Schrieb leider, wie Thomas Mann meinte, ein "viel zu gutes Deutsch". Ernst Jünger (1895–1998) an seinem Schreibtisch im oberschwäbischen Wilflingen.

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Veröffentlicht hat er an die hundert Bücher, drei seiner Werke aber verbindet man sofort mit seinem Namen: das Kriegstagebuch In Stahlgewittern, bis heute einer der wichtigsten Texte zum Ersten Weltkrieg, den 1939 erschienenen geschichtsmythischen Roman Auf den Marmorklippen, der als Werk des Widerstands gegen Hitler interpretiert wurde, und Strahlungen, 1949 erschienen, Jüngers Tagebuch aus den Jahren 1939 bis 1948, das vor allem seine Militärzeit im Zweiten Weltkrieg beschreibt. Stilistisch sind das Meisterwerke der deutschen Literatur und zugleich Problembücher, haftet ihnen doch eine bedenkliche Ästhetisierung und Moralisierung des Soldatentums an. Wie geht das alles zusammen? Ein Militärschriftsteller, Antidemokrat, gar als ideologischer Wegbereiter des Faschismus verrufen, und zugleich Weltliterat?

Jünger war der Inbegriff des preußischen Soldaten, des eleganten Herrenreiters, der den Krieg als Tugend sah. 1914 meldete er sich freiwillig an die Westfront, 14 Mal wurde er im Kampf verwundet, am Ende wurde er mit dem höchsten deutschen Militärorden "Pour le Mérite" ausgezeichnet. Das machte etwas her damals. Nahtlos dann der Übergang vom Helden- zum Dichterruhm. Ein grandioser Stilist, so wird neidlos anerkannt, auf der anderen Seite ein Kriegsverherrlicher, der einem heroischen Nihilismus huldigte. Aber stimmt das so? Es gibt Abschnitte in den Stahlgewittern, da ist Jünger alles andere als kriegsbegeistert. Im Mai 1917 schreibt er gar von "Scheißkrieg", der doch endlich einmal zu Ende gehen möge.

Feuer und Blut

Geschrieben hatte er schon vorher. Mit 16 veröffentlichte er erste Gedichte, schon als Gymnasiast wurde er bewundert, wohl auch wegen seiner dandyhaften Züge. 1923 begann er ein Studium der Zoologie (er blieb bis ins hohe Alter ein Insektensammler). Und natürlich war er belesen, der Krieg war auch eine Zeit der Lektüre: In den Gefechtspausen las er Nietzsche und Schopenhauer. Später beeindruckten ihn die Dadaisten, er las Thomas Mann und Oswald Spengler, Baudelaire und Rimbaud, er stand sogar in Kontakt mit dem Anarchisten Erich Mühsam. Gleichzeitig schrieb er geschichtsverklärende Erzählungen und nationalistische Essays mit einschlägigen Titeln wie Sturm oder Der Kampf als inneres Erlebnis. Eine Rede des jungen Hitler erlebte er als "Elementarereignis". Jünger schickte ihm 1926 sein Buch Feuer und Blut mit einer Widmung, Hitler bedankte sich: Er schätze Jünger als "einen der wenigen starken Gestalter des Fronterlebnisses".

Beide waren schließlich Freiwillige im Ersten Weltkrieg gewesen, Brüder im Geiste waren sie freilich nie. Aber dass Jünger in der Weimarer Republik so überzeugt für die nationale Erneuerung eintrat, das wurde er nie mehr los. Als er 1982 mit dem Goethepreis der Stadt Frankfurt ausgezeichnet wurde, formulierten linke Parteien offen ihre Ablehnung. Der SPD galt er als "geradezu präfaschistisch", für die Grünen war er "ein durch und durch unmoralischer Mensch", "ein Träger des Nationalsozialismus von Kopf bis Fuß".

Publikationsverbot

Heute würde man mit derart vorschnellen Urteilen wohl vorsichtiger sein, denn trotz aller Nähe zu Beginn war Jünger nie Nationalsozialist, er verachtete Antisemitismus, und nach 1933 ging er sogar auf deutliche Distanz zum Regime. Goebbels, der Jünger ins KZ bringen wollte, sorgte 1942 dafür, dass seine Bücher nicht mehr gedruckt wurden. Jüngers Sohn Ernst geriet wegen regimefeindlicher Äußerungen in die Fänge der Justiz und entging einer Verhaftung durch die Gestapo nur dadurch, dass er sich freiwillig zu einer SS-Einheit meldete; im November 1944 fiel er in Italien. Zu diesem Zeitpunkt war Jünger wegen seiner Kontakte zu Widerstandskreisen bereits aus der Wehrmacht entlassen worden. 1945 weigerte er sich, den Fragebogen zur Entnazifizierung auszufüllen, und wurde daraufhin mit Publikationsverbot belegt.

Als Nazi kann man Jünger garantiert nicht abstempeln. Umstritten blieb er dennoch, was das offizielle Deutschland nicht abhielt, ihn mit Ehrungen zu überhäufen. Zu seinem 100. Geburtstag 1995 machten ihm Bundeskanzler und Bundespräsident ihre Aufwartung im schwäbischen Wilflingen, wo Jünger seit 1951 in einem Forsthaus der Stauffenbergs lebte. Heute Gedächtnisort, zu Lebzeiten eine Pilgerstätte – auch der französische Staatspräsident Mitterrand hatte ihn dort zweimal besucht. Etliche Orden hatte Jünger sogar aus Frankreich erhalten. Ein Widerspruch? Als 2008 seine Kriegstagebücher in der "Bibliothèque de la Pléiade" erschienen und gleichsam in den französischen Literaturhimmel aufgenommen wurden, erboste sich Georges-Arthur Goldschmidt (er hatte als Kind jüdischer Eltern in Frankreich überlebt), dass damit die deutsche Besetzung rehabilitiert und das Schicksal der deutschen Emigranten im Nachhinein desavouiert würde.

Besatzungsoffizier in Paris

Natürlich ist der politische Zusammenhang merkwürdig genug. Von 1941 bis 1944 war Jünger Besatzungsoffizier in Paris, wovon eben das Tagebuchwerk Strahlungen zeugt. Als es erstmals 1949 erschien, umfasste es zunächst diesen Zeitraum (und fand mit 20.000 Exemplaren eine große Leserschaft), erst später fügte Jünger andere Aufzeichnungen hinzu, sodass nun darin die Zeit von April 1939 bis Dezember 1948 dokumentiert ist. Darüber hinaus hat Jünger die Tagebuchtexte immer wieder überarbeitet. Diese Entwicklung von der Urfassung bis zum späteren Elaborat macht erstmals die dreibändige, fast 2400 Seiten umfassende historisch-kritische Ausgabe bei Klett-Cotta sichtbar. Neben stilistischen Verfeinerungen und späteren Ergänzungen kann man nachverfolgen, was Jünger bei der Drucklegung getilgt und geglättet hat. So sieht man neben Ursprungs- und Endfassung auch einen unsichtbaren Text, indem die unterschiedlichen Varianten mit diakritischen Zeichen und verschiedenen Textfarben kenntlich gemacht werden.

Das ist in erster Linie für die Forschung interessant, zeigt aber auch, wie Jünger mit stilistischen Verfeinerungen ein Selbstbild konstruierte, das seine Rolle als Beobachter und Teil des Zeitgeschehens entsprechend zurechtrückt. Dazu gehört auch, dass wir in den Strahlungen mehr den Bonvivant als den deutschen Soldaten erleben. Ein Schöngeist, der in Pariser Antiquariaten stöbert, Bouillabaisse und Austern genießt, der eine Affäre mit einer "Halbjüdin" unterhält und Kontakte mit französischen Literaten pflegt.

Ernst Jünger, "Strahlungen. Historisch-kritische Ausgabe". Hg. von Joana van de Löcht und Helmuth Kiesel unter Mitarbeit von Friederike Mayer-Lindenberg. 3 Bände. € 204,60 / 2388 Seiten. Klett-Cotta, Stuttgart 2022
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Naturschilderungen

Neben eindringlichen Naturschilderungen und ebenso bewundernswerten Beschreibungen von Kunstwerken begegnet man aber immer wieder Schockierendem. In erster Linie bedeutet das Pariser Soldatenleben ja doch die Besatzungsrealität: Anschläge der Résistance, Geiselerschießungen, die Konfrontation zwischen SS und Wehrmacht, in die auch Jünger nach dem Attentat auf Hitler gerät. Einmal, 1941, muss er gar eine Exekution leiten, der Delinquent ist ein deutscher Deserteur. Jünger überlegt noch, ob er sich krankmelden solle, aber dann treibt ihn die "höhere Neugier" an den Erschießungsort. Kühl und sachlich beschreibt er die Hinrichtung, den kurzen Moment des Sterbens. Auch wenn er am Ende bemerkt, dass er auf der Rückfahrt einen "neuen, stärkeren Anfall von Depression" erlebt habe – die Frage der Verantwortung klammert er aus.

Den Namen Hitler wird man in den Strahlungen vergeblich suchen. Nicht nur aus Vorsichtsgründen gibt ihm Jünger einen verhüllenden Kunstnamen, nennt ihn "Kniébolo", worin das Diabolische und die Verachtung für ihn anklingen soll. Jünger wusste über vieles Bescheid, auch über die "Aufgabe", hinter der Front "Juden umzulegen". Als die 6. Armee in Stalingrad eingeschlossen wird, wird Jünger für einige Wochen in den Kaukasus geschickt. Dort erfährt er von Mordaktionen und von "Vergasungs-Anstalten". "Ausmordungen im größten Umfang", schreibt er am 31. Dezember 1942, und dass ihn "Ekel" vor Uniformen, Orden und Waffen ergreife. Doch gerade hier flüchtet er aus der Realität und überdeckt den Blick auf das Verbrechen mit einer geschichtsphilosophischen Perspektive, dem Bedauern, dass das "alte Rittertum" tot sei. Oder er schreibt von der "automatischen Gewohnheit des Tötens", als könnte man das alles mit einer abstrakten Begrifflichkeit fassen ("ein entsetzliches Skandalon").

Dass er nicht über die Abgründe schreiben kann, ohne zugleich das Erlebte zu überhöhen, daran krankt Jüngers Werk gehörig. Seinem brillanten Stil und seiner literarischen Kraft aber kann man sich nur schwerlich entziehen. So ist es auch Thomas Mann gegangen, der später bedauerte, dass Jünger "leider ein viel zu gutes Deutsch schrieb". (Gerhard Zeillinger, 19.2.2023)