Mario Bauer sieht sich für den Kampf David gegen Goliath gut gerüstet. David ist seine Wiener Ketchup-Marke Curtice Brothers, Goliath der US-Riese Heinz. Seit vier Jahren mischt der frühere Vapiano-Chef im Geschäft mit biologischen Saucen mit. Der Verkauf an Fünfsternehotels ebnete den Weg in den Lebensmittelhandel. Heuer erhofft er für das Start-up den internationalen Durchbruch.

Eben habe Rewe grünes Licht für die deutschlandweite Listung signalisiert, frohlockt Bauer inmitten des Trubels der Bio-Fach, der weltgrößten Biomesse in Nürnberg. Der einzige Haken: Der Konzern will von Curtice kein Bio, sondern konventionelle Ware – denn Konsumenten legten zwar Wert auf besseres Ketchup, seien derzeit aber nicht bereit, mehr dafür zu zahlen.

Nicht in Schönheit sterben

Bauer gibt sich locker und hofft, dass sich Geschäfte mit Bio wieder erholen. Bis dahin werde er seinen Betrieb mit 20 Mitarbeitern nicht "in Schönheit sterben lassen". "Wir sind wie ein Chamäleon. Lässt es der Markt nicht zu, verkaufen wir eben Škoda statt Audi."

Der Ketchupkoch ist sich sicher: Ohne die Krise hätte er den Sprung in die Regale der Handelsriesen nie geschafft. Die starke Teuerung habe die Branche geschockt und festgefahrene Strukturen durcheinandergewirbelt. "Das ist unsere Chance."

Auf in die weite Welt

Den Nerv der Zeit glaubt auch Robert Weißengruber getroffen zu haben. Bis vor zwei Jahren lenkte der gelernte Mechaniker noch Reisebusse. Nun bedient er Rewe und Spar mit geriebenem geräuchertem Rinderspeck. Fertigen lässt der Mühlviertler seine Marke Speckup vom Biofleischer Sonnberg. Sein Ziel ist Expansion in die ganze Welt, noch heuer will er den Einstieg in die USA schaffen. Sein Rezept für den Schritt ins Unternehmertum: Fleisch reduzieren, ohne auf seinen Geschmack verzichten zu müssen.

Der Anteil an biologischer Landwirtschaft soll in Österreich weiter stark wachsen.
Foto: Imago/Reuhl

Was, wenn er damit nicht lange allein bleibt und große Konkurrenz mit getrockneten, klein gerebelten Bio-Ochsen günstiger nachzieht? "Bis dahin habe ich eine starke Marke aufgebaut."

Hipper Rhythmus

Rund 2.700 Aussteller aus 90 Ländern tummeln sich dieser Tage in Nürnberg in der Hoffnung auf neue Abnehmer. Eine Müslimesse mit 30 Standln auf der grünen Wiese sei die Bio-Fach vor 34 Jahren gewesen, erinnert sich Sonnentor-Gründer Johannes Gutmann. "Schauen Sie sie sich jetzt an", sinniert er und deutet über eine wogende Menge an Menschen, die sich im Rhythmus hipper Musik wiegen, an Hanfbier-Flaschen nippen und über vegane wie zuckerfreie Innovationen philosophieren. Bis auf ein paar Flicken die Alte blieb allein Gutmanns Lederhose, die er seit Jahrzehnten trägt.

Ungetrübt ist die Stimmung bei näherem Blick freilich nicht. Nach dem Boom während der Corona-Zeit erleben etliche Betriebe, die Kapazitäten und Personal kräftig ausbauten, einen harten Aufprall. Die hohe Inflation treibt Konsumenten weg vom Fachhandel hin zu Diskontern und Eigenmarken. Noch mehr als in Österreich wird in Deutschland gespart, dem gewichtigsten Exportmarkt der Branche.

Einen Schritt zurück

Er selbst habe bei Sonnentor im Vorjahr ein Umsatzminus von neun Prozent verbucht – der für ihn erste Rückgang seit 35 Jahren, zieht Gutmann Bilanz. Unterm Strich sei sein Absatz noch um ein Zehntel höher als 2019. Dafür sei er dankbar. "Viele sind es nicht gewöhnt, einen Schritt zurück zu machen. Bio wächst jedoch nicht schneller, wenn man daran zieht."

Die Österreicher haben 2022 infolge der höheren Preise um 3,7 Prozent mehr für Biolebensmittel ausgegeben, belegen jüngste Daten der Roll-AMA. Der wertmäßige Bio-Anteil erreichte einen Höchststand von 11,5 Prozent. Mengenmäßig sank der Absatz hingegen um 3,5 Prozent.

Die Preise für Biologisches stiegen um 7,5 Prozent. Konventionelles, das aufgrund von Pestiziden und synthetischem Dünger stärker von fossilen Rohstoffen abhängt, verteuerte sich im Vergleich dazu um 11,5 Prozent.

7,5 Prozent mehr mussten Konsumenten 2022 für Bio ausgeben, 11,5 Prozent mehr für Konventionelles.
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ÖVP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig spricht in Nürnberg von einer "Erfolgsgeschichte" für Bio. Geplant sei, den Anteil entsprechender Flächen bis 2030 von 26 auf 35 Prozent auszuweiten. Christina Mutenthaler-Sipek, Chefin der AMA Marketing, und Bio-Austria-Obfrau Gertraud Grabmann loben Bio als krisenfest und inflationsdämpfend. Gekauft werde es primär im Dienste von Tierwohl und Klimaschutz.

Kampf gegen Greenwashing

Horst Moser, Chef des Großhändlers Biogast, der in Nürnberg Bio abseits industrieller Massenware sucht, beobachtet jedoch vielmehr einen Sinneswandel unter den Konsumenten hin zum Fokus auf niedrige Preise. Eben sei noch Gesundheit an oberster Stelle gestanden. "Es scheint, überspitzt gesagt, wie weggewischt. Eine interessante Erfahrung."

Dazu kommt, dass sich konventionelle kapitalstarke Produzenten reihenweise grüne Mäntelchen anziehen, um Alleinstellungsmerkmale biologischer Rivalen zu untergraben. Der Boom zu Veganem schließt Bio nicht per sei ein. Parallel dazu fließen quer durch Europa Milliarden Euro in den Ausbau von Bioflächen. Österreichs Supermärkte selbst greifen bei Eigenmarken gern zu Importen.

Kamptaler Pesto und Wiener Würze

Stefan Grossauer lässt sich in seiner Nische davon nicht beirren. In Handarbeit befüllt der Gemüsebauer im Kamptal mit neun Mitarbeitern Pesto und Bruschetta in kleine Gläschen. Meinl war der erste große Kunde. DM und Rewe stießen hinzu. Viele Kunden seien während der Lockdowns auf die Delikatessen aufmerksam geworden und hielten ihm nun weiterhin die Treue, sagt er.

Der Trend zum Fermentieren und zu regionalen Lebensmitteln helfe ihm über härtere Jahre hinweg, erzählt Karl Severin Traugott, der unter der Marke Genusskoarl der Würze ein jüngeres Gesicht und neuen Geschmack gab. Vergleiche mit Maggi ärgern ihn längst nicht mehr. "Da legt man sich eine dicke Haut zu."

Der Lebensmitteltechnologe experimentierte einst mit Hafer, heute ist er mit seiner Bio-Würze quer durch den Lebensmittelhandel vertreten. "Regalplätze rund um Suppenwürfel sind zum Glück weniger stark umkämpft."

Smoothie statt Leberkäse?

Auf härteren Wettkampf stellt sich Heinz Pöttinger, Gründer von Purora, ein. Im Geschäft mit Smoothies aus gefriergetrocknetem Superfood peilt er heuer mit 17 Mitarbeitern eine Million Euro Umsatz an. Der Start 2020 sei schwierig gewesen, räumt Pöttinger ein, der auf einem Biobauernhof aufwuchs und in London Businessmanagement studierte. Von Raab aus will er die Marke über die Gastronomie, Fitnessstudios und Office-Kunden nun auch ohne Supermarktketten über die Grenzen Österreichs hinweg groß machen.

Sechs Euro kostet ein Gläschen, der dafür notwendige Mixer 300 Euro. Sprengt dies nicht das Budget vieler ernährungsbewusster Kunden? Pöttinger führt den Preis eines Leberkässemmerls ins Treffen, zumal seine Smoothies weniger Getränk als Mahlzeit seien. An Geld in den Haushalten mangle es nach wie vor nicht, ist sich der Jungunternehmer sicher.

Marktbereinigung

Christian Stadler, Gründer der Marke Morgentau und einer der Pioniere des Biolandbaus, pflegt in Jahren wie diesen keine Wachstumsfantasien. Bisher sei sein Umsatz jährlich im hohen einstelligen Bereich gestiegen, sagt er. Heuer sei er zufrieden, dass sein Geschäft dank leistbarer Produkte stabil bleibe.

Sebastian Rauer, Landwirt in fünfter Generation, verarbeitet mit seiner Familie in Bad Blumau Biosprossen zu Müsliriegeln, Toppings und Joghurts. Er vertraut auf Wachstum im Lebensmittelhandel in kleinen Schritten und rechnet mit einer Marktbereinigung, von der Betriebe wie der seine profitieren könnten. "Es ist ein langer Weg. Aber wir hoffen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen." (Verena Kainrath aus Nürnberg, 16.2.2023)

Die Reise zur Bio-Fach erfolgte auf Einladung der AMA Marketing.