Am Eröffnungsabend der 73. Berlinale hielt die Exil-Iranerin, Schauspielerin und Jurorin Golshifteh Farahani die bewegendste Rede.

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Das Team des Eröffnungsfilms "She Came to Me".

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Das Eröffnungszeremoniell der 73. Berlinale verlangte den Dresscode "Cocktail", der recht unterschiedlich ausgelegt wurde. Von Alltagskleidung in Schwarz bis zur schillernden Robe war alles dabei. Und wenn einem zufällig im Kino einer der anwesenden US-Stars Kristen Stewart, Sean Penn, Anne Hathaway, Peter Dinklage oder Marisa Tomei über den Weg lief, ließ sich zweierlei feststellen: Filmstars sind im echten Leben immer etwas zarter als auf der Leinwand. Und: Nicht einmal das punkig-prinzessige Chanel-Dress von Stewart war perfekt – aus der vierten Reihe sah man im Scheinwerferlicht einen langen Faden aus dem Tüllrock glitzern.

Polit-Prominenz im Kino

Die Berlinale-Eröffnung drehte sich keinesfalls nur um die Stars, vor allem ging es darum, die Relevanz des Festivals herauszustellen: mit Kino und vor allem mit Politik. Zu Gast waren einige Mitglieder der deutschen Bundesregierung, darunter Robert Habeck (Grüne) und Nancy Faeser (SPD). Solidarität wurde mit der Ukraine, der Revolution im Iran sowie mit den Erdbebenopfern in der Türkei und Syrien bekundet. Substanz bekam das Pflichtprogramm allerdings erst, als ein sichtlich bewegter Sean Penn, dessen Ukraine-Dokumentation Superpower außer Konkurrenz gezeigt wird, Wolodymyr Selenskyj via Videobotschaft in den Berlinale-Palast zuschaltete.

Selenskyj trat per Videobotschaft auf, Sean Penn (mittig) applaudierte.
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Selenskyj betonte die grenzüberschreitende Kraft des Kinos, wie sie Wim Wenders 1987 mit Der Himmel über Berlin gezeigt habe. Russland wolle eine neue Mauer errichten, zwischen "uns und euch, zwischen Zivilisation und Tyrannei". Die Berlinale sei ein Fenster zur freien Welt, die Ukraine deren Festung. Dafür gab es die erste Standing Ovation.

Auch die Kulturministerin Claudia Roth und die Berliner Bürgermeisterin Franziska Giffey traten mit emphatischen Reden auf. Giffey schloss ihre mit der Parole des iranischen Widerstands: "Jin, Jîyan, Azadî" ("Frau, Leben, Freiheit"). Die Berlinale müsse ein "Schallverstärker" für die Kämpfe um Gerechtigkeit und Freiheit in der Welt sein.

Jury mit Haltung: Gefängnisse im Iran gleichen einer Universität

Etwas holprig nahmen sich dagegen die Auftritte der Festivalleitung, Mariëtte Rissenbeek und Carlo Chatrian, aus. Während sie brav die Sponsoren herunterbetete, führte er kurz in den Wettbewerb ein: neue Genres, neue Namen, Filme aus aller Welt. Aber großes Kino? Darüber wird die siebenköpfige Jury unter dem Vorsitz Kristen Stewarts urteilen.

Kristen Stewart ist mit 32 Jahren die jüngste Juryvorsitzende in der Geschichte der Berlinale.
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Auf die Frage, ob ein guter Film immer auch ein politischer sei, betonte Stewart, dass sich Politik nicht nur durch ein Thema, sondern durch die Kontexte, in welchen man sich bewege, zutage trete. Am eindringlichsten war jedoch das Plädoyer der Jurorin und in Frankreich exilierten Schauspielerin Golshifteh Farahani gegen das iranische Regime: "Das Regime lügt, tötet, wirft Unschuldige ins Gefängnis." Die Gefängnisse im Iran seien derzeit Universitäten, weil ein Krieg gegen Kunst und Kultur geführt werde. Besonders wichtig sei es nun, so Farahani, den iranischen Widerstand als Revolution anzuerkennen.

"She Came to Me": Leichtfüßiger Eröffnungsfilm

Der Eröffnungsfilm She Came to Me von Rebecca Miller tat dann das, was er tun sollte. Er brachte die Stars nach Berlin und unterhielt leichtfüßig. Peter Dinklage spielt darin einen uninspirierten Opernkomponisten, der in einer Schlepperkapitänin seine Muse findet. Seine Ehefrau, eine hinreißende Anne Hathaway, kehrt zum Glauben zurück, und ihr Sohn muss heiraten, um einem unfairen, rassistischen Prozess zu entgehen.

Peter Dinklage als mit sich hadernder Komponist in "She Came to Me".
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Klingt verästelt, war es auch. Aber einfallsreich und mit tollem Ensemble, das am Ende des Abends auf der Bühne bejubelt wurde. Applaus gab es auch, als das Logo des Studios auftauchte: "Killer Films" produziert seit 1995 erfolgreich Independentfilme mit feministischen Schwerpunkten. (Valerie Dirk, 17.2.2023)