Vermutlich eine Grußbotschaft des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, dann ein Referat des deutschen Kanzlers Olaf Scholz, anschließend spricht Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Keine Vertreter Russlands auf der Bühne. Am Samstagvormittag wird dann US-Vizepräsidentin Kamala Harris im Namen ihres Chefs Joe Biden vortragen, wie die USA sich die Fortsetzung im russischen Krieg gegen die Ukraine vorstellen.

Freitagnachmittag also startet in der bayerischen Hauptstadt die 59. Ausgabe der Münchner Sicherheitskonferenz. Mit physischer Präsenz auf höchster politischer Ebene. Das Treffen wird am Wochenende zum ersten Mal seit drei Jahren wieder ohne Einschränkungen stattfinden, wenngleich mit erheblich ausgeweiteten Sicherheitsmaßnahmen.

Großer Empfang am Flughafen, starke Sicherheitsvorkehrungen. US-Vizepräsidentin Kamala Harris wurde von Ministerpräsident Markus Söder abgeholt. Sie ist Stargast bei der Münchner Sicherheitskonferenz.
Foto: AP / Michael Probst

Die Vorgaben zur Corona-Pandemie hatten die Teilnahme an der wichtigsten globalen Debattenplattform zur Außen- und Sicherheitspolitik seit 2020 behindert. Staatsoberhäupter, Regierungschefs und -chefinnen, Minister, Diplomaten, Fachleute aus der Wirtschaft konnten ihren Austausch nur virtuell pflegen. Die Konferenz gilt – so wie Davos in Fragen der Weltwirtschaft – als ein wichtiger Gradmesser für die Betrachtung der Entwicklung der globalen Sicherheitslage. Zumindest von Europa aus, mit Schwergewicht auf die transatlantische Partnerschaft.

Chinesen dabei

Österreich ist mit Außenminister Alexander Schallenberg und Europaministerin Karoline Edtstadler vertreten. Ersterer nutzt die Tagung für zahlreiche bilaterale Treffen mit Kollegen, unter anderem mit Chinas Politbüro-Außenpolitiker Wang Yi.

Der Neustart im Jahr 2023 erfolgt unter neuer Führung. Der ehemalige Sicherheitsberater von Ex-Kanzlerin Angela Merkel und frühere UN-Botschafter Christoph Heusgen löste 2022 den langjährigen Konferenzchef Wolfgang Ischinger ab.

Schon das Thema "Jahr eins nach der Zeitenwende" oder "Zeitenwende 2.0" weist darauf hin, dass sich die Debatten der Führungskräfte fast nur um eine Frage drehen werden: den Krieg in der Ukraine und wie es weitergehen könnte; welche Chancen es auf einen Waffenstillstand und Verhandlungen gibt. Mit Sicherheit aber um die dringend anstehende Frage, wie und in welchem Ausmaß die EU- und Nato-Staaten ihre Militärhilfe für die Ukraine fortsetzen bzw. verstärken.

Debatte um Nato-Involvierung

Letzteres hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg diese Woche beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel gefordert. Laut US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sei "in einigen Wochen" die nächste russische Militäroffensive zu erwarten. Westliche Geheimdienste berichten, dass die Führung in Moskau massiv Kampfjets und Hubschrauber in Grenznähe stationiere, damit sie zum Angriff in der Ukraine fähig seien.

Möglicherweise werden Macron und Scholz dazu klare Statements abgeben, aber auch Vorschläge machen, unter welchen Bedingungen Gespräche mit Russland über ein Ende der Kämpfe ablaufen könnten. Die Europäer haben der Führung in Kiew zuletzt "jede mögliche Unterstützung" zugesagt, "was immer nötig ist", politisch, wirtschaftlich wie auch militärisch.

Beim Treffen von Selenskyj, Macron und Scholz in Paris vor dem EU-Sondergipfel vergangene Woche sagte der französische Präsident, die Union werde der Ukraine "auf dem Weg zum Sieg, zum Frieden und nach Europa zur Seite stehen". Gleichzeitig wies er auf den von Selenskyj bereits im Frühjahr 2022 vorgelegten Zehn-Punkte-Plan zum Frieden hin: Demnach müsse Russland die Kämpfe sofort einstellen sowie die Annexion der eroberten Gebiete im Osten zurücknehmen. Alles andere sei verhandelbar.

Zeitenwende 2.0

Klar scheint, dass die Sicherheitslage in Europa jetzt und in Zukunft eine völlig andere ist als vor dem 24. Februar 2022, dem Beginn des russischen Angriffs. Von "Zeitenwende" sprach der deutsche Kanzler Olaf Scholz damals im Bundestag und kündigte an, dass die Bundeswehr mit einer Sonderzahlung von 100 Milliarden Euro für eine bessere Ausstattung rechnen könne, was damals als Sensation aufgenommen wurde.

Fast genau ein Jahr später ist nicht nur im Land am Dnjepr und am Schwarzen Meer nichts wie zuvor. 14,5 Millionen Flüchtlinge laut UN-Angaben sowie geschätzt mehr als 200.000 Tote und Verletzte sprechen eine klare Sprache.

Der "erste Eroberungskrieg seit Ende des Zweiten Weltkriegs 1945", wie Experten sagen, hat auch die militärischen Strategien in Europa komplett verändert, mit Auswirkung auf die globalen Beziehungen, insbesondere zwischen den USA und dem Moskau-freundlichen China. Die Nato wird ihre Truppen an der Ostflanke von 40.000 auf 300.000 Einsatzbereite aufstocken. (Thomas Mayer aus Brüssel, 17.2.2023)