Der Historiker Walter Sauer arbeitet in seinem Buch die Geschichte der afrikanischen Diaspora in Österreich auf.

Foto: Studienverlag / Walter Sauer

Vielleicht war es im Jahr 1237, dass sich erstmals Afrikaner in Wien aufhielten. Genau weiß man es nicht. Kaiser Friedrich II. jedenfalls besuchte die Stadt, und seit Sizilien 1194 an die Hohenstaufen gefallen war, gehörten auch schwarze Sklaven und Dienstboten zum kaiserlichen Gefolge. In spätmittelalterlichen Herrschaftssymbolen beginnen schon bald "Mohren" vereinzelt in Wappen aufzutreten. Schwarze Könige werden auch hierzulande sichtbar auf Schilden, Siegeln und Gemälden. Sogar auf dem Altar in der Wiener Schottenkirche findet sich um 1470 eine Anbetungsszene mit einem "Mohrenkönig".

Pionierarbeit

Der Wiener Historiker Walter Sauer hat ein beeindruckendes Werk über die Präsenz von Afrikanerinnen und Afrikanern in Österreich geschrieben. Es ist eine Pionierarbeit, die Maßstäbe setzt. Sauer schreibt seine Gesamtdarstellung mit größter Genauigkeit, schildert Ambivalenzen der Wahrnehmung – und viele Konflikte. Denn von Anfang an bekommen diese Menschen nicht nur viel Aufmerksamkeit, sondern stoßen manchmal auf Bewunderung und Neugier, meist aber auf Afrophobie, und erfahren teilweise massive Diskriminierung. Es gehört zu den bedrückenden Aspekten der Lektüre, dass man fast den Eindruck hat, die Ablehnung habe historisch eher zu- als abgenommen.

"Wissenschaftliche Rassekunde" begründet – in und nach der Aufklärung! – die Minderwertigkeit schwarzer Menschen. Sie werden von der Polizei drangsaliert und leben in prekären Verhältnissen. Meist sind schon die Bezeichnungen diskriminierend, deswegen hält der Streit um die Sprache bis heute an. Im Sommer 1928 möchte ein Mob von 300 bis 400 Menschen im Prater zwei Zirkusangestellte lynchen – der eine Mann stammt aus Kamerun, der andere aus Marokko: Soziale Exklusion und politische Entrechtung schwarzer Menschen findet sich keineswegs nur in der NS-Zeit, auch wenn diese einen Tiefpunkt markiert.

Auch nach 1945 liest man von schockierenden Diskriminierungen. Einem in der Schule von Mitschülern gemobbten Besatzungskind, einer geborenen Österreicherin, sagt der Direktor, sie solle "in den Urwald zurückgehen, wo sie herkomme". Fremdenhass verkleidet sich als Antiamerikanismus und Sorge um das "Deutsche", "Heimatliche" und "Abendländische".

Walter Sauer, "Jenseits von Soliman. Afrikanische Migration und Communitybuilding in Österreich – eine Geschichte". Mit einem Beitrag von Vanessa Spanbauer. € 36,90 / 272 Seiten. Studienverlag, 2022
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Strukturelle Diskriminierung

Sauer gelingt es, das verfügbare, oft sehr fragmentarische Wissen zu einem Gesamtbild zusammenzufügen. Er berichtet vom Schweigen der Quellen ebenso wie von ihrer oft sehr speziellen Perspektive. Manchmal ist es nur Zufall, dass wir von Menschen in Österreich erfahren, dass sie eine schwarze Hautfarbe hatten. Sie erscheinen in diesem Buch keineswegs nur als Opfer. Gerade in den letzten Jahrzehnten finden sie sich kulturell, manchmal auch politisch zusammen.

Als 1964 ein kenianischer Lehrling verletzt aufgefunden wird, möchte man ihn abschieben. Aber es regt sich Widerstand des Vereins Pan-African Students from Austria. Dessen Vorsitzende ist zwischenzeitlich Unokanma Bright-Taylor, Tochter einer einflussreichen Familie in Lagos, die in Wien Staatswissenschaften studiert. Eine Demonstration findet vor dem Sozialministerium statt samt Vorsprechen im Ministerbüro, das dann zu einem Handgemenge eskaliert. Unokanma Bright-Taylor, die gegen eine Abschiebung protestieren wollte, wird im Gefängnis misshandelt und schließlich selbst abgeschoben.

Strukturelle Diskriminierung

Eine der größten Hürden sieht der Autor heute in der "strukturellen Diskriminierung": Benachteiligung findet auch ohne direkte Absicht dadurch statt, dass "normal" erscheinende gesellschaftliche und politische Strukturen ständig vollzogen und reproduziert werden. Walter Sauer, mittlerweile über 70 Jahre alt, war mit seiner wissenschaftlichen Neugier für österreichische Kolonialgeschichte über viele Jahrzehnte selbst eher ein Außenseiter seines Fachs, ohne feste Anstellung an der Universität Wien.

Jetzt, im Zeitalter der Globalisierung, globaler Migrations- und Fluchtbewegungen, vor dem Hintergrund von Diskussionen um postkoloniale Restitution und Black-Lives-Matter-Protest, sind seine Themen ins Zentrum politischer Diskussionen gerückt. Wie gut, dass es in Wien dazu seine Kompetenz und jetzt auch dieses Buch gibt. (Miloš Vec, 18.2.2023)