Ein Sammelsurium von Elchknochen weckte das Interesse der Wissenschaft. Sie wurden zahlreich in Höhlen am Dachstein gefunden. Wurden die Tiere gejagt, oder waren sie einfach nur unglaublich tollpatschig?
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Wo sich heute Bergsport-Begeisterte tummeln, ging es schon vor 2.500 Jahren hoch her. Am Dachsteinplateau betrieben die Menschen in der Bronzezeit einerseits Almwirtschaft, andererseits stellten sie dort auch Elchen nach. Zu dieser Erkenntnis gelangten Wissenschafterinnen und Wissenschafter aufgrund der Untersuchung von Elchknochen.

Diese wurden bereits vor einiger Zeit in Höhlen auf dem Hochplateau entdeckt, nun stellten die Forschenden verräterische Schnittspuren und Einschusslöcher daran fest. Die bisher übersehenen Hinweise deuten auf eine Bejagung der Tiere und die Nutzung ihres Fleischs hin. Vermutet wird ein Zusammenhang zwischen der Elchjagd und der nahegelegenen prähistorischen Salzmetropole Hallstatt.

So viele bescheuerte Elche?

Die Archäozoologin Kerstin Pasda von der Universität Erlangen-Nürnberg ist über Knochenfunde in den Bayerischen Alpen zur Untersuchung in der Dachsteinregion gekommen, wie die Forscherin bei einem Vortrag der Bioarchäologischen Gesellschaft Österreichs erklärte. Eine Privatperson hatte in einer Schachthöhle in der Nähe von Lenggries (Bayern) Elchknochen entdeckt, die Pasda und Kollegen auf die Jüngere Eisenzeit datierten. Damit weisen sie ein Alter von rund 2.500 Jahren auf.

Die Wissenschafterin wies an einem Schulterblatt ein Einschussloch sowie Schnittspuren auf Knochen nach. Der Elch dürfte also gejagt und sein Fleisch genutzt worden sein, so die Conclusio. Bei weiteren Recherchen zeigte sich, dass bereits zahlreiche Elchfunde aus Höhlen der Alpen bekannt sind. Bisher wurden diese allerdings nicht mit menschlichen Einflüssen in Verbindung gebracht. "Ich dachte mir, das kann doch nicht sein, dass es so viele bescheuerte Elche gibt, die in Höhlen fallen", erklärt Pasda.

Spurensuche im Museumsfundus

"Weil im Naturhistorischen Museum Wien viele Elchfunde archiviert sind, hat sich dann der Fokus unserer Forschung auf den österreichischen Raum verschoben", sagte Robert Schumann von der Universität Heidelberg. Gemeinsam mit Pasda hat er die Knochen von elf Elchen aus sechs Höhlen in Österreich genauer unter die Lupe genommen und Radiokarbondatierungen vornehmen lassen.

Sie fanden auf diesen weder Spuren von Benagung durch Raubtiere noch sogenannte "Sedimentkratzer", die darauf hindeuten, dass Überreste der Elche an der Oberfläche lagen und schließlich in die Schächte hineingerutscht sind. Stattdessen wiesen sie an fünf Schulterblättern Einschusslöcher und an zahlreichen Knochen Schnittspuren nach – also eindeutige Hinweise auf Jagd. Das war auch bei Elchknochen aus drei Höhlen am Dachsteinplateau der Fall, die auf die Bronzezeit datiert wurden.

Am Dachsteinplateau gefundene Elchknochen bieten der Wissenschaft Einblicke in die prähistorische Jagd – sie geben Forschenden allerdings auch einige Rätsel auf.
Foto: Stefanie Ruep

Mensch-Umweltbeziehung vor 3500 Jahren

Das weckte wiederum das Interesse von Kerstin Kowarik, assoziierte Mitarbeiterin der Prähistorischen Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien. Sie erforscht die Entwicklung der Mensch-Umweltbeziehung durch die Jahrtausende. Zuletzt wurde unter ihrer Leitung im Projekt "Facealps", finanziert durch das Earth System Science Programm der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt in der Hallstatt-Region über die letzten 3500 Jahre untersucht.

In Hallstatt wurde in der Bronzezeit, etwa seit dem 14. Jahrhundert vor Christus, im nahezu industriellen Ausmaß Salz abgebaut – täglich bis zu 1,5 Tonnen. Das erforderte entsprechende Ressourcen, um die Bergleute mit Nahrung zu versorgen. Doch die bronzezeitliche Salzmetropole verfügte nur über eine geringe landwirtschaftlich nutzbare Fläche. Intensive Tiernutzung im Hallstätter Hochtal ist bereits bekannt. "Die Fleischwirtschaft beschränkt sich aber im Wesentlichen auf Schweine, deren Fleisch in großen Mengen in mehreren Surbecken mit Salz haltbar gemacht wurde", sagt Kowarik.

"Sehr spannender" Nachweis

Aber auch das Dachsteinplateau dürfte für Almwirtschaft genutzt worden sein. Dort weidende Rinder, Schafe oder Ziegen seien wahrscheinlich nicht nur für Milch, Käse und Fleisch genutzt worden, auch der Bergbau brauchte Leder und Sehnen. Der Verein für alpine Forschung ANISA hat auch rund 40 Strukturen prähistorischer Almhütten auf dem Hochplateau nachgewiesen, Einzelfunde deuten auf ein Wegesystem dort hin.

Wild als mögliche Nahrungsressource habe bisher allerdings eine marginale Rolle bei den Überlegungen gespielt, "nicht zuletzt deshalb, weil sich Jagd bis dato kaum nachweisen ließ". Deshalb ist der Nachweis der bronzezeitlichen Elchjagd am Dachsteinplateau für die Wissenschafter "sehr spannend".

Karibujäger in Grönland

Pasda hat auch untersucht, ob ein Muster erkennbar ist, welche Skelettteile in den Höhlen gefunden wurden – allerdings keines gefunden. "Das hängt vielleicht auch damit zusammen, was von den Sammlern aus den Höhlen mitgenommen wurde und was schließlich im Museum landete", erläutert die Forscherin. Sie hat bereits früher Karibujäger in Grönland begleitet und dokumentiert, wie diese die Tiere zerlegen.

Mangels Straßen müssen die Jäger dort kilometerweit alles selbst tragen und nehmen daher nur bestimmte Teile mit, den Rest lassen sie liegen. Beim Elch aus der Schachthöhle in Lenggries fehlen genau jene Knochen, die auch die grönländischen Jäger abtransportieren.

Spielraum für Interpretationen

Am Dachsteinplateau ist noch fraglich, warum man die Knochen nicht einfach liegen gelassen, sondern offensichtlich mit Absicht in die Höhlen geschmissen hat. "Das bietet viel Spielraum für Interpretation", sagt Kowarik. Es könnte sein, dass man damit verhindern wollte, Raubtiere anzulocken, wenn in der Umgebung Haustiere weiden. Es könnten aber auch Opfer gewesen sein. In Hallstatt gebe es bisher aber noch keinen Nachweis von Höhlenheiligtümern, und auch in den Höhlen am Dachsteinplateau keine weiteren archäologischen Funde.

Die Wissenschafter wollen nun einmal ihre Erkenntnisse publizieren. Sie haben aber auch zahlreiche weiterführende Fragen. So gebe es in vielen lokalen Museen oder Archiven noch weitere Elchfunde aus der Region, und es wäre interessant, auch diese auf Hinweise auf menschliche Aktivität zu untersuchen. Zu prüfen wäre zudem, ob sich auch die Überreste anderer Tiere in den Höhlen finden, und – falls vorhanden – diese zu datieren und ebenso auf Jagdspuren zu untersuchen, "um ein rundes Bild von den Aktivitäten am Dachstein zu bekommen". (APA, mare, 20.2.2023)