Frieden und Sicherheit. Danach sehnen sich die Menschen in Europa wohl am meisten. Krieg und Krise sollen aufhören. Die gute Frage ist: wie?

Die Hoffnung auf Frieden ist groß, aber der scheint in weiter Ferne. Das Bild zeigt eine zerschossene Hausmauer, mit einer Friedenstaube des Künstlers Tvboy.
Foto: Reuters/Valentyn Ogirenko

Das gilt in erster Linie für die Ukraine selbst. Ein Jahr nach dem Start der Invasion russischer Truppen fällt die Bilanz traurig aus. Die Zahl der Opfer ist hoch. Es sollen 200.000 verwundete und tote Soldaten sein, auf beiden Seiten. Dazu zehntausende Zivilisten, verwundet oder tot. 14,5 Millionen Menschen sind geflüchtet, acht Millionen ins Ausland. Ein Drittel der Bevölkerung.

Neun von zehn Ukrainerinnen und Ukrainern wollen weiterkämpfen, um ihr Leben, um die Existenz ihres Staates. Nur wenn der erhalten wird, könne es Frieden geben. Das will der russische Präsident Wladimir Putin nicht. Er will diesen souveränen Staat kippen, wie er ungeniert erklärt. Er könnte diesen Krieg sofort beenden, macht aber keinerlei Anstalten, dass er auf Vermittlungsversuche eingehen will.

Russland ist und bleibt der Aggressor, nicht die Regierung in Kiew. Das ist wichtig. Denn auch im friedlichen Teil von Europa, wo die Menschen "nur" die Energie- und Wirtschaftskrise spüren, ist die Hoffnung auf Frieden groß. Allerdings verstehen viele darunter oft etwas ganz anderes als die Nachbarn in der Ukraine.

Die Debatte, die Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer mit ihrem Manifest entfachten, ist dafür exemplarisch. Sie fordern den Stopp der Waffenlieferungen, drängen auf Verhandlungen, ohne Putin zu adressieren. Hunderttausende haben unterschrieben, auch wenn der Text eigenartige Opfer-Täter-Umkehr vornimmt: Selenskyj wird unterstellt, er wolle Waffen, "um Russland auf ganzer Linie zu besiegen". Das ist absurd, gewinnt aber in Österreich und Deutschland an Boden.

Putins Zivilisationsbruch

Das spielt geschickt mit Sehnsucht, die uns im Friedensprojekt EU seit Jahrzehnten tief geprägt hat: dass ein Eroberungskrieg in Europa undenkbar sei, militärische Verteidigung nachrangig.

Putins Zivilisationsbruch hat das als Illusion entlarvt. Der Autokrat im Kreml hat auch die Hoffnung, die die Weltpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 lange getragen hat, definitiv zerstört. Manche glaubten, Demokratie als Staatsform werde sich weltweit verbreiten – so wie der globale Handel zum Wohle der Menschheit. Freiheit und EU-Beitritt von zehn ehemals kommunistischen Staaten waren ein Paradebeispiel dafür. Nun ist der Kalte Krieg in anderer Form zurück: der einer neuen Weltunordnung.

Die Spannungen zwischen den Großmächten USA, China, Russland nehmen zu, Inflation, Probleme der Nahrungsversorgung sorgen für eine globale Zerreißprobe. Internationale Organisationen wie Uno und OSZE können nur ohnmächtig zuschauen, als Warner, nicht Player.

So groß der Kriegsschock in den EU-Mitgliedstaaten auch war, die Europäische Union hat als Ganzes bisher erstaunliche Einigkeit gezeigt: bei Sanktionen gegen Russland, Waffenlieferungen und Wirtschaftshilfen für die Ukraine. Das Zusammenrücken mit den transatlantischen Nato-Partnern unter Führung der USA funktioniert. In der Einigkeit liegt eine gewisse Chance, dass es doch noch gelingt, den Fall der Ukraine zu verhindern.

Es wäre nötig, Putin mit verschärfter Doppelstrategie zu begegnen: EU und Nato müssen die Waffenlieferungen verstärken, ihm drohen, gleichzeitig die Bereitschaft signalisieren, für Verhandlungen bereit sein zu ein, wenn Moskau bereit ist, die Waffen schweigen zu lassen. (Thomas Mayer, 18.2.2023)