Christian Thielemann: Goldener Glanz im Goldenen Saal des Musikvereins.

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"Ich wusste schon, dass Schönberg schön sein kann. Aber so schön – das wusste ich nicht." Gesprächsfetzen in der Konzertpause sind häufig voll der Wahrheit. Anderswo war man verblüfft, dass Christian Thielemann einen Komponisten des 20. Jahrhunderts aufs Programm gesetzt hatte, wobei Arnold Schönberg – um genau zu sein – sein Streichsextett Verklärte Nacht im Jahr 1899 (!) schrieb.

Im Abstand von jeweils 20 Jahren kam er zwei Mal darauf zurück und schuf eine Orchesterfassung der spät-spät-spätromantischen Partitur, für die unter anderem die Sinfonischen Dichtungen von Richard Strauss ein konzeptueller Ausgangspunkt gewesen waren. Wobei sich die Fantasie des Letzteren eher an der Schilderung äußerer Vorgänge entzündete und Ersterer vor allem in das Innere der Seele blickte.

Noble Homogenität

Christian Thielemann, so schien es in diesem Abonnementkonzert der Wiener Philharmoniker im Musikverein, ging es weniger um die Unterschiede als um das Gemeinsame: um einen homogenen, prächtigen Gesamtklang, große, ausdrucksstarke Bögen. Wie ein einziges großes Kammermusikinstrument erstrahlte das Orchester bei Schönberg nobel und klangschön. Hie und da hätten die polyphonen Linien vielleicht transparenter sein können. Aber auch das ist eine Grundsatzentscheidung.

Keine Beschönigung

Nach diesem schönen Schönberg und nach der Pause schien bei Strauss’ Alpensinfonie dieser Glanz wie in einem Kaleidoskop zu einem Reigen herrlicher Episoden vervielfacht. War Schönberg als traditionsverbundener Ausdrucksmusiker erschienen, so kam bei Strauss – gerade bei diesem oft als konservativ verschrienen Stück – auch die Seite des Erneuerers zum Vorschein: Denn der b-Moll-Cluster der "Nacht" wurde gerade nicht zurechtgebogen und tonal beschönigt, sondern die akkordfremden Töne mit gleichem Recht gespielt wie die anderen. Großer Jubel für hochkonzentriertes, intensives Musizieren und für ein Maximum an Klangschönheit. (daen, 19.2.2023)