Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst zählten zum Kern der Weißen Rose.
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München, im Februar 2023. Es ist kalt, die Sonne will nicht recht durch den Nebel dringen. Dennoch sind die Schülerinnen und Schüler eines städtischen Gymnasiums zwei Stunden gut dabei.

Nur ganz selten haben sie in ihre Smartphones geschaut, sich stattdessen vor der Feldherrnhalle und in der Universität einiges über Hitler und Widerstand angehört, zudem auch selbst erzählt, was sie wissen.

Aber nun, nach 120 Minuten, reicht es. Man merkt, dass die jungen Leute eine Pause brauchen. Doch zwischen Snacks und Whatsapp steht noch Eva Hoegner von der Stiftung Weiße Rose.

Station Flugblätter

"Eine Station haben wir noch. Kommt, wir gehen die Treppe hoch", sagt sie in der Universität. Also bewegt sich die Gruppe ganz nach oben und bleibt an der Empore stehen. Man blickt in den Lichthof hinunter, den einige Studierende queren.

"Hier war es", erklärt Hoegner und deutet auf die Balustrade. Von diesem Punkt segelten am 18. Februar 1943 unzählige Flugblätter hinab. Unklar ist, ob Sophie Scholl, die mit ihrem Bruder unterwegs war, sie absichtlich oder versehentlich fallen ließ.

Dann deutet Hoegner auf den Gang gegenüber und sagt: "Und von dort hat sie der Hausmeister beobachtet und sofort festgehalten." Plötzlich sind die Jugendlichen still. Vielen steht die Betroffenheit ins Gesicht geschrieben. "Krass", sagt einer, "und dafür haben sie dann so jung sterben müssen."

Tod durch die Guillotine

Dann zögert er und fragt: "Warum sind sie nicht davongelaufen? Oder haben sich gewehrt? Hans Scholl war ein kräftiger, großer Mann." Hoegners Antwort: "Hans und Sophie Scholl waren überzeugt, das Richtige zu tun."

80 Jahre ist das nun her. Nicht nur an den vielen Schulen, die den Namen der Geschwister Scholl tragen, wird dieser Tage der jungen Studierenden aus München gedacht, die ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus mit dem Leben bezahlten.

Am 22. Februar wurden Sophie und Hans Scholl sowie ihr Studienfreund Christoph Probst wegen "landesverräterischer Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung" zum Tode verurteilt. Am selben Tag, nachmittags, starben sie im Gefängnis München-Stadelheim unter der Guillotine.

"Es lebe die Freiheit!"

"So ein herrlicher sonniger Tag, und ich muss gehen. Aber wie viele müssen heutzutage auf den Schlachtfeldern sterben, wie viele junge, hoffnungsvolle Männer ... Was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln Tausende von Menschen aufgerüttelt und geweckt werden", sagte Sophie Scholl kurz vor der Hinrichtung zu ihrer Zellennachbarin Else Gebel, einer Kommunistin.

Ihr Bruder Hans rief, bevor er starb, noch laut: "Es lebe die Freiheit!" Doch es sollte noch einige Zeit vergehen, bis die Deutschen endlich wieder in Freiheit leben konnten.

Sophie und Hans Scholl gehören zu den berühmtesten Deutschen. In München erinnert auch ein Graffiti an sie.
Foto: Imago / Manfred Bail

Ein neues geistiges Europa

Ein "neues geistiges Europa", diese Vision hatte die Weiße Rose, Hitler sollte weg, der Krieg beendet werden.

Eigentlich hätte die 21-jährige Sophie, Studentin der Biologie und Philosophie, nicht an der Gruppe beteiligt sein sollen. Ihr drei Jahre älterer Bruder Hans, ein Medizinstudent, hatte sie heraushalten wollen.

Beide stammten aus einem religiös wie politisch liberalen, protestantischen Elternhaus. Zunächst war Sophie, Geburtsjahrgang 1921, auch beim BDM (Bund Deutscher Mädel), Hans, Jahrgang 1918, schloss sich der Hitlerjugend an. Doch beide begannen bald den Nationalsozialismus und die geforderte Unterwerfung zu hinterfragen.

Mitschuldig

Bei Hans trug dazu auch ein Einsatz in Frankreich bei, er war dort als Sanitäter tätig. Einen Gleichgesinnten fand er in seinem Studienkollegen Alexander Schmorell, die beiden gelten als die Gründer der Weißen Rose.

Später schlossen sich um den Kreis der Geschwister Scholl, Schmorell, Christoph Probst und Willi Graf noch andere Studierende und der Universitätsprofessor Kurt Huber an.

"Sie hat gesagt: Ich muss etwas machen, sonst bin ich mitschuldig." So erinnert sich Sophie Scholls Freundin Susanne Hirzel an die Beweggründe der jungen Frau.

Guter Klang mit Programm

Die ersten vier Flugblätter verfassten Hans Scholl und Schmorell von Mai bis Juli 1942. "Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ,regieren‘ zu lassen", heißt es im ersten.

Dieses endet mit dem Ersuchen: "Wir bitten Sie, dieses Blatt mit möglichst vielen Durchschlägen abzuschreiben und weiter zu verteilen!"

Später, in den Verhören der Gestapo, wird Hans Scholl gefragt, warum man die "Weiße Rose" als Name gewählt habe. Er sollte "einen guten Klang haben, hinter dem aber ein Programm steht", antwortet er.

Das böse Gewissen der Deutschen

Im dritten Flugblatt ruft die Gruppierung zur Sabotage auf und erklärt, Widerstand gegen einen verbrecherischen Gewaltstaat sei "sittliche Pflicht". Und im vierten wird gewarnt: "Jedes Wort, das aus Hitlers Munde kommt, ist Lüge: Wenn er Frieden sagt, meint er den Krieg." Sie erklären auch: "Wir schweigen nicht, wir sind Euer böses Gewissen, die Weiße Rose läßt Euch keine Ruhe!"

Die ersten vier Flugblätter haben eine Zahl von je rund 100 Stück. In der "Denkstätte" der Weißen Rose an der Uni sieht die Generation Smartphone 80 Jahre später ungläubig einen Film darüber, wie mühsam es damals war, ein solches Flugblatt zu vervielfältigen. "Alter, das dauert ja ewig", stöhnt einer beim Anblick von Farbe und Walze.

Er und seine Mitschüler erfahren, dass das fünfte und sechste Flugblatt schon tausendfach verteilt wird, dass die Schriften bis Hamburg und Wien gelangen.

Verhaftet und verhört

"Aufruf an alle Deutsche" steht darüber, die Widerständler wollen den Eindruck erwecken, als gäbe es eine breite Opposition gegen Hitler. "Der Stein kommt ins Rollen", notiert Willi Graf am 13. Jänner in sein Tagebuch.

Doch es geschieht anders. Der Widerstand bleibt dem NS-Regime nicht verborgen, die Gestapo in München richtet im Februar 1943 eine Sonderkommission ein, um die Verfasser der Flugblätter zu finden. Nach der Verhaftung wird Sophie Scholl von Gestapo-Mann Robert Mohr angeboten, die Schuld auf ihren Bruder zu schieben.

Das schrieb Mohr nach dem Krieg an ihren Vater. Doch sie weigert sich – im Wissen, dass sie nun sterben wird. Sie versucht sogar noch, alle Schuld auf sich zu nehmen, um ihren Bruder und Christoph Probst, der drei Kinder hat, zu schützen.

Sensibilisierung für Unrecht

Viele in der Münchner Schülergruppe schauen betreten zu Boden, als Jahrzehnte später davon erzählt wird. "Da habe ich schon sehr, sehr großen Respekt", sagt ein Mädchen und meint: "Mir sind meine Überzeugungen auch wichtig. Aber ich würde mich dafür nicht töten lassen."

Solche Sätze hört Hoegner bei Führungen für Schülerinnen und Schüler öfter. Auch sie selbst sagt: "Wir vermitteln nicht, dass man für seine Überzeugung sterben muss. Aber wir wollen die jungen Menschen sensibilisieren, hinzusehen, wenn Unrecht geschieht und sich auch, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, einzumischen und etwas dagegen zu tun. Es braucht auch heute den Mut zur Aktion." (Birgit Baumann aus München, 21.2.2023)