Innerhalb der letzten drei Jahre war bei der Berlinale doch einiges im Umbau, doch die politische Mission bleibt.

Foto: EPA

Jahr für Jahr eröffnet die Berlinale im Februar die europäische Festivalsaison und gibt den Ton vor für das Kinojahr abseits des Mainstreams. Während nämlich die Awards der USA auf große Studios zugeschnitten sind – allein die Oscar-Promotion geht in die Millionen –, rühmt sich das europäische Filmfestivalsystem damit, ganz auf Film als Kunst fokussiert zu sein.

Das war nicht immer so. Die ersten internationalen Filmfestivals in Venedig und Moskau waren in den 1930er-Jahren Propagandavehikel für Faschismus respektive Stalinismus, doch in der Nachkriegszeit wurde, zumindest in Westeuropa, alles auf null gestellt. Festivals schossen wie Schwammerln aus dem Boden. Cannes fokussierte auf große Autoren, Venedig schaffte es erfolgreich, sich mit dem Neorealismus reinzuwaschen, und 1951 kam schließlich die Berlinale hinzu.

Das politischste Filmfestival

Als erster Leiter der Berlinale wurde von den US-Allierten Alfred Bauer ernannt. Während der NS-Diktatur ein hochrangiger Funktionär in der Reichsfilmintendanz und "eifriger SA-Mann" (Die Zeit). Dieser Skandal kam 2020, just in dem Jahr, in dem das Festival mit Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian eine neue Leitung bekam, ans Licht. Die politische Vergangenheit des "politischsten aller Festivals" gewann so eine neue Dimension. Nicht nur war es anfangs Kulturpolitikum der US-Amerikaner – die Filmstars sollten die Lockvögel des Westens sein –, es zeugte auch von der unzureichenden Entnazifizierung in der BRD.

2020 läutete nicht nur ein Nachdenken über die Historie ein, sondern auch den Beginn einer neuen Ära. Erstmals fand sich mit Rissenbeek und Chatrian ein gemischtes Team an der Spitze eines der "großen drei" unter den Festivals. Übersehen wurde bei der Begeisterung gern die traditionelle Aufgabenteilung: Sie kümmert sich um den Budgethaushalt, er widmet sich der Kunst. Dennoch war es ein Neubeginn nach fast zwei Dekaden unter Dieter Kosslick, der berüchtigt war wegen seiner Strubbelfrisur, seinem Denglisch, seiner herzlichen Ulknudel-Art und vor allem wegen der Stars, die er trotz der Berliner Eiseskälte Jahr für Jahr auf den roten Teppich locken konnte. Es war aber auch ein Neubeginn unter erschwerten Vorzeichen: Alfred Bauers Nazivergangenheit ergänzte sich auf eine schreckliche Weise mit dem rechtsextremistischen Attentat in Hanau am 19. Februar 2020.

Covid und genderneutrale Preise

Zu allem Überfluss überrollte nach dieser ersten Festivalausgabe Covid-19 den Planeten und führte zu Einschränkungen im zweiten und dritten Jahr der neuen Doppelspitze. Die Konkurrenz durch Streaminganbieter wuchs durch die Pandemie exponentiell an und ist nach wie vor zentrales Diskursthema, obgleich Festivals weniger Publikumseinbußen zu verzeichnen hatten als Kinos. Ein sorgsam kuratiertes Programm zieht die Leute an. Während der krisenhaften Anfangsjahre führte die Berlinale-Spitze zwei Neuerungen ein: die Programmschiene Encounters und genderneutrale Schauspielpreise. Statt an Manderl und Weiberl wird der Preis eben für die beste Haupt- und Nebenrolle verliehen.

Ukraine und Iran

2023 ist die Berlinale wieder voll und ganz da und verspricht angesichts des Weltgeschehens hochpolitisch zu werden. Wolodymyr Selenskyj ist angekündigt. Er hat in Sean Penns Ukraine-Krieg-Dokumentation Superpower einen Auftritt. Daneben werden zwei weitere Dokumentationen zur Ukraine gezeigt: Eastern Front und Iron Butterflys. Auch dem Iran, dessen verfolgte und teils inhaftierte Filmemacher innerhalb der letzten Jahre in Berlin reüssierten – Mohammad Rasoulof, Jafar Panahi und Asghar Farhadi – wird ein Diskursschwerpunkt und eine Solidaritätsbekundung gewidmet. Im Wettbewerb jedoch ist keines der Länder vertreten.

Abwechslungsreicher Wettbewerb, Österreich in Nebensparten

Der 19 Filme starke Wettbewerb besticht durch Genrevielfalt und die Absenz großer Studios und Streamer. Jurypräsidentin ist Kristen Stewart, mit 32 Jahren die Jüngste in der Geschichte des Festivals. Die bekanntesten Regienamen dürften Angela Schanelec, Philippe Garrel, Christian Petzold und Margarethe von Trotta sein. In Petzolds Roter Himmel spielt der Wiener Thomas Schubert, bekannt aus Karl Markovics Atmen und der Serie King of Stonks, die Hauptrolle. In von Trottas österreichischer Koproduktion Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste ist Vicky Krieps zu sehen.

Koproduktionen sind auch Sisi & Ich von Frauke Finsterwalder und Patric Chihas La Bête dans Le Jungle mit dem französischen "Cinéma du Look"-Filmstar Béatrice Dalle. Beide laufen in der Nebenschiene Panorama, ebenso wie die Skigymnasium-Doku Stams von Bernhard Braunstein. In den Sparten Forum und Encounters sind Helin Çelik mit Anqa und Selma Doborac mit De Facto sowie The Klezmer Project von Leandro Koch und Paloma Schachmann im Rennen.

Eröffnet wird die Berlinale heuer schließlich mit der US-Komödie She Came to Me von Rebecca Miller mit Peter Dinklage und Anne Hathaway. Und Steven Spielberg, dessen Familiengeschichte The Fabelmans demnächst in die Kinos kommt, wird der Ehrenbär für sein Lebenswerk verliehen. (Valerie Dirk, 16.2.2023)