Sinnvoller Vorstoß in verunglückter Form: So lässt sich zusammenfassen, was Martin Kocher losgetreten hat. Der Arbeitsminister liegt richtig, wenn er die unerwünschten Nebenwirkungen des Teilzeitbooms – Armutsgefährdung, Befeuerung des Fachkräftemangels, Schwächung des Pensionssystems – zum Thema macht. Doch sein Lösungsansatz taugt, weil einseitig ausgerichtet, nur wenig.

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Stress, Druck und Überlastung – viele arbeiten lieber in Teilzeit.
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Selbst wenn aus der quasi strafweisen Kürzung von Sozialleistungen nach einer Protestwelle die Suche nach nicht näher definierten Anreizen geworden ist: Der finanzielle Hebel greift nicht nur bei jenen ins Leere, die zwangsläufig zurückstecken, weil sie Kinder hüten müssen oder keine Vollzeitjobs finden. Auch für jene, die freiwillig Teilzeit wählen, wäre der Effekt wohl begrenzt. Diese Menschen nehmen bereits jetzt hohe Einbußen in Kauf. Schon wer über 15 Jahre auf 30 Wochenstunden reduziert, verliert bei einem Durchschnittsverdienst eine sechsstellige Summe an Lebenseinkommen.

Es muss triftige Gründe geben, wenn vielen die Teilzeit so viel wert ist. Zu finden sind sie etwa in einer aktuellen Umfrage der Jobbörse Stepstone. Demnach spielen mentale und körperliche Belastung eine zentrale Rolle. Auch der Wunsch nach mehr Freiraum für sich selbst wäre wohl weniger stark ausgeprägt, gestaltete sich die Vollzeitarbeit verträglicher.

Mehr Leistungsdruck

Zum Wundern ist das nicht. Von der Beschleunigung der Arbeitsprozesse bis zur permanenten Erreichbarkeit: Mehr Leistungsdruck ist für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Schattenseite der modernen Berufswelt. Die hohe Burnout-Rate lässt sich nicht bloß damit erklären, dass dem Phänomen heute mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Stress der Pandemie brachte noch einen Schub. Statt Menschen mit finanziellem Druck in Vollzeitjobs zu drängen, die sie auslaugen und frustrieren, sollten sich Politik und Unternehmen für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen – von betrieblichen Gesundheitsprogrammen bis zu flexibler Organisation, die gerade Eltern entgegenkommt.

Um Zwangslagen zu vermeiden, bleibt überdies der weitere Ausbau der Kinderbetreuung unverzichtbar – und zwar nicht nur in der Masse, sondern auch in der Qualität, damit Eltern ihre Kinder guten Gewissens abgeben können. Zur Begleitung braucht es eine Bewusstseinskampagne, die das Bild der berufstätigen Rabenmutter endlich aus den Köpfen drängt. Und ja, als ein Element ergibt es auch Sinn, das Steuer- und Abgabensystem auf widersinnige Anreize zu durchforsten.

Um den Fachkräftemangel zu beheben, wird es aber nicht reichen, die aktiven Kräfte zu mehr Arbeitsstunden zu motivieren. Dringend nötig ist die Förderung jener, die abseitsstehen – ältere Menschen etwa, unter denen es immer noch den höchsten Arbeitslosenanteil gibt, oder Migrantengruppen, die eine niedrige Erwerbsquote aufweisen. Nur so lassen sich beide Bedürfnisse befriedigen: der Bedarf der Unternehmen an Personal – und der Wunsch von immer mehr Werktätigen, ihr Leben ein Stück weniger dem Arbeitstrott unterzuordnen. (Gerald John, 17.2.2023)