Vor allem Frauen wählen das Modell: 60 Prozent aller geringfügig Beschäftigten sind weiblich

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Exakt 339.920 Menschen tun es. Sie arbeiten in Restaurants, jobben in Fitnesscentern oder sind im sozialen Bereich tätig. Sie verdienen bis zu 500 Euro und 91 Cent, mehr dürfen es nicht sein. Bekannt ist die Konstruktion unter einem Namen: Geringfügigkeit.

Unfreiwillig ist die Gruppe in dieser Woche mit in den Fokus einer hitzigen Debatte gerückt. Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher hat angestoßen, darüber nachzudenken, wie die Teilzeit zurückgedrängt werden kann. Dabei geht es in der Diskussion um zwei Aspekte. Einmal stellt sich die Frage, wer angesichts des demografischen Wandels die Arbeit von morgen erledigt: Wie also kommen Unternehmen zu genügend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, damit sie alle Aufträge abarbeiten können und der Wohlstand gesichert bleibt? Zugleich wird der Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bei gleichzeitiger Alterung der Gesellschaft fürs Versicherungssystem zur Herausforderung.

Auf beiden Ebenen der Diskussionen spielt nicht nur die Teilzeit, sondern auch die Geringfügigkeit eine wichtige Rolle: Wäre es sinnvoll, das Modell abzuschaffen, um damit Menschen zu motivieren, mehr zu arbeiten, und zugleich um höhere Einzahlungen in das Sozialsystem sicherzustellen?

Diskutiert wurde über ein Ende der Geringfügigkeit schon einmal intensiv. Im Zuge einer letztlich gescheiterten Arbeitsmarktreform 2022 pochte die ÖVP darauf, die Möglichkeit für Arbeitslose, geringfügig dazuzuverdienen, abzuschaffen. Doch Expertinnen und Experten fordern unabhängig von diesem engen Fokus dazu auf, das Modell generell auf den Prüfstand zu stellen. Die Ökonomin Andrea Weber von der Central European University in Wien ist etwa für eine Abschaffung der Geringfügigkeit.

Alle sollen zahlen

Auch wer unter 500 Euro verdient, soll Beiträge zur Kranken-, Pensions-, und Arbeitslosenversicherung zahlen. Helmut Mahringer vom Forschungsinstitut Wifo sieht es ähnlich, auch er würde die generelle Möglichkeit streichen. Seine Kollegin Christine Mayrhuber nennt das Konzept einen "Fremdkörper" im System. AMS-Chef Johannes Kopf spricht von einer problematischen "Stufe" und auch er regt an darüber nachzudenken, das System umzukrempeln: So könnte die Geringfügigkeitsgrenze auf den halben Wert abgesenkt werden.

Geringfügiges Arbeiten hat schon lange eine Sonderstellung im Abgabensystem: Laut dem Wiener Steuerexperten Gottfried Schellmann gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert Befreiungen bei Versicherungsbeiträgen für Menschen, die nur wenige Stunden arbeiten. Die Regelung diente dazu, Industriebetrieben zu ermöglichen, bei Auftragsschwankungen rasch und unkompliziert zusätzliches Personal zu finden. Doch genau diese Idee ist in Zeiten notorischen Personalmangels nicht mehr zeitgerecht, sagt Ökonomin Weber.

Kein Anreiz, mehr zu jobben

Die Geringfügigkeitsschwelle gilt nämlich als große Hürde, die zusätzliches Arbeiten verhindert. Arbeitnehmer zahlen unterhalb des Grenzbetrags von 500,91 Euro nur 1,2 Prozent Unfallversicherung für ihr Einkommen. Für jeden Euro an Verdienst darüber werden die vollen 18 Prozent an Versicherung fällig.

Ohne diese harte Grenze wären mehr Menschen dazu verleitet, ihre Arbeitsstunden aufzustocken, so der Tenor bei Experten. Da sich auch Unternehmen die Versicherungsbeiträge für ihre Dienstnehmer sparen, besteht auch für sie ein Anreiz, Menschen in Geringfügigkeit zu halten. Das sei ebenso ein Problem, argumentiert Ökonomin Weber.

Doch es geht bei der Problematik nicht nur um den Arbeitsmarkt: Laut Rechnungshofbericht verdienten Menschen, die geringfügig beschäftigt waren, im vergangenen Jahr im Median 3856 Euro im Jahr, also etwa 275 Euro im Monat. Auch geringfügig beschäftigte unselbstständige Arbeitskräfte müssen von ihren Arbeitgebern angemeldet werden, auch für sie muss 13. und 14. Gehalt bezahlt werden.

Würden auf die Löhne dieser Gruppe die vollen Versicherungsbeiträge erhoben werden, würde das für die Sozialversicherungen Mehreinnahmen von grob gerechnet 500 Millionen Euro pro Jahr bringen.

Das wäre ein nettes Körberlgeld. Die Pensionsversicherung braucht ohnehin laufend staatliche Zuschüsse. Und auch die Gesundheitskassen kämpfen mit Finanzlücken: Die Krankenkassen rechnen heuer mit Verlusten in Höhe von 528,1 Millionen Euro, schon im Vorjahr gab es ein Minus von mehr als 350 Millionen. Liegen also geringfügig Beschäftigte überspitzt formuliert der Allgemeinheit auf der Tasche?

Bei der Arbeitslosenversicherung nicht, denn sie haben mangels Versicherung auch keinen Anspruch auf Leistungen. Im Pensionssystem ist die Abgrenzung schwieriger: Die Höhe der Pension richtet sich nach den Einzahlungen. Eine Ausnahme gibt es aber: Wer sehr wenig eingezahlt hat, wird aufgestockt. Das finanziert dann sehr wohl die Allgemeinheit.

Bei der Krankenversicherung lässt sich das Argument sicher machen. Viele geringfügig Beschäftigte sind bei ihren Partnern mitversichert oder haben Anspruch auf die Leistungen aus einer Pension oder Arbeitslosigkeit – sie zahlen für ihren Verdienst nicht ein, bekommen aber die Leistung.

Leidet das Sozialsystem?

Können wir uns als Geringfügigkeit nicht mehr leisten, weil hier eben Beiträge verlorengehen? Christine Mayrhuber vom Wifo würde das System zwar umkrempeln, um den Fremdkörper zu entfernen. Das große Plus sollten sich Versicherungen von einer Reform aber nicht erwarten, auf geringfügige Beschäftigung entfalle bloß ein Prozent der gesamten Lohnsumme. Schon eher würde es sich lohnen, unter dem Gesichtspunkt der Finanzierbarkeit des Sozialstaates darüber zu diskutieren, ob wir uns die Teilzeit generell leisten können. Wobei es auch bei dieser Frage keine einfachen Antworten gebe.

Die meisten Arbeitsmarktexperten wollen Geringfügigkeit auch nicht komplett abschaffen, sondern für bestimmte Gruppen belassen. Mahringer etwa meint, es sollte von der Politik eine Nachfolgeregelung erarbeitet werden. So mache es Sinn, Pensionistinnen und Pensionisten Zuverdienst zu ermöglichen.

Sybille Pirklbauer von der Arbeiterkammer heißt die Zuverdienstmöglichkeiten generell gut, da gerade auch Frauen davon profitieren. Und auch die Arbeitgeberseite hat kein Interesse, das Modell komplett zu streichen. Die Wirtschaftskammer etwa ist nur gegen Zuverdienst in der Arbeitslosigkeit. Ob es also zu einer Abschaffung des Grenzwertes kommt, ist trotz der Expertenmeinungen und des Arbeitskräftemangels fraglich.

Wo Geringfügigkeit boomt

Doch wen würde die Abschaffung eigentlich treffen? Wer arbeitet in Österreich geringfügig? Die Antwort lautet Mal wieder: Frauen. 60 Prozent aller geringfügig Beschäftigten sind weiblich. Rund ein Drittel der Personen haben im Jahr 2021 ausschließlich geringfügig gearbeitet. Die anderen zwei Drittel waren erwerbstätig und arbeiteten nebenher geringfügig oder verdienten sich in der Pension etwas dazu.

Eine interessante Altersverteilung zeigen die Daten der Sozialversicherung aus dem Jänner 2023. Am häufigsten arbeiten Personen zwischen 18 und 25 Jahren und ab 60 Jahren in Minijobs. Gerade diese Personengruppen sind entweder noch nicht in ihrem eigentlichen Berufsleben oder eben nicht mehr. Für Berufseinsteigende kann ein Minijob eine Orientierung darstellen oder dazu dienen, einen Fuß in die Branche oder das Unternehmen zu bekommen. In den Jahren zwischen Berufseinstieg und Pension sind es vor allem Frauen, die in einer solchen kleinen Anstellung sind.

Betrachtet man allerdings die Branchen, lässt sich vermuten, dass manche Betriebe einen nicht unbedeutenden Teil ihres Arbeitsvolumens auf geringfügig Beschäftigte verteilen. Die Branchen mit den meisten geringfügigen Anstellungen sind der Handel, die Instandhaltung, die Reparatur von Kraftfahrzeugen, Beherbergungsbetriebe sowie die Gastronomie und das Gesundheits- und Sozialwesen. Wenn das Ziel ist, mehr Menschen in eine Vollzeitanstellung zu bringen, würde es sich lohnen, einen genaueren Blick auf genau diese Branchen zu werfen und dort Veränderungsmöglichkeiten zu identifizieren. Denn manchmal verhelfen die 500 Euro zu ein klein wenig mehr Wohlstand, manchmal ist es eine systemische Falle, die bis zur Pension wirkt. (András Szigetvari, Natascha Ickert, 17.2.2023)