf eine nationale Sanktionsliste zu setzen. Der Schaden solcher Strafmaßnahmen wäre "nicht reparabel" gewesen, sagt Birtel. Und: Die Gefahr sei längst nicht gebannt, "das ist ein sensibles Feld, das wir weiterhin sehr genau beobachten".

Politischer Druck auf die Strabag

Die Rasperia indes hält es für ungerechtfertigt, sie vom Mitspracherecht auszuschließen und es ihr zu verbieten, einen Aufsichtsrat in den Konzern zu entsenden. Sie hat eine sogenannte Anfechtungsklage gegen die Beschlüsse der Strabag eingebracht. Der Wiener Anwalt der zypriotischen Gesellschaft begründet das unter anderem damit, dass die Rasperia selbst gar nicht auf der EU-Sanktionsliste steht. Dort findet sich offiziell lediglich der Name Oleg Deripaska. Doch der Oligarch hält – über eine extrem verschachtelte Unternehmensstruktur – offiziell lediglich 49 Prozent an dem Unternehmen in Zypern. Inwiefern er es wirklich kontrolliert, darüber sind sich die Streitparteien nicht einig.

Das Verfahren in Klagenfurt berührt also, wenn man so will, auch eine Grundfrage des globalisierten Kapitalismus: Wie lässt sich angesichts von verschachtelten länderumspannenden Firmenkonstruktionen beweisen, dass jemand ein Unternehmen kontrolliert? Und die zweite Frage: Wie weit darf die Umsetzung der Sanktionen auf der Ebene ganz konkreter Unternehmenspolitik gehen? Sie habe zu derlei speziellen Fragen bisher "keine ähnliche Judikatur" gefunden, sagt die Richterin Daniela Bliem. Und: "Bei mir wird der Fall nicht bleiben." Nach dem Urteil in Klagenfurt wird er wohl vor den Obersten Gerichtshof (OGH) weiter ausgefochten werden. Was Klagenfurt betrifft, wird mit eben diesem Urteil in Kürze gerechnet. (Joseph Gepp, 15.2.2023)