Fritz Hausjell fordert von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), sich nicht an Kampagnen gegen Journalisten zu beteiligen. Seine Aussagen über einzelne Journalisten seien "ein bisschen demagogisch".

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Sie manipulieren die öffentliche Meinung, säen Hass oder beeinflussen demokratische Wahlen: Das Rechercheprojekt "Storykillers" gibt erstmals Einblicke in eine weltweite Desinformationsindustrie. Im Zuge dieser Recherchen stießen die Journalistinnen und Journalisten etwa auf eine israelische Firma namens Team Jorge, die behauptet, mit schmutzigen Methoden global Wahlen manipuliert zu haben. Auch rekonstruierte das internationale Investigativnetzwerk den Fall der 2017 ermordeten Journalistin Gauri Lankesh. Fake News und Kampagnen von regierungsnahen Medien kosteten der Inderin letzten Endes das Leben.

Der Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich, Fritz Hausjell, zieht im Interview Parallelen zu Österreich und argumentiert, dass sich auch hierzulande jene Entwicklungen erkennen lassen, die den Boden für solch brutale Gewaltverbrechen bereiten. Kein gutes Haar lässt er an der Medienpolitik der derzeitigen Regierung. Kanzler Karl Nehammers (ÖVP) Tadel von Journalisten wertet er als "ein bisschen demagogisch".

STANDARD: Muss uns die Ermordung der indischen Journalistin Gauri Lankesh hier in Österreich Sorgen machen?

Hausjell: Es ist klug, sich rechtzeitig Sorgen zu machen. Danach ist es zu spät für die betreffende Person. Außerdem kann die Politik gestalterisch in jene Bereiche eingreifen, die die Grundlage für derartig entsetzliche Taten bilden.

STANDARD: Im weltweiten Index der Pressefreiheit ist Österreich zuletzt massiv abgerutscht und liegt mittlerweile auf Platz 31 – ein Tiefpunkt. Was ist passiert?

Hausjell: Vor der türkis-blauen Regierung waren wir sogar auf Platz elf. Die Politik hat die Rahmenbedingungen überall dort, wo sie noch nicht reguliert sind, zu ihren eigenen Gunsten und gegen die Pressefreiheit verschoben. Stichwort Regierungsinserate: Schau auf die Einnahmen, die ein Medium aus Regierungsinseraten bekommen hat, und du weißt, wo besonders schlecht über die Vorgänge der Regierung informiert und affirmativ kommentiert wird. Ich bin gerne bereit, diese Aussage vor Gericht zu beweisen.

STANDARD: Trotzdem liegt Indien auf Platz 150, also im allerletzten Drittel des Rankings, und somit weit hinter Österreich. Ist Ihre Warnung nicht ein wenig alarmistisch?

Hausjell: Die Situation in Indien und in Österreich ist vergleichbar, wenn wir das Ranking genauer betrachten. Eine Frage konkreter Pressefreiheit ist: Wie sicher können Journalistinnen und Journalisten arbeiten? Da wirkt sich eine Ermordung im Ranking extrem negativ aus, jedoch erleben auch wir in Österreich mittlerweile massive Angriffe auf weibliche Journalistinnen. Wir sehen aber auch Attacken auf einzelne männliche Journalisten, etwa bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen, wo die Polizei nicht willens oder nicht in der Lage war, sichere Berichterstattung zu gewährleisten.

STANDARD: In der Slowakei, weniger als 100 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt, wurden 2018 der Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte ermordet, weil er zur organisierten Kriminalität recherchiert hatte. Sind wir hier vor solch brutalen Journalistenmorden denn sicher?

Hausjell: Wir sind nicht sicher. Ich will niemanden bei den Demos gegen die Corona-Maßnahmen unterstellen, dass jemand zum Protest geht, um einen Journalisten zu ermorden. Aber der Totschlag, der bei Handgreiflichkeiten möglich ist, ist eine reale Gefahr. Und wenn wir uns die heftige, teils orchestrierte verbale Gewalt gegen einzelne Journalistinnen ansehen, brauchen wir zumindest präventiv wirkende Verurteilungen. Es darf nicht der Anschein entstehen, dass einzelne politische Mandatare verbale Gewalt gegen Journalisten gutheißen.

STANDARD: Was meinen Sie damit?

Hausjell: Es ist beunruhigend, wie nachlässig einzelne Politiker Postings auf ihren Social-Media-Kanälen löschen lassen. Drohungen nicht zu löschen ist der Beginn einer Entwicklung. Das muss stärker sanktioniert werden.

STANDARD: "Sie beschlossen, Gauri ins Visier zu nehmen, weil sie so wahrgenommen wurde", sagte ein Journalist zu Forbidden Stories über jene Dynamik, die letzten Endes zur Ermordung Gauri Lankeshs führte. Wo ist die Grenze zwischen legitimer Kritik an der Arbeit von Journalisten und persönlichem Angriff?

Hausjell: Im Fall von Gauri Lankesh geht es um ein eigenartiges Video, in dem ihre Aussagen ins Gegenteil verkehrt worden sind. Das Problem ist, dass man sich in vielen Ländern nicht durchgerungen hat, auf Social Media ähnliche Standards wie in der etablierten Medienwelt zu setzen, etwa die Bestrafung von Rufschädigendem oder faktisch Falschem. Das kann dazu führen, dass sich einzelne radikale Gruppen auf Basis einer Lüge ein Bild einer Person machen, um sie ihrer Meinung nach töten zu dürfen. Dieser letzte Schritt ist in den meisten Ländern nicht sanktionslos möglich, der erste, die Verbreitung von Falschnachrichten, aber teilweise schon.

STANDARD: In Österreich sind falsche oder rufschädigende Äußerungen sehr wohl strafbar, auch im digitalen Raum.

Hausjell: Ja, aber die Ermittlungsbehörden arbeiten hier viel zu nachlässig. Die Behörden müssen sich auch auf diese Form der Cyberkriminalität stärker konzentrieren. Schon einmal ging es in Österreich schnell: 1925 wurde Hugo Bettauer ermordet – er war der erste getötete Journalist in der Republik. Auch gegen ihn wurde in etablierten Medien eine Kampagne gefahren, und es gingen andere Angriffe voraus. Die etablierte Politik darf sich an Kampagnen gegen einzelne Journalisten schlicht nicht beteiligen.

STANDARD: Erst diese Woche sagte Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) in einem Hintergrundgespräch, gewisse Journalisten sollten "weniger sensibel" sein. Ist die Branche hierzulande zu empfindlich?

Hausjell: Nein, diese Behauptung des Kanzlers ist außerdem ein bisschen demagogisch. Es geht hier nicht um Sensibilität, sondern um Sensitivität für das Verhältnis zwischen zwei gesellschaftlichen Gruppen. Gegen den Anspruch, auch der Kanzler dürfe einzelne Journalisten tadeln, steht die in Österreich seit einigen Jahren nicht mehr existierende Machtbalance zwischen Politik und Journalismus. Nehammer müsste klar sein, dass er als Kanzler deutlich mehr Macht ausüben kann als jeder einzelne Journalist. Zählen Sie die Köpfe in einer innenpolitischen Redaktion, dann wissen Sie, welches Kräfteverhältnis ich meine. Derzeit arbeiten im Kanzleramt 104 Personen im Bereich PR- und Öffentlichkeitsarbeit. Hinzu kommt der ausübbare Druck über üppige oder entzogene Regierungsinserate.

STANDARD: Vieles davon geht auf den jetzigen ÖVP-Medienbeauftragen Gerald Fleischmann zurück. In seinem Buch offenbart er seine Methoden "professioneller PR-Arbeit": So soll es in heiklen Situationen Medien verunmöglicht werden, Faktenchecks durchzuführen, oder es soll "Strategisch Notwendiger Unsinn" (SNU) gestreut werden. Ist das mit Pressefreiheit vereinbar?

Hausjell: Als Steuerzahler bin ich dagegen, dass von einer Regierung mit meinem Geld sogenannter SNU in die Welt gesetzt wird. Ich fordere ein Gesetz, das derartige Ablenkungs-PR untersagt und bestraft. Grundsätzlich ist derartige Arbeit mit Pressefreiheit vereinbar, aber wir müssen die Frage stellen, wo Pressearbeit und seriöse PR-Arbeit endet. Man sollte den PR-Ethikrat wohl öfters konsultieren und sich journalistisch dessen Fälle genauer anschauen.

STANDARD: Der PR-Ethikrat ist ein freiwilliges Organ der Selbstkontrolle. Dem muss man sich nicht anschließen.

Hausjell: Es bräuchte etwa auch ein verpflichtendes Register für zumindest Litigation-PR. Für die Öffentlichkeit sowie für die Justiz ist es von Interesse zu wissen, wer zum Beispiel das Gutachten im aktuellen Strafverfahren gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz in Auftrag gegeben hat und wie viel dafür bezahlt wurde.

STANDARD: Apropos Informationsschlacht: Internationale Recherchen zeigen, dass es mittlerweile Firmen gibt, die gegen Geld Fake News verbreiten und angeben, Wahlen erfolgreich manipuliert zu haben.

Hausjell: Das ist ein Riesenproblem. Kennen wir alle Fälle von Dirty Campaigning vor Wahlen? Diese Firmen machen es sich zunutze, unter falschem Absender gezielt Leute durch Informationen zu verunsichern, und wissen, dass solche Falschinformationen knapp vor Wahlen schwer zu knacken sind. Im konkreten Fall ist der israelische Staat gefordert, die Geschäftstätigkeiten von Team Jorge zu unterbinden. Da geht es nicht um Meinungsfreiheit, sondern um die Sicherung des transparenten Diskursraumes, der essenziell ist für ein demokratisches System.

STANDARD: Was ist die Aufgabe des Journalismus in einem solchen Umfeld?

Hausjell: Genau solche Vorgänge aufzudecken. Das wurde gemacht, bravo! Bitte mehr davon. Außerdem müsste man überlegen, in Zukunft vor Wahlen in der Medienberichterstattung die Unsicherheit in der Verifizierung auszuweisen – ähnlich wie bei qualitativer Kriegsberichterstattung. Geschwindigkeit hat in der Politik schon mehrmals nicht nur die Opposition, sondern auch teils den Journalismus gekillt. Schaffen wir weiters als ersten Schritt doch bitte endlich das Amtsgeheimnis ab, schützen wir rechtlich Whistleblower und führen ähnlich wie in Deutschland eine Bundespressekonferenz ein – unter der Regie von Journalistinnen und Journalisten und nicht unter jener der Fleischmanns dieses Landes. (Laurin Lorenz, 16.2.2022)