Ausgezählt werden, noch bevor der Gegner den ersten Kinnhaken platziert hat. Das kommt im Boxen eher selten vor. Passiert ist das dennoch fünf Athleten aus der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica am Mittwoch, wie der dort beheimatete Boxklub Budva jetzt auf seiner Facebook-Seite bekanntgab: "Während der heutigen Reise wurde unser Team mit einer unerwarteten Situation konfrontiert. Am Flughafen von Chișinău erlaubte uns die Polizei nicht, nach Moldau einzureisen. Erklärung gab es keine. Nach einigen Stunden Warten wurde uns gesagt, dass wir mit dem ersten Flug nach Istanbul und von dort nach Podgorica zurückkehren sollen. Leider endet die Teilnahme unserer Boxer am internationalen Turnier hier, noch bevor sie beginnen konnte."

Anhängerinnen und Anhänger der sozialistischen Partei bei einer Demonstration vor dem Parlamentsgebäude in Chișinău.
Foto: EPA/DUMITRU DORU

Obwohl es keinen formalen Grund gab, den Montenegrinern die Einreise zu verweigern, wollten die Grenzbehörden am Hauptstadtflughafen offenbar kein Risiko eingehen. In der Moldau ist in den vergangenen Tagen und Wochen zu viel passiert, als dass man eine Gruppe junger Boxer einfach so ins Land lassen würde. Noch dazu, wenn sie aus einem Land kommen, in dem der Kreml nach wie vor viele Freunde hat, die er schon in der Vergangenheit für seine Zwecke eingespannt hatte.

Neue Regierung

Am Donnerstag nahm in der Republik Moldau der neue Premierminister Dorin Recean offiziell seine Arbeit auf, das Parlament sprach ihm das Vertrauen aus. Seine Regierung umfasst 15 Mitglieder, die wie er einen prononciert westlich orientierten Kurs verfolgen. Ihr Ziel, das sie mit der Vorgängerregierung unter der jüngst zurückgetretenen Natalia Gavrilița teilen: das kleine, zwischen der Ukraine und Rumänien liegende Land mit seinen nicht einmal drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern fit für einen EU-Beitritt zu machen.

Eine Aufgabe, die angesichts von Energieknappheit, exorbitant hoher Inflation und wachsender Armut schwieriger kaum sein könnte. Hauptsächlich deshalb, weil der Kreml, der bis zur Wahl der ehemaligen Weltbankmitarbeiterin Maia Sandu zur Präsidentin 2020 regelmäßig seinen Einfluss in Chișinău geltend machte, jegliche Annäherung des Landes an die EU verhindern will. Und seit Moldau Mitte 2022 den Kandidatenstatus bekam, offenbar um jeden Preis.

Ende vergangener Woche hatte Sandu im Rahmen einer Pressekonferenz Moskaus Pläne für einen Staatsstreich in der Moldau öffentlich bekannt gemacht. Die diesbezüglichen Informationen, die ihre eigenen Sicherheitsbehörden bestätigten, hatte sie zuvor vom ukrainischen Geheimdienst erhalten.

Stalins Drehbuch

Die Grundzüge des Drehbuchs für den Coup stammen aus der Frühzeit der Sowjetunion und wurden später unter Josef Stalin perfektioniert – unter anderem auch auf dem Gebiet, das das heutige Moldau umfasst. Heute sind sie allen wohlbekannt, die seit Wladimir Putins Machtergreifung im Jahr 2000 unter der aggressiven Expansionspolitik Russlands zu leiden hatten und haben.

Auf politische Demonstrationen, die von Moskaus lokalen Agenten zuerst angestachelt und in der Folge orchestriert und finanziert werden, folgen Beschwerden des Kreml über die angebliche Diskriminierung der russischsprachigen Minderheit. Ab einem gewissen Zeitpunkt mischen sich unter die Demonstranten professionelle Agitatoren mit militärischer Ausbildung, die dafür sorgen, dass die Proteste eskalieren.

Die daraus resultierende Gewalt nutzt die Putin-Diktatur dann als Vorwand für immer aggressivere Schritte, die – wie im Fall der Ukraine oder Georgiens – bis hin zu einer militärischen Invasion führen.

"Eine zweite Ukraine"

Hinweise darauf, dass die Umsturzpläne real sind, geben die Russen mittlerweile selbst zuhauf. Zuletzt verschickte das russische Außenministerium eine Aussendung, in der es das Land und den Rest der Welt davor warnt, "die Moldau in eine zweite Ukraine zu verwandeln". Auch Außenminister Sergej Lavrow selbst gibt sich heute keine Mühe mehr, die wahren Absichten des Regimes zu verbergen: "Sandu will die Moldau in die Nato führen und das Land mit Rumänien vereinigen. Sie ist praktisch zu allem bereit."

Laut Sandu und ihrer Regierung strebt die neutrale Republik Moldau, die dank der Arbeit ihrer Vorgänger Moskau in Sachen Energieversorgung bis heute auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, weder das eine noch das andere an. Wie das Beispiel Ukraine belegt, geht es darum aber auch gar nicht. Vielmehr geht es laut dem Parlamentsabgeordneten Eugeniu Sinchevici von der Partei für Aktion und Solidarität (PAS), die die alte wie die neue Regierung stellt, um die Großmachtfantasien der russischen Führung: "Es ist wirklich ganz einfach: Putin will die Sowjetunion zurück, deren Ende er nie überwunden hat. Die Tatsache, dass die Republik Moldau eine prowestliche Regierung hat, macht ihn verrückt. Aber noch verrückter macht ihn vielleicht, dass keiner mehr Angst vor ihm hat, weil die Ukrainer gezeigt haben, wie schwach seine Armee ist. Deshalb muss er jetzt andere Methoden anwenden."

Die Rolle des Oligarchen

Was die Eskalationsstufe des von Sandu öffentlich gemachten Coup-Plans angeht, scheinen sich die kommenden Tage und Wochen aus Sicht des Kreml tatsächlich aufzudrängen. Auch deshalb, weil Putin laut der Präsidentin die Aufbereitung des Bodens für den Staatsstreich, der seine lokalen Verbündeten – den traditionell Moskau-freundlichen sozialistisch-kommunistischen Block (BCS) und die sogenannte Shor-Partei (PS) – an die Macht bringen soll, angeblich auf mehrere Schultern verteilt hat.

Die Shor-Partei wird von dem flüchtigen Oligarchen und moldauisch-israelischem Doppelstaatsbürger Ilan Shor kontrolliert. Bisher entzog sich der 35-Jährige erfolgreich dem Zugriff der Justiz in Chișinău, die ihn wegen schweren Diebstahls und Korruption angeklagt hat. Gemeinsam haben BCS und PS derzeit 44 von insgesamt 101 Sitzen im Parlament. Die Mehrheit stellt die PAS, der auch Sandu und Neo-Premier Recean angehören.

Die für die kommenden Tage angekündigten Anti-Regierungs-Demonstrationen sollen laut Sandu von etlichen vom Kreml nach Chișinău entsandten Agitatoren aus Russland, Serbien, Belarus und Montenegro unterwandert werden. In die Hauptstadt kommen sollen diese auch aus Transnistrien.

Kaum Wissen über russische Soldaten

Der russisch besetzte Teil der Republik Moldau wird von dem Oligarchen Viktor Gushan und seinem Sheriff-Konzern kontrolliert. In Transnistrien standen zuletzt 1.500 russische Soldaten. Wie es um deren Ausrüstung und Moral bestellt ist, weiß niemand. Bisher sind jegliche Bemühungen des Kreml, Transnistrien für seine Zwecke zu instrumentalisieren, jedenfalls erbärmlich gescheitert. Sandu zufolge soll der Kreml geplant haben, das Europa-Conference-League-Heimspiel von Sheriff Tiraspol gegen Partizan Belgrad für einen neuen Anlauf zu nutzen. Dabei sollten als Fans getarnte Handlanger Moskaus aus Serbien und Russland in die Hauptstadt geschleust werden.

Um das Einsickern von Kreml-Handlangern aus anderen Richtungen zu verhindern, sind die Moldauer Grenzbehörden strikt angewiesen, bei jedem Staatsbürger aus den genannten Ländern wie aus Belarus und Montenegro, der dieser Tage nach Chisinau reist, ganz genau hinzuschauen. Eine Maßnahme, unter der zuletzt die – mutmaßlich zu Unrecht der Hilfe beim Umsturzversuch verdächtigte – Truppe von jungen Amateurboxern vom Westbalkan zu leiden hatte. (Klaus Stimeder aus Odessa, 16.2.2023)