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Es hat eine ausgeklügelte Legende und mehrere Kontaktaufnahmen und Videokonferenzen gebraucht, aber im Juli 2022 ist es endlich so weit: Das Team Jorge ist bereit, seinem potenziellen Kunden eine Machtdarbietung zu liefern. Mit wenigen Klicks schafft es Jorge augenscheinlich, in die E-Mail-Konten und Telegram-Accounts hochrangiger Persönlichkeiten der kenianischen Politik einzudringen. Man sieht nicht nur deren Chats und Kontakte – Jorge ist auch in der Lage, selbst eine Nachricht aus den Accounts heraus zu verfassen. Eine Nachricht, die wir später auf dem Empfänger-Account verifizieren können. Was Team Jorge behauptet, stimmt also, zumindest in diesem Fall.

Was Jorge nicht weiß: Ihm gegenüber sitzen weder ein Mittelsmann noch zwei Vertreter eines Geschäftsmanns, der die Dienste des israelischen Geheimunternehmens in Anspruch nehmen will – sondern drei Journalisten, die verdeckt recherchieren: Gur Meggidor und Omer Benjakob aus Israel sowie Frédéric Métézeau von Radio France. Ihre Enthüllungen sind Teil des Projekts "Storykillers", des bislang tiefsten Einblicks in die Welt der globalen Desinformationsindustrie. Mehr als hundert Journalisten von dreißig Medien kollaborieren unter der Koordination von Forbidden Stories, in Österreich erscheinen die Recherchen exklusiv im STANDARD.

Globaler Informationskrieg

Sie offenbaren einen Krieg gegen die Wahrheit, dessen Schlachten weltweit und permanent stattfinden. In den Kampf stürzen sich Cyberkrieger und Trollarmeen. Ihr direktes Ziel: investigative Journalistinnen und Journalisten, Oppositionspolitiker und Nichtregierungsorganisationen. Ihr größeres Ziel: die Manipulation der öffentlichen Meinung im Sinne ihrer Auftraggeber.

Es geht um schnelle, schmutzige Kampagnen gegen Journalisten bis hin zu verdeckten nachrichtendienstlichen Operationen, die Wahlergebnisse beeinflussen sollen. Die Recherchen werfen nicht nur die Frage auf, wie sich demokratische Gesellschaften gegen das schleichende Gift der Fake News und Spalter wehren können – sondern vielmehr ob sie dazu überhaupt noch in der Lage sind.

Denn die Methoden der Informationskrieger sind raffiniert und ausgeklügelt, und sie agieren im Dunkeln. Das zeigen zum Beispiel die erwähnten Recherchen zum Team Jorge. Vor den Enthüllungen von "Storykillers" war die Firma fast ein unbeschriebenes Blatt; um sie rankten sich lediglich Legenden. Nur Eingeweihte wussten, wie man das israelische Unternehmen erreicht. Die Schweizer Bundesanwaltschaft hatte den Firmenchef zwar einmal im Visier, damals ging es aber um die Beschaffung von Bankdaten – und am Ende wurden die Ermittlungen eingestellt.

Wer es allerdings in den Firmensitz in einem Industriegebiet der zentralisraelischen Stadt Modi’in geschafft hat, bekommt ein Luxusmenü der Desinformationskampagnen präsentiert. Team Jorge bietet umfassende Pakete zur Manipulation der öffentlichen Meinung, etwa bei Wahlkämpfen. Mit nur wenigen Klicks kann Team Jorge Bots erstellen, also ferngesteuerte Social-Media-Profile, die sich kaum von den Accounts echter Menschen unterscheiden.

Was den drei Undercoverreportern zusätzlich angeboten wird: Angriffe auf die Logistik von politischen Parteien ("Vielleicht crasht ihr Computersystem") oder das Schüren von Unruhe ("Für das Ziel deines Kunden wäre es das Beste, wenn man jetzt erst einmal noch mehr Aufruhr, mehr Angst, mehr Probleme in den Straßen schaffen könnte"). Gegenüber den Recherchepartnern sagt der Mann, der hinter Jorge stecken soll, später auf offizielle Anfrage, er habe nichts Widerrechtliches getan.

Informationshooligans

Drei einfache Regeln habe Team Jorge, erklärte er ein gutes halbes Jahr zuvor gegenüber den verdeckt recherchierenden Journalisten: keine Aktionen in den USA, keine Operationen in Israel und "nichts gegen Putin".

Der russische Präsident ist freilich selbst Herrscher über eine Armee an Trollen. Im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 konnte die Welt erstmals beobachten, wie gefährlich die Kombination aus Cyberangriffen, Desinformation und Trollarmeen ist. Die Internet Research Agency (IRA) aus Sankt Petersburg trommelte einerseits gegen die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton, versuchte andererseits aber auch, die US-Gesellschaft weiter zu spalten. Hinter der Trollfabrik steckt Jewgeni Prigoschin – ein Oligarch, der mit Cateringaufträgen der russischen Regierung zum Milliardär wurde. Nach Recherchen von "Storykillers" räumte Prigoschin gegenüber Journalisten – in seiner Diktion "Informationshooligans" – erstmals ein, Chef der Trollfabriken zu sein. Im Ukraine-Krieg wird der Oligarch zu einer immer wichtigeren Figur, da er auch hinter der berüchtigten Söldnergruppe Wagner steckt, die an der Seite der russischen Armee kämpft.

Cyberfront Z

Auch rund um den Ukraine-Krieg sind Prigoschins Trolle wieder im Einsatz, sie sollen sich in Cyberfront Z umbenannt haben – Z nach dem Symbol der russischen Streitkräfte, die in die Ukraine einmarschiert sind. Über Websites wie jene der staatlichen RT News (früher Russia Today) oder von News Front Info werden ihre Erzählungen im deutschsprachigen Raum verbreitet und dann durch Influencer multipliziert. Da geht es um angebliche Labore für Biowaffen, die von den USA und der Nato in der Ukraine betrieben werden, bis hin zu erfunden Gräueltaten der ukrainischen Armee.

Derartige Kampagnen finden nicht nur im politischen Westen statt. Auch die politische Sphäre in Indien, dem wohl bald bevölkerungsreichsten Land der Welt, wird seit Jahren mit Desinformationen geflutet. Das hat auch tödliche Folgen: Das zeigte der Mord an der Journalistin Gauri Lankesh im Jahr 2017. Sie hatte sich jahrelang kritisch mit dem Aufstieg der Hindu-Nationalisten beschäftigt und war so in deren Visier geraten. Online wurde Lankesh zum Ziel von Hasskampagnen und wurde mit einem manipulativ zusammengeschnittenen Video desavouiert. Das soll ihr mutmaßlicher Mörder auswendig gekonnt haben, zeigen Recherchen von Forbidden Stories. Kaum hatte das Journalistennetzwerk über ihren Fall berichtet, begannen Extremisten, eine an der Recherche beteiligte indische Journalistin im Netz zu attackieren.

Ein weiteres zentrales Schlachtfeld im Informationskrieg ist Afrika, wo sich die großen geopolitischen Mächte wie Russland, China, die USA und Teile Europas wie Frankreich um Einfluss matchen. Das israelische Unternehmen Percepto soll gegenüber Undercoverjournalisten damit geprahlt haben, in Burkina Faso eine Kampagne gegen das Rote Kreuz durchgeführt zu haben. Die NGO soll den Zorn der Regierung des afrikanischen Landes auf sich gezogen haben, weil sie Verhaftungen und die Behandlung von Häftlingen scharf kritisiert hatte. In seiner Präsentation erklärte Percepto, man habe einen Artikel in einer französischen Zeitung platzieren können, der daraufhin über Trolle online viral gemacht wurde und von Medien in Burkina Faso aufgegriffen wurde. Das sorgte für starken Druck auf das Rote Kreuz. Auf Anfrage wollte Percepto die Vorgänge nicht bestätigen, betonte aber, sich immer an alle Gesetze zu halten.

Unternehmen, die mit zweifelhaften Methoden gutes Geld verdienen, sitzen auch in Europa – obwohl sich die EU den Kampf gegen Fake News und Desinformation auf die Fahnen geschrieben hat. Das spanische Eliminalia ist ein "Reputationsmanager": Das Unternehmen sorgt dafür, dass kritische Beiträge über seine Kunden "verschwinden".

Bleibt die Demokratie standhaft?

Desinformation spielt in allen Aufgabenbereichen der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) eine Rolle, sagt deren Direktor Omar Haijawi-Pirchner zum STANDARD. Man erlebe solche Kampagnen beispielsweise rund um die hybride Kriegsführung in der Ukraine, vor allem vonseiten Russlands. Aber auch im Bereich des Jihadismus sei Derartiges zu beobachten. Allerdings sei Österreich nicht Zielland Nummer eins für Desinformationskampagnen und nur mittelbar betroffen. Wichtig sei die Prävention, also dass die Öffentlichkeit und ihre Körperschaften über mögliche Angriffswege informiert werden. Die Aufklärung finde dann im Nachhinein statt, erklärt Haijawi-Pirchner.

Was kann die Zivilgesellschaft tun? Der Universitätsprofessor Fritz Hausjell, Präsident von Reporter ohne Grenzen Österreich, fordert mehr Transparenz und einen stärkeren Schutz von Journalistinnen und Journalisten. "Die etablierte Politik darf sich an Kampagnen gegen einzelne Journalisten schlicht nicht beteiligen", fordert Hausjell im Gespräch mit dem STANDARD.

Aus dem Büro von Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) wird auf umfassende Initiativen und einen konkreten Aktionsplan zur Bekämpfung von Desinformation auf EU-Ebene verwiesen. Es handle sich um ein "Frühwarnsystem". Wie solche Kampagnen funktionieren, erlebte Edtstadler schon selbst.

Im Zuge der Diskussion zur Impfpflicht seien Aussagen von ihr "ganz bewusst verdreht, falsch zitiert" und online verbreitet worden. Etwa dass es "ab sofort illegal sei, in Österreich zu leben, wenn man nicht geimpft sei". Diese falsche Aussage sei dann sogar im Bundesrat thematisiert worden, auch wenn Edtstadler das "niemals so gesagt oder angedeutet" hatte.

Die einzelnen Recherchestränge im Überblick

Die mehr als 100 hundert Journalisten aus über 30 Medien sind im Rahmen des Projekt Storykillers vielen verschiedenen Fährten nachgegangen. Ein Überblick über die wichtigsten Enthüllungen abseits des "Team Jorge".

Percepto: Attacken auf NGOs

Dürre in Burkina Faso
Foto: APA/AFP/Nipah/Dennis

Nicht nur beim Team Jorge gaben sich drei Journalisten als Vertreter eines potenziellen Kunden aus – auch bei einer weiteren israelischen Firma wurden sie vorstellig. Die firmiert unter dem Namen Percepto und wirbt damit, dass man die "Kraft von Fake News nicht unterschätzen" solle. Gezeigt wurde den Journalisten eine "Fallstudie", die Perceptos Fähigkeiten hervorstreichen soll. So soll auf Geheiß der Regierung in Burkina Faso eine Negativkampagne gegen das Rote Kreuz durchgeführt worden sein, nachdem die NGO eine Verhaftungswelle und den Umgang mit Häftlingen kritisiert hatte. In einer rechtsgerichteten französischen Tageszeitung sei ein Artikel platziert worden, der mögliche Verbindungen zwischen dem Roten Kreuz und Terrorismus thematisierte. Daraufhin hätten Bots den Artikel auf Social Media gepusht, sodass schlussendlich Medien in Burkina Faso selbst reagierten. Das führte wiederum zu internationaler Aufmerksamkeit und Druck auf das Rote Kreuz.

Percepto wollte die Operation auf Anfrage nicht bestätigen, man halte sich jedenfalls an alle Gesetze.

FBI gegen Influencer: Kampagne für Saudis

Oueiss und Hassnachrichten gegen sie
Foto: Forbidden Stories

Warum beginnt eine Anhängerin von Ex-US-Präsident Donald Trump, fast täglich online die Al-Jazeera-Moderatorin Ghada Oueiss zu attackieren? Die Antwort darauf ist relativ einfach: Weil sie von einem saudischen Prinzen dafür bezahlt worden sein soll. Als Mittelsmann habe ein Libanese gedient, der selbst eng mit den Saudis verbunden sei. Das sagte die Influencerin zumindest gegenüber deutschen Anwälten aus, wie Recherchen der Zeit im Rahmen des Projekts "Storykillers" zeigen. Getroffen habe sie den saudischen Prinzen 2019 in Dubai auf einer Party, bei der auch Stripperinnen, Vertreter der Hackingfirma Dark Matters und ein Mitarbeiter von Saud al-Qahtani dabei gewesen seien. Dem wird vorgeworfen, saudische Desinformationskampagnen im Netz durchgeführt und am Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi beteiligt gewesen zu sein.

Das führt zurück zu Oueiss: Die Moderatorin nennt Khashoggi ihren Mentor, sie thematisierte dessen Ermordung im saudischen Konsulat in Istanbul in ihrer Sendung. Gegen die Influencerin, die Oueiss attackierte, ermittelt nun das FBI.

Der Großmeister der Trolle

Jewgeni Prigoschin trägt den Spitznamen "Putins Koch"
Foto: AP/Zemlianichenko

Die Internet Research Agency (IRA) in St. Petersburg war die erste Trollfabrik, die weltweit für Aufsehen gesorgt hat. Hinter ihr steckte Oligarch Jewgeni Prigoschin, der wegen seines Cateringunternehmens als "Putins Koch" bezeichnet wird. Konfrontiert mit "Storykillers"-Recherchen räumte Prigoschin nun "mit Freude ein", die IRA erfunden, finanziert und betrieben zu haben. Als Nachfolgerin fungiert die Cyberfront Z, die sich mit der Ukraine beschäftigt.

Ein Mord in Indien: Der Fall Gauri Lankesh

Der Mord an Gauri Lankesh erschütterte 2017 Indien
Foto: Imago/Hindustan Times

Neue Spuren entdeckten die "Storykillers"-Recherchen rund um den Mord an der indischen Journalistin Gauri Lankesh. Sie war 2017 erschossen worden, nachdem sie kritisch über nationalistische Desinformationskampagnen berichtet hatte. Stimmung gegen Lankesh wurde mit einem manipulativ geschnittenen Video gemacht, ihr mutmaßlicher Mörder kannte es fast zur Gänze auswendig. Das Projekt "Storykillers" führt Lankeshs Arbeit weiter.

Eliminalia: Totengräber der Wahrheit

Der Fall des spanischen Unternehmens Eliminalia zeigt, wie Wahrheit im Internet systematisch begraben wird. Auf Reputationsmanagement spezialisiert, bot Eliminalia seit 2013 Dienstleistungen zur Löschung von Inhalten für Privatkunden an. Die Firma selbst behauptet, "unerwünschte oder fehlerhafte Inhalte" zu entfernen.

Fast 50.000 interne Unternehmensdokumente, die der Investigativredaktion Forbidden Stories zugespielt wurden, widersprechen dieser Darstellung. Die Akten zeigen, wie Eliminalia für Betrüger, Spionagefirmen, verurteilte Kriminelle, korrupte Politiker und andere Mitglieder der globalen Unterwelt arbeitete. Dabei manipulierte das Unternehmen Onlinediensteanbieter, setzte das Urheberrecht als Waffe ein, um unliebsame Inhalte zu entfernen, und bedrohte Journalisten – alles mit einem Ziel: die Wahrheit zu verbergen. Die Dokumente enthüllen eine perfide Strategie, mit der die Arbeit hunderter Journalistinnen, Journalisten und Blogger jahrelang gelöscht oder manipuliert wurde. (Frederik Obermaier, Bastian Obermayer, Fabian Schmid, 18.2.2023)