Wenn Gerichte die Räumung bewilligen, ist es für Nachzahlungen oft zu spät. Mieter sollten sich deshalb früh Hilfe holen.

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Wenn Menschen ihre Wohnung verlieren, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen können, ist das oft der Tiefpunkt eines langen finanziellen Leidenswegs. Nach Ende der Pandemie deutet nun vieles darauf hin, dass künftig wieder mehr Personen davon betroffen sein könnten. Aus Sicht von Walter Rosifka droht Österreich gar ein "kolossales Ausmaß" an Zahlungsausfällen, sollte es keine weiteren Entlastungen geben. "Die Zeit drängt", sagt der Wohnrechtsexperte der Arbeiterkammer (AK) Wien zum STANDARD.

Nach einem leichten Rückgang in den Pandemiejahren zog die Zahl der Delogierungen zuletzt wieder deutlich an. 2021 wurden in Österreich rund 7.000 Räumungen von Wohnungen und Geschäftslokalen beantragt. Im vergangenen Jahr waren es schon 9.000. Damit nähert sich die Zahl schrittweise dem Vorkrisenniveau. Vor Ausbruch der Pandemie lag der Wert österreichweit konstant bei rund 12.000, in den nächsten Jahren könnte diese Grenze überschritten werden. Tatsächlich vollzogen wird ungefähr die Hälfte davon.

Wohnschirm hilft

Der Rückgang in den Pandemiejahren 2020 und 2021 war hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass öffentliche Wohnbauträger wie Wiener Wohnen und Genossenschaften kulant waren. In den nächsten Jahren rechnen die Wiener Gerichte aber mit einer deutlichen Zunahme, sagt Peter Kovanyi, Richter am Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien. "Die aktuellen Mieterhöhungen werden wir erst später spüren. Zu Gericht kommt das alles stark zeitverzögert."

Dass das Vorkrisenniveau noch nicht erreicht wurde, führt Rosifka von der AK vor allem auf den Wohnschirm und die Einmalzahlungen im letzten Herbst zurück. Jetzt dränge allerdings die Zeit für weitere Entlastungen. Denn die Krisenfolgenbeobachtung der Statistik Austria rechnet in den nächsten Wochen und Monaten mit verstärkten Zahlungsschwierigkeiten bei Mieterinnen und Mietern.

"Alles holen, was geht"

In vielen Fällen ließen sich Delogierungen schon im Vorfeld verhindern, sagt Doris Obereder, Richterin am Bezirksgericht Leopoldstadt. Mieterinnen und Mieter, die finanzielle Probleme haben, sollten deshalb alle Hilfsangebote ausschöpfen. In der Praxis sei das oft nicht der Fall. Laut Schätzungen lassen rund 30 Prozent all jener, die Anspruch auf Wohnbeihilfe hätten, das Geld liegen. Wichtigste Anlaufstelle ist in Wien die Fachstelle für Wohnungssicherung (Fawos), die Betroffene unterstützt. Finanzielle Hilfe gibt es über die Wohnbeihilfe und den Wohnschirm, der Anfang 2022 ins Leben gerufen wurde und bisher mehr als 3.000 Menschen vor dem Wohnungsverlust bewahrt hat.

Wichtig sei jedenfalls, sich Hilfe zu holen, bevor ein rechtskräftiges Räumungsurteil vorliegt, rät Kovanyi. "Ist die Gerichtsentscheidung einmal da, wird es schwierig." Denn nachträgliche Zahlungen helfen den Mieterinnen und Mieter in vielen Fällen nichts mehr. Die Entscheidung, ob es tatsächlich zu einer Delogierung kommt, liegt dann bei den Vermieterinnen und den Vermietern. Laut Obereder ist in der Praxis zudem problematisch, dass Betroffene oft nicht zum Gerichtstermin erscheinen, weil sie Angst haben. "Damit machen sie die Sache aber noch schlimmer, weil dann ein Versäumungsurteil ergeht."

Verschiedenste Schicksale

Von den 4.041 Räumungen, die die Wiener Gerichte im Jahr 2022 bewilligt haben, wurden 2.539 tatsächlich vollzogen. Manchmal sind Vermieterinnen und Vermieter kulant, wenn doch noch nachträglich gezahlt wird. Viele Räumungen werden erst in letzter Minute abgesagt, sagt Obereder. Was mit Menschen passiert, die ihre Wohnung tatsächlich verlieren, ist von Fall zu Fall verschieden. Manche kommen bei der Familie oder bei Freunden unter, manche in einem Wohnheim, andere landen auf der Straße.

Eine neuen Wohnung zu finden ist für Betroffene oft aus mehreren Gründen schwierig, heißt es seitens der Caritas Wien. Viele haben keine finanziellen Reserven, um sich Kaution und Provision leisten zu können. Zudem übersteigt die Höhe der Miete am privaten Wohnungsmarkt die Einkommensverhältnisse zum Teil bei weitem. Dazu kommt, dass Vermieter oft Bürgen für Mietausfälle fordern, die viele Menschen nicht haben.

Unterstützung gibt es für Betroffene bei der Wiener Wohnungslosenhilfe. Dort kann etwa eine Postadresse eingerichtet werden, die von den Behörden gefordert wird, um Arbeitslosengeld oder Mindestsicherung beantragen zu können. (Jakob Pflügl, 17.2.2023)