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Wollen wir Leistung überhaupt noch nach Arbeitsstunden messen?

Foto: Getty Images

Arbeitsminister Martin Kocher hätte es weniger verbal-brachial verpacken können. Statt Sozialleistungen für "freiwillig" Teilzeitarbeitende zu hinterfragen, hätte er auch eine Debatte initiieren, Unternehmen, Zivilgesellschaft, Partei- und Politkollegen an den runden Tisch rufen können: Wie wollen wir arbeiten, und was bedeuten diese Wünsche für unsere Gesellschaft? Tatsächlich ist Kochers Ansage schnell in den Geschmack der Teilzeitarbeit als Beitrag zweiter Klasse gekommen.

Harmonie? Kaum möglich

Aber nun ist der Geist einmal aus der Flasche. Im idealen weiteren Verlauf ist das die Initialzündung für eine breite Bestandsaufnahme auf dem Weg in die neue Arbeitswelt. Dafür stehen die Chancen angesichts der bereits verteilten Hiebe nicht besonders gut.

Aber selbst wenn wir endlich über das reden, was im Großen ansteht: Das wird kein schneller Harmoniewalzer. Und es geht um viel mehr als um Zählen und Bewerten von verbuchten Arbeitsstunden nach alter Definition von Arbeit. Zur Debatte steht der Leistungsbegriff. Zur Diskussion stehen Wert und Qualität der Erwerbsarbeit. Angesichts der weit geöffneten Vermögensschere geht es auch um Gerechtigkeit, um gefühlte Fairness, um gesellschaftliche Solidarität. Dazu gehört auch die berechtigte Frage, wie gut letztlich mehr von dieser Arbeit ist, die eigentlich weiter planetare Ressourcen ausbeutet. Und Menschen in Kästchen steckt, die sie – eingeklemmt in straffes Prozessmanagement – täglich möglichst lange ausfüllen sollen. Wir sind schnell beim bedingungslosen Grundeinkommen.

Darüber sollte die Politik mit "den Menschen", wie Politikerinnen gerne sagen, endlich reden.

Starre Jobprofile sind von gestern

Apropos Kästchen: Vielleicht überholen Unternehmen ab jetzt links und rechts: Die aktuellen Human Capital Trends (10.000 Befragte in 139 Ländern) der Berater von Deloitte lassen das vermuten. Die Leute sind längst aus den "Kästchen" gehüpft: Über 70 Prozent übernehmen Aufgaben außerhalb der Stellenbeschreibung. 63 Prozent arbeiten in Projekten, die nichts mit dem ursprünglichen Einstellungsprofil zu tun haben. 93 Prozent sagen, das derzeit gängige Jobmodell habe keine Zukunft. 80 Prozent der Führungskräfte und fast ebenso viele Menschen in den Belegschaften glauben schon gar nicht mehr, dass Arbeit mit konkreten Jobkategorien strukturiert werden kann.

Die neue Arbeitswelt ist bereits da. Politische und gesellschaftliche Debatten dazu haben schon viel zu lange auf sich warten lassen. (kbau, 16.2.2023)